Bei "rechten" und "linken" Dogmatikern treffen "Rechtspopulisten" auf "Gutmenschen", "Hassbürger" auf "Tugendterroristen". Daniel-Pascal Zorn beobachtet, wie mit der Platzierung oder Tabuisierung von Begriffen Politik gemacht wird und plädiert für die Rückkehr zu einem vernünftigen Dialog, zu produktivem Streit mit philosophisch geschulter Argumentation. Während zahlreicher Diskussionen in sozialen Medien sammelte er eigene Erfahrungen damit. Ein Gespräch über den Beitrag der Sprachkritik zu einer zivilisierten Streitkultur.
Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, lehrt als Philosoph an der Bergischen Universität Wuppertal und betreibt den Blog "Die Kunst der Rechtfertigung". Im Philosophie-Magazin "Hohe Luft" schrieb er die Kolumne "Na logisch!". Sein Buch "Logik für Demokraten" und der gemeinsam mit Per Leo und Maximilian Steinbeis verfasste Leitfaden "Mit Rechten reden" erschienen 2017 bei Klett-Cotta.
Frank Kaspar: Daniel-Pascal Zorn, im Herbst 2017 haben Sie ein Buch veröffentlicht mit "Rechten Reden", lautet der Titel, und Sie haben zusammen mit Ihren Coautoren Per Leo und Maximilian Steinbeis beschrieben, wie in hitzigen Debatten Vertreter von rechten und linken Positionen aufeinandertreffen mit gegenseitigen Vorwürfen, Verdächtigungen, Verurteilungen, sehr selten eher mit Argumenten. Sie haben analysiert, wie es dazu kommt, dass ein Dialog dabei kaum zustande kommt, eigentlich nicht mal ein wirklich produktiver Streit. Sie denken gemeinsam darüber nach, wie man das besser machen könnte, und am Ende des Buchs machen Sie ein Gesprächsangebot, indem Sie eine schwarze Piratenflagge hissen. Was ist das für eine Flagge und auf was für eine Art von Gespräch wollen Sie oder wollten Sie damit hinaus?
Daniel-Pascal Zorn: Wir haben am Ende des Buches ein Gesprächsangebot formuliert, weil man schlecht ein Buch mit rechten Reden schreiben kann, ohne bereit zu sein, mit Rechten zu reden. Die Piratenflagge ist doppeldeutig. Das Erste ist, sie ist keine weiße Flagge, die gehisst wird zwischen regulären Armeen, sondern sie ist eine Flagge, die sozusagen zwischen Piraten gehisst wird. Aber sie erfüllt dieselbe Funktion, nämlich sie ist eine Parlamentärsflagge. Sie sagt "Lasst uns reden". Erst wenn die schwarze Flagge sozusagen nicht zum Ergebnis geführt hat, hisst man die mit dem Jolly Roger und dann geht es zum Kampf. Wir haben aber gleichzeitig damit auch eine Bedingung verbunden, nämlich wenn unser Gegenüber einen Piratentanz aufführt, dann schwimmt Keira Knightley wieder zurück zu unserem Schiff. Keira Knightley war unsere Botschafterin im Buch.
Kaspar: Aus "Fluch der Karibik".
Zorn: Aus "Fluch der Karibik", genau. Insofern war es sozusagen ein bedingtes Angebot, ja.
Kaspar: Ist dieses Angebot denn auf positive Resonanz gestoßen? Also, wie viele Gespräche, wie fruchtbare Gespräche haben Sie denn mit Menschen, die rechte Positionen vertreten, seither geführt und mit welchem Erkenntnisgewinn?
Zorn: Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass das Buch selbst schon aus einer mannigfaltigen Gesprächserfahrung entstanden ist und entsprechend sozusagen einen Zwischenstand unserer Beobachtungen abbildet. Und auch nach dem Buch sind mannigfaltige Gesprächssituationen daraus entstanden oder haben sich ergeben. Nicht alle waren fruchtbar, manche sind schon nach dem ersten Schritt nicht mehr weitergegangen. Manche haben zwei, drei tentative Schritte versucht, und auch da ist es nicht mehr weitergegangen. Aber mit manchen Gesprächspartnern sind wir noch heute im Gespräch.
"Wir wollen aber versuchen, das Problem zu beschreiben"
Kaspar: Rechts oder links, das ist für Sie in dem Buch, wie Sie die Frage angehen, ja eine Frage der Sprache ganz wesentlich. Sie schreiben, Sie begreifen rechts nicht als eine Menge von bestimmten Überzeugungen als politische Position im ersten Moment, sondern als eine bestimmte Art des Redens. Was ist das für ein Sprachspiel, was macht das wesentlich aus?
Zorn: Wichtig ist dieses "im ersten Moment". Das heißt, wir schließen ideologische oder ideologiekritische Beschreibungen gar nicht aus. Wir wollen aber versuchen, das Problem zu beschreiben. Warum haben Rechte ein Problem damit, mit Nicht-Rechten zu diskutieren, warum haben Nicht-Rechte ein Problem, mit Rechten zu diskutieren. Und da hat es sich angeboten, dass in Form eben dieser Sprachspiele zu untersuchen, die diese beiden Seiten auch miteinander spielen. Und ich glaube, dass dieses rechte Sprachspiel vor allem abgelauscht ist bestimmten Protagonisten des rechten Diskurses, die sich auch selbst als rechts bezeichnen - wir haben ja einige davon im Buch auch genannt -, die teilweise dieses Sprachspiel auch als ihre eigene Diskursstrategie beschreiben. Das heißt, es gibt strategische Texte, in denen beschrieben wird, wie man mit Provokationen und der darauf folgenden Reaktion dann mediale Aufmerksamkeit erreicht, wie man die Bestätigung einer bestimmten Unterstellung erreicht und so weiter. Und das haben wir kombiniert mit dem realen Vorgehen dessen, was wir eben beobachten konnten auf Twitter, auf Facebook, in den sozialen Medien, aber eben auch in realen Gesprächen, wo immer wieder die gleichen Versuche gemacht wurden, eine steile Behauptung aufzustellen und dann anhand der Kritik dieser steilen Behauptungen sozusagen sich selbst ins Recht zu setzen. Als Beispiele haben wir im Buch zum Beispiel diese Dresdner Rede von Björn Höcke, genannt "Das Denkmal der Schande", der doppelte Genitiv oder die Allusionen, die Frauke Petry oder auch Alexander Gauland verwendet haben, also die Andeutung, die dazu geführt hat, dass Journalisten sie ergänzt haben und ihnen dann die Gelegenheit gegeben haben, sich als Opfer journalistischer Unterstellungen zu inszenieren.
Kaspar: Das "Denkmal der Schande" lässt offen, ob das Denkmal selbst die Schande ist oder ob der historische Zusammenhang, an den das Denkmal erinnern soll, als Schande bezeichnet wird. Das ist zum Beispiel so ein Trick, vage zu bleiben.
Zorn: Das ist ein doppelter Genitiv, ein subjektiver und ein objektiver Genitiv, und das ist ein typischer Trick der Rhethorik, ebenso wie bestimmte Andeutungen, oder bestimmte Sachen nebeneinander zu sagen und darauf zu warten, dass das Publikum oder der Hörer oder wer auch immer auf eine bestimmte Art und Weise reagiert, und das dann aufzugreifen für den nächsten Schritt.
"Der öffentliche Diskurs ist eigentlich ein rhetorisches Kampfgebiet"
Kaspar: Wie stark prägt dieses rechte Reden mittlerweile schon den öffentlichen Diskurs? Wie breit hat sich das schon gemacht?
Zorn: Sofern wir unter dem rechten Reden ein provozierendes Reden und auch ein setzendes Reden - also "Es ist so", Behauptungen, die sagen, "Es ist so" - verstehen, könnte man fast es umdrehen und sagen, diese Art des Redens gibt es schon länger, als wir diesen Begriff des Rechtspopulismus überhaupt auf den Diskurs anwenden. Und man könnte noch mehr sagen, nämlich dass diejenigen, die das jetzt versuchen, von rechts her zu instrumentalisieren, das auch deswegen so erfolgreich durchsetzen können, weil sie eben schon einen bestimmten Diskurs vorgefunden haben, der in bestimmten Hinsichten sehr dogmatisch funktioniert hat. Man darf nicht vergessen, dass der öffentliche Diskurs eigentlich ein rhetorisches Kampfgebiet ist und bestimmte Bereiche schon festgelegt waren. Nehmen Sie mal linke Sprachkritik, nehmen Sie mal bestimmte Formen politischer Korrektheit, die sozusagen behauptet wurden, die ja durchweg moralische Formen des Diskurses sind. Und wenn es diese moralischen Formen des Diskurses, die also davon ausgehen, man ist in der moralischen Hoheit, nicht gibt, dann gibt es auch keine Möglichkeit, sie zu instrumentalisieren. Insofern würde ich eben sagen, es ist eben ein Verhältnis, in das die Rechten eingestiegen sind und das sie zu ihren Gunsten so gedreht haben, dass jetzt diese Form des Sprechens eben sich immer mehr nach rechts verschiebt.
Kaspar: Wenn Sie mit Rechten reden, wie weit kann da Ihr Verständnis gehen? Sie drei positionieren sich ja im Buch auch ganz bewusst als einerseits nicht rechts, aber auch nicht links. Ich will mal ein Beispiel ansprechen. Es gibt eine Passage im Buch, wo Sie schreiben: "Es gibt ein sehr weit verbreitetes Unbehagen an der deutschen Erinnerungskultur, und zum Teil ist dieses Unbehagen auch berechtigt." Inwiefern ist denn dieses Unbehagen aus Ihrer Sicht berechtigt?
Zorn: Weil es auch in der Erinnerungskultur wie in jedem Diskurs bestimmte Stränge der Diskussion gibt, die vielleicht mit moralischem Druck durchgesetzt werden, weil es eine vielleicht zu einfache Beschreibung von Tätern und Opfern gibt, weil es klar ist, dass man in der Erinnerungskultur auch bestimmte Opfererfahrungen, zum Beispiel aus der deutschen Bevölkerung, teilweise ausgeblendet hat für bestimmte Zeiten. Und umgekehrt, weil man, wie Hannah Arendt schon erfahren musste, die die jüdischen Räte und ihre Rolle im Dritten Reich kritisiert hat, dafür eben auch heftige moralische Kritik erfahren hat. Das heißt, auch hier gibt es sozusagen Formen von Kritik, die nicht moralisch geduldet werden. Und das bedeutet aber nicht, dass man jetzt die Erinnerungskultur um 180 Grad wenden muss, so wie Höcke das vorgeschlagen hat, sondern man muss eben mit dem vielleicht sachlicheren Blick des Historikers und dem sachlicheren Blick des Philosophen oder auch des Geschichtsphilosophen sich ansehen, wie diese Diskurse sich materialisieren, wie sie geführt werden und an welcher Stelle bestimmte Argumentationen eben zu einfach oder nicht gut überzeugend sind, und wie man sie überzeugend gestalten kann. Und das große Problem ist, deswegen haben wir das im Buch so formuliert, das große Problem ist, dass schon die Problematisierung der Erinnerungskultur, wie wir sie sozusagen als moralisches Erbe erfahren, als politisches Statement gedeutet wird. Und die These im Buch ist, dass wir in einem Sprachspiel festhängen, in dem wir gar nicht mehr zur Sache kommen, weil wir immer nur die Bestätigung der eigenen Vorurteile sehen. Und insofern war das natürlich auch eine Art "Bait", also man könnte sagen, eine Art Köder für diejenigen, die sofort sagen "Wie? Die Erinnerungskultur ist genauso richtig, wie sie ist, und die darf auch nicht geändert werden, und wer das fordert, der ist rechts." Und das hat unsere These bestätigt. In dem Moment, wo dieser Vorwurf kam - und er kam, und er kam heftig, teilweise bis zu dem Moment, dass man uns unsinnigerweise Dinge vorgeworfen hat, die wir nie gesagt haben, von links -, und hat aber dann die These des Buches eben bestätigt, dass offensichtlich Moralinsäure an der Stelle das Mittel der Wahl war, um einen bloßen Debattenvorschlag zu unterbinden.
"Moralismus ermöglicht einem eben eine schnelle Publikumsbildung"
Kaspar: Gibt es insofern so eine Art Moralismusfalle? Sie schreiben in dem Buch auch den Satz: "Der Moralismus ist der Teil, den unsere Seite zum Problem beigetragen hat."
Zorn: Auch hier würde ich jetzt mittlerweile vor dem Hintergrund neuer Lektüren ein bisschen differenzieren wollen. Der Moralismus ist weit verbreitet eben tatsächlich als ein bürgerliches Instrument der ideologischen Weltanschauungsbildung, und der Moralismus ist auf der rechten Seite ebenso verbreitet wie auf der linken Seite. Aber in der Tat ist der Moralismus links und auf der liberalen Seite sichtbarer. Denn dort kann man ja schlecht sich auf bestimmte natürliche Formen berufen - das wird ja kritisiert und auch zu Recht kritisiert. Es gibt eben diesen naturalistischen Diskurs nicht. Das heißt, die einzige Form der dogmatischen Legitimation auf der linken und der liberalen Seite ist eine moralistische Position, die sagt, wir müssen gut handeln, und wer nicht so handelt, der handelt eben schlecht oder böse. Und gutes Handeln ist das, was wir sozusagen definieren. Insofern hat vielleicht tatsächlich diese Seite den Moralismus mit beigetragen, und ja, es gibt ein Moralismusproblem, ganz klar. Das hat aber eben weniger damit zu tun, dass Menschen moralistisch sind. Das hat mehr damit zu tun, dass Moralismus einem ermöglicht, zwei Dinge zu tun. Erstens, immer Recht zu behalten, und zweitens, eine Art "Virtue Signaling" zu betreiben, also Tugend zu signalisieren für alle anderen und sich eben auch als jemanden zu präsentieren, der tugendhaft ist. Und das sind Formen der Selbstdarstellung und Formen der Selbstinszenierung und Formen der diskursiven Durchsetzung, die eben relativ zu haben sind, weil man sehr schnell Mehrheiten dafür findet. Versuchen Sie mal, in einem linken Forum die These zu vertreten, dass alle Menschen gleich sind. Sie werden sofort ganz viele Menschen haben, die das ganz genauso sehen. Und derjenige, der in diesem Forum möglicherweise in Frage stellt, dass Menschen in einer Hinsicht gleich sind, aber in anderen Hinsichten durchaus auch verschieden, der wird es nicht mehr so leicht haben, seine These als kritische durchzubringen. Das heißt, es kommt immer ein bisschen darauf an. Moralismus ermöglicht einem eben eine schnelle Publikumsbildung, und das gilt auch für den rechten Moralismus, der eben von einer Vernichtung des deutschen Volkes schwadroniert und eine moralische Pflicht auferlegt, diese Vernichtung aufzuhalten. Und auch dort geht es dann darum, diesen Moralismus mit Evidenzen zu füllen, sodass man ihn immer stärker vertreten kann und das Publikum immer weiter wächst.
Kaspar: Sie sind ja von Hause aus Philosoph, und Sie sind aber ein Philosoph, der die Philosophie wieder unter die Leute bringen möchte, und sind deswegen zum Beispiel ziemlich viel auf Facebook unterwegs, sind unter anderem zum Beispiel in Foren unterwegs, wo über Asyl und Migration diskutiert wird. Sie mischen sich da auch ein. Was Sie da machen, ist im Grunde ja so was wie teilnehmende Beobachtung. Sie gehen in Gespräche hinein, aber Sie gehen ja als Fachmann hinein sozusagen mit so einem Koffer, auf dem steht "Reflexive Logik". Was ist das, reflexive Logik, was ist das für ein Besteck, und was können Sie dann im Gespräch mit Menschen, die nicht diese Vorbildung mitbringen, mit diesem Besteck machen?
Zorn: Das ist eben das Interessante an einer deskriptiven, reflexiven Logik, um es vollständig zu sagen …
Kaspar: Da steht noch mehr drauf.
Zorn: Genau. Eine beschreibende reflexive Logik. Sie hat kein Besteck, sondern es ist eigentlich eine besondere Form von Aufmerksamkeit. Und sie ist sehr einfach zu beschreiben, diese Aufmerksamkeit. Sie achten nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern Sie achten auch auf das Wie, das Wodurch und das Womit. Also auf die Begriffe, die man gebraucht, aber gar nicht thematisiert. Auf bestimmte Gründe, die man impliziert, aber die man nicht weiter rechtfertigt. Auf bestimmte Voraussetzungen, die jemand in einer Rede macht. Darauf achten Sie, weil es in einer Rede gegeben ist.
Kaspar: Ist das im lebendigen Austausch schon in gewisser Weise auch eine Sprachkritik, die Sie da betreiben?
Zorn: Es ist eher eine logische Kritik, denn ich schaue weniger auf die Sprache, also auf das, was Linguisten als Sprache beschreiben oder was wir im Alltag als Sprache verstehen, sondern ich schaue eher, jedenfalls in diesen Situationen, die Sie beschrieben haben, darauf, passt das zusammen, was jemand behauptet, mit dem Anspruch, den er damit verbindet. Kann er das, was er behauptet, auch gut rechtfertigen. Ein einfaches Beispiel ist: Wenn ich eine All-Aussage formuliere, alle X sind Y, alle Asylbewerber sind Vergewaltiger, ist das sehr sehr schwer zu rechtfertigen, denn es ist eine All-Aussage. Ich müsste mit allen gesprochen oder ich müsste sie alle untersucht oder ich müsste über alle Ermittlungen angestellt haben, um diese Aussage überhaupt zu rechtfertigen. Und insofern kann man also Aussage und Anspruch der Aussage durchaus in einen Vergleich bringen und feststellen, wo das nicht zusammenpasst und das dann als ernstnehmendes Argument in einem Gegenargument formulieren, wo man sagt: "Hast du dafür Belege? Wenn nicht, finde ich es nicht überzeugend."
"Auch und gerade populistisches Argumentieren ist konsistenzorientiert"
Kaspar: Lassen sich Menschen darauf ein?
Zorn: Die ganze Zeit. Und der Punkt ist, dass man oft glaubt, dass wir im öffentlichen Diskurs abseits von Logik argumentieren. Richtig ist, dass wir die ganze Zeit auch rhetorische Figuren benutzen. Aber wenn Sie mal genau darauf achten, wie jemand, der unbedingt seine Meinung durchsetzen will, argumentiert, dann versucht er die ganze Zeit, das, was er sagt, und das, was der andere sagt, in Übereinstimmung zu bringen. Das heißt, auch und gerade populistisches Argumentieren ist konsistenzorientiert, also orientiert an einem logischen Kriterium der Übereinstimmung der Rede mit sich selbst. Und sofern dieser Anspruch erhoben wird, kann man eben dann diese Rede auch an diesem Anspruch messen. Man kann zeigen: "Schau mal, du versuchst die ganze Zeit, dass Inhalt und Operation deiner Rede übereinstimmen, aber an dieser Stelle tun die beiden das nicht. Sie stimmen nicht überein." Und Menschen lassen sich darauf ein oder versuchen, auszuweichen, setzen sich auf jeden Fall damit auseinander. Sehr viele empfinden das, glaube ich, auch als eine Form von Zumutung, dass ihre Rede so kritisch betrachtet wird. Allerdings kann man dann immer auch zeigen, dass gerade diejenigen, die das als Zumutung sehen oder auch beklagen, das häufig vorher selbst gemacht haben, wenn sie die Rede anderer kritisch analysiert haben. Und insofern haben sie einen Maßstab selbst formuliert, an dem man sie dann eben messen kann. Und so sehe ich den Diskurs. Es ist eine gegenseitige Verhandlung von Ansprüchen und Maßstäben.
Kaspar: Lassen Sie uns vielleicht noch ein anderes Beispiel nehmen, damit ich mir genauer vorstellen kann, worüber und wie Sie da miteinander reden, wenn Sie zum Beispiel in Foren unterwegs sind. Also nehmen wir mal diese Position des sogenannten "Ethno-Pluralismus", die Ihnen bestimmt immer wieder mal untergekommen ist. Man könnte das vielleicht ja mit so einem, frei nach Asterix, mal zusammenfassen unter: "Ich habe nichts gegen Fremde, einige meiner besten Freunde sind Fremde, aber diese Fremden hier sind nicht von hier." Und, in Klammern, sollen bitte auch dort bleiben, wo sie nach Ansicht des Redenden hingehören. Wenn Ihnen jetzt so eine Meinung begegnet, wie können Sie entgegnen, was für ein Gespräch entspinnt sich da, zum Beispiel vielleicht?
Zorn: Es kommt ein bisschen darauf an, mit wem Sie sprechen, denn schon die Bezeichnung Ethno-Pluralismus als Selbstbezeichnung einer Weltanschauung ist problematisch. Es gibt eine Entwicklung dieses Begriffs. Es beginnt vielleicht irgendwo in den Siebzigern oder Achtzigern, als Henning Eichberg den linken Kulturrelativismus für rechts beansprucht und das Selbstbestimmungsrecht der Völker nationalistisch reinterpretiert. Das ist gewissermaßen die Geburtsstunde des Begriffs Ethno-Pluralismus. Aber wenn Sie sich die Texte der Identitären Bewegung ansehen, dann wird dieser Begriff weiter verwandelt und auch angepasst an Gegenstrategien, die die Linken wiederum zu diesem Begriff entwickelt haben. Heute würde man in einer Diskussion über Ethno-Pluralismus vor allem auf den Vorwurf stoßen, das Gegenüber hätte gar nicht verstanden, was damit eigentlich gemeint sei. Zum Beispiel, wenn ich behaupte, alle Völker hätten ihren angestammten Raum und sollten unter sich bleiben, dann kommt häufig der Vorwurf, auch und gerade von Rechtsextremismusforschern, es ginge da um eine Homogenität, die aufrechterhalten werden solle. Und vonseiten der Identitären Bewegung wird immer gesagt, nein, Homogenität, das ist ja auch Unsinn und sehr unrealistisch. Nein, es soll nur nicht zu viel werden. Oder: Irgendwann ist genug. Das heißt, das Kriterium wird verschoben, die ganze Zeit. Und am ehesten dann in einen Bereich, der dezisionistisch ist. Wann ist es denn genug, und wann ist es zu viel? Wenn man das angeben soll, dann wird man ausgelacht, dann wird gesagt: "Das kann man nicht klar angeben. Das ist eine Situation, die muss jeder für sich selbst entscheiden." Das heißt, Sie haben eigentlich einen Trick, der auch in rechter Strategieliteratur immer wieder beschrieben wird. Sie behaupten etwas, aber Sie versuchen es die ganze Zeit so zu rechtfertigen, dass Sie eher skeptisch vorgehen und sagen, der andere hat noch nicht begriffen, was das Kriterium ist. Das ist gar kein festes Kriterium, es ist ein viel flüssigerer Begriff. Man zieht sich also weniger auf positive Begriffe zurück, und mehr auf negative Begriffe, also auf "noch nicht", auf "zu viel", auf "genug". Aber wenn man fragt, was steckt da eigentlich dahinter, dann bekommt man eben keine klare Antwort. Was aber da passiert, ist, der Begriff ist im Spiel und wird die ganze Zeit wiederholt und wird die ganze Zeit eben auch mit Inhalt aufgeladen. Das heißt, während man über die Berechtigung, also über die Rechtfertigung des Begriffs streitet, erfüllt der Begriff noch eine repräsentative Funktion und wirbt für Menschen, die sich dem anschließen möchten und die vielleicht auch sehen: "Ach, guck mal, man kann sich der Befragung nach Kriterien auch ziemlich klug entziehen."
"Für mich ist Ratio keine Annahme über die Psyche meines Gegenübers"
Kaspar: Sie haben jetzt schon ein-, zweimal diesen Begriff "Framing" angesprochen. Das ist ja etwas bekannt geworden vielleicht vor allem durch Elisabeth Wehlings Buch "Politisches Framing". Daran musste ich jetzt gerade sehr denken, weil Sie zum Beispiel ja ganz klar davor warnt, auf der Basis psychologischer Tests auch, dass jemand, der das Argument eines Gegners wiederholt, es quasi verstärkt, genau indem er es im Spiel hält, wie Sie es gerade beschrieben haben. Und bei Elisabeth Wehling kann man auch lesen, dass geschätzt nur etwa zwei Prozent unserer Denkvorgänge überhaupt bewusste Vorgänge sind. Also, wenn man dieses Argument ernst nimmt, was lässt Sie dann an vernünftige, rationale Argumentation und deren Wirksamkeit überhaupt noch glauben?
Zorn: Zunächst mal glaube ich nicht daran, sondern ich vollziehe das als Praxis. Für mich ist Ratio keine Annahme über die Psyche meines Gegenübers, denn ich kann den anderen Menschen nur, wie man hier im Ruhrpott sagt, "vorn Kopp gucken". Elisabeth Wehling hat in der ersten Beobachtung, die Sie gerade referiert haben, etwas sehr richtig beobachtet. Das betrifft aber in keiner Weise ihre eigene These vom Framing, sondern es betrifft einfach eine Diskurspraxis, an der man sehen kann, dass Diskurs eben, wenn ich mit jemandem spreche, eben auch immer für andere mitgesprochen ist. Dass Diskurs also in der Argumentation auch repräsentativ ist. Das wäre eine diskursanalytische Betrachtung. Die zweite Sichtweise von Frau Wehling würde ich nicht teilen, denn faktisch weiß die Hirnforschung nichts darüber, wie Hirnvorgänge und diskursives Denken, also das, was wir als Denken erleben und auch logisch analysieren können, zusammenhängen. Das basiert auf der These ihres Lehrers George Lakoff, der das auch gegen Widerstände seiner Kollegen als eine Form von Neurolinguistik durchgesetzt hat. Das ist aber ein psychologistisches Vorurteil, das versucht, bestimmte logische Beobachtungen wie die richtige, die Sie gerade referiert haben, sozusagen zurückzubinden an eine Art psychologische Legitimation. Und genau solche Formen bietet man dann eben auch Rechten an, die dann sagen können: "Na ja, das sind einfach solche starken Formen von Framing, dass diese Menschen einfach einander nicht mehr verstehen können." Und dann haben sie sozusagen den strategischen Vorteil der Analyse weggegeben und haben dem anderen ein Device in die Hand gegeben, um die Freund-Feind-Konstruktion immer weiter zu betreiben. Psychologismus ist ein großes Problem, auch deswegen, weil man all das, was Frau Wehling problematisiert, viel schlüssiger beschreiben kann, wenn man es als Diskurspraxis beschreibt, also als Gebrauch im Diskurs, und davon absieht, das Gehirn mit ins Spiel zu bringen und bestimmte Denkweisen als Rückschlüsse auf das, was im Menschen passiert, anzunehmen. Dass natürlich das Gehirn auch viele Vorgänge hat, die uns nicht bewusst sind, sollte uns nicht zu dem Schluss verleiten, das, was im Unbewussten abläuft, seien irgendwelche Dinge, die uns beherrschten und derer wir uns nicht erwehren können. Denn wenn diese Analyse etwas leisten soll, dann doch das, dass wir kritisch, und das heißt prüfend und differenzierend über bestimmte politische Diskurspraktiken nachdenken können. Und das leistet man gerade nicht, wenn man so tut, als sei das eine Art unbewusstes Programm, das uns steuert.
Kaspar: Vieles von dem, worüber das wir jetzt gesprochen haben, ist ja auch eingeflossen in ein Buch von Ihnen, das heißt "Logik für Demokraten. Eine Anleitung". Und das Buch ist, wenn ich es richtig verstehe, getragen von der Hoffnung, aus einem sehr aufgeheizten, verkeilten öffentlichen Diskurs zurückzufinden zu vernünftigem Dialog. Auch dieses Buch haben Sie beschrieben als eine Art Zwischenbericht, nachdem Sie viele von diesen Gesprächen gesucht haben, über die wir jetzt gesprochen haben. Wie optimistisch sind Sie denn oder welche Erfahrungen haben Sie gemacht bisher mit diesem Versuch, sagen wir mal, Druck rauszunehmen, Dialog wieder zu ermöglichen, auf das vernünftige Argument als Basis zurückzukommen?
Zorn: Eigentlich sehr gute. Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht, denn es gibt eine Nachfrage, und diese Nachfrage wird unter anderem durch den Druck formuliert, den diese sehr unfruchtbare Form der Debattenkultur, die wir gerade erleben, auch erzeugt. Und das betrifft Menschen aus allen politischen Lagern, denn sie haben den Eindruck, das, was man sagen will, kommt beim anderen gar nicht mehr an. Und "Logik für Demokraten", anders als "Mit Rechten reden", bezog sich eben nicht ausschließlich auf den rechten Diskurs. Es bezog sich auf bestimmte Argumentationsformen, die ich an das populistische Argumentieren gebunden habe, die wir aber eben auch außerhalb dieser populistischen Argumentation - also, was ich sage, ist die Meinung des Volkes oder der Volkswille -, was man auch außerhalb dessen gebrauchen kann. Und deswegen habe ich versucht, eine Anleitung zu geben, auch die eigenen Argumentationsformen kritisch in den Blick zu bekommen. Und auch zu sehen, inwiefern das, was wir dort tun, umschlagen kann in eine Weltsicht, in der ich nur noch Feinde sehe, und in der ich immer exzessiver versuche, meine Sichtweise umzusetzen. Und was ich im dritten Kapitel dann mache, ist eben auch kein Positiventwurf zu dem Negativentwurf vorher, sondern ist eher so eine Art Minimalvorschlag. Wenn wir versuchen wollen, miteinander so zu leben und zu sprechen, dass auch, neben vielen anderen Möglichkeiten wie Streit oder auch ideologische Verhärtung, das muss auch möglich sein, dass auch Kooperation möglich ist, auch Verständnis möglich ist, dann müssen wir versuchen zu begreifen, sobald wir an einer Rede teilhaben, wir das tun, was alle anderen auch tun. Und wenn wir das verneinen, dann müssen wir an dieser Rede teilhaben. Wir kommen aus dieser Teilhabesituation nicht heraus, ohne an ihr teilzuhaben. Und wenn man das reflektiert, dann hat man eine Möglichkeit, der eigenen Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zu zeigen, um es mit Wittgenstein zu sagen. Und damit das nicht paternalistisch klingt, würde ich eben sagen, das sollte dann jeder für sich selbst vollziehen.
Kunst der Rechtfertigung
Kaspar: Sie bringen ja die Überlegungen Ihres Buches auch mit einer gewissen Selbstironie auf 25 goldene Regeln. Eine davon lautet: Recht haben ist keine Tugend, ist aber das Handwerk, das man von Ihnen lernen kann, also die Kunst der Rechtfertigung, heißt es auf Ihrer Webseite, nicht letztlich auch eine Kunst, recht zu haben?
Zorn: Nicht wirklich. Es ist eher eine Kunst, sich im Rechtfertigen üben zu können und sich zu üben und das Rechtfertigen als Praxis zu vollziehen. Das heißt auch, an einer bestimmten Stelle einzusehen, dass man vielleicht etwas noch nicht rechtfertigen kann. Das gehört mit zur Kunst der Rechtfertigung dazu. Die Einsicht in das "noch nicht". Oder vielleicht auch zu sehen: Der Grund, auf den ich mich berufe, ist einer, den ich gar nicht weiter begründen kann. Das heißt, auch die skeptische Einsicht, dass man auf einem Weg nicht weitergehen kann, gehört zu dieser Praxis unbedingt dazu. Aber natürlich geht es auch darum, in einer Debatte gute Gründe vorbringen zu können und insofern vielleicht recht zu behalten. Worum es aber in dieser goldenen Regel geht, ist, dass recht zu behalten auch deswegen keine Tugend ist, weil das eben keine Einstellung ist, die man sich selbst zusprechen kann und sagen kann, ich hab eben immer recht, und deswegen bin ich tugendhaft, oder umgekehrt, ich bin tugendhaft, und deswegen habe ich immer recht. Nicht von vornherein recht zu behalten, sondern das Recht haben zu binden, an Bedingungen und Kriterien, die man mit allen anderen teilen können muss. Das ist die Praxis der Kunst der Rechtfertigung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.