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Spurwechsel zwischen Asyl und Einwanderung
"Stichtagsregelung wird kommen"

Dürfen Geflüchtete in Deutschland bleiben, wenn sie keinen Anspruch auf Asyl haben, aber gut integriert sind? Darüber streitet die Koalition. Der Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker sagte im Dlf, jeder, der hier arbeite, sei ein volkswirtschaftlicher Gewinn. Und er plädiert für ein Einwanderungsgesetz.

Herbert Brücker im Gespräch mit Birgid Becker |
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    Spurwechsel zwischen Asyl und Einwanderung: Was könnte eine Lösung sein? (Imago)
    Birgid Becker: Etwas zugedeckt vom Dieseldunst spielt auch das Thema Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz im Koalitionsausschuss eine Rolle. Auch hier gibt es einen Dissens zwischen CDU/CSU und der SPD - einen Dissens, der den Titel "Spurwechsel" bekommen hat. Über den Spurwechsel möchte ich mit dem Migrationsforscher Herbert Brücker sprechen. Er ist beschäftigt beim wissenschaftlichen Arm der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit, beim IAB. Guten Tag.
    Herbert Brücker: Ja, schönen guten Tag.
    Becker: Professor Brücker, Spurwechsel - es geht darum, dass gut integrierte Asylbewerber die Möglichkeit bekommen, in Deutschland zu bleiben, aber nicht auf Grundlage des Asylrechts. Was genau ist der Spurwechsel?
    Brücker: Das wissen wir noch nicht so genau, weil der noch nicht ausgestaltet worden ist. Es geht, glaube ich, im Kern um eine Gruppe, deren Asylanträge abgelehnt worden sind. Das sind die sogenannten Geduldeten, die, wenn sie sich gut in den Arbeitsmarkt integriert haben, Steuern und Abgaben bezahlen, keine Transferleistungen beziehen, dann unter bestimmten Bedingungen in Deutschland bleiben können.
    Es geht um kleine Fallzahlen - noch
    Becker: Diese geduldeten Personen, um wie viele handelt es sich da im Moment, die für so einen Spurwechsel in Frage kommen?
    Brücker: Wir haben gut 130.000 Personen, die im erwerbsfähigen Alter sind und eine Duldung haben. Von denen arbeiten gegenwärtig etwa 30 Prozent. Vielleicht sind es auch ein Drittel. Das heißt, wir reden über eine Größenordnung von vielleicht 40.000 Menschen. Dazu kommen vielleicht noch einige Kinder und minderjährige Familienangehörige, also maximal 50.000 Personen.
    Becker: Das sind nicht sehr viele, wenn man die Migrationszahlen betrachtet. Lohnt das oder wie motiviert sich da solch eine Kontroverse um einen vergleichsweise geringen Personenkreis?
    Brücker: Der Kreis der Geduldeten selber ist erst mal relativ klein. Das Ganze ist aber auch ein Zukunftsthema, weil wenn die Kriege in Syrien, im Irak, in Afghanistan zu Ende sind, dann kann es natürlich auch darum gehen, dass die Menschen, die keine Duldung haben, sondern einen Schutzstatus, dann vielleicht zurückkehren wollen in ihre Heimatländer, und dann reden wir natürlich über andere Größenordnungen.
    Wer eine Duldung hat, kann jederzeit abgeschoben werden
    Becker: Es gibt bereits jetzt Möglichkeiten zum Spurwechsel. Was stimmt an denen nicht?
    Brücker: Grundsätzlich ist es erst möglich acht Jahre nach der Registrierung. Das ist ein sehr langer Zeitraum. Man muss wissen, wenn man eine Duldung hat, dass man dann im Grundsatz jederzeit abgeschoben werden kann. Das heißt, das ist eine große Unsicherheit für die Geflüchteten selber, also für die Geduldeten, aber natürlich auch für die Arbeitgeber. Das macht die wirtschaftliche Integration sehr, sehr schwierig und deswegen ist es im Grundsatz sinnvoll, dass wir den Menschen, die vernünftig integriert sind, die Rechtssicherheit geben, dass sie sich hier weiter aufhalten können.
    Becker: Das ist auch der Grund, weshalb das Handwerk vor allem, etwas weniger deutlich, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sich für die Möglichkeit eines Spurwechsels aussprechen, also für die Möglichkeit des Wechsels zwischen Asylrecht und Einwanderungsgesetzgebung. Teilen Sie denn deren Hoffnung, dass sich auf diese Weise gut integrierte Arbeitskräfte halten lassen?
    Brücker: Im Grundsatz ja. Aber wie gesagt: Die Größenordnungen sind jetzt nicht dramatisch groß. Aber es ist natürlich so, dass jeder, der hier arbeitet, Steuern und Abgaben bezahlt, erst mal ein volkswirtschaftlicher Gewinn für Deutschland ist, und das ist eine sinnvolle Angelegenheit. Wir müssen zugleich dafür sorgen, dass dann nicht zu viele neue Menschen kommen. Das könnte man etwa über eine Stichtagsregelung erreichen.
    Stichtagsregelung vermeidet Pull-Effekte
    Becker: Die Stichtagsregelung, wie sollte die aussehen? Mit welchen Kriterien sollte da operiert werden?
    Brücker: Man würde dann sagen, dass Menschen, die vor einem bestimmten Stichtag zugezogen sind, sagen wir das Jahresende 2017, wenn sie sich gut in den Arbeitsmarkt integriert haben, für eine längere Zeit gearbeitet haben, keine Transferleistungen bezogen haben, dass die dann für den Spurwechsel in Frage kommen. Das schafft für Neuzuwanderer erst mal keine Anreize, weil sie von dieser Regelung nicht profitieren würden, sondern erst mal nur die Menschen, die schon hier sind, so dass man Pull-Effekte doch weitgehend ausschließen kann.
    Becker: Muss denn an das Thema so restriktiv, wie auch eine Stichtagsregelung das vorsieht, herangegangen werden? Wenn wir an die Klagen denken, die von Wirtschaftsverbänden mit Blick auf künftigen Facharbeitermangel kommen, müsste dann ein Spurwechsel nicht eigentlich viel flüssiger, viel weniger durch Hürden bedacht sein?
    Brücker: Na ja. Die überwiegende Zahl der Flüchtlinge ist ja 2015 oder 2016 gekommen. Gegenwärtig kommen ja nur noch sehr wenig Menschen. Das heißt, es geht im Wesentlichen um die Gruppe, die jetzt schon hier in Deutschland lebt und ist. Man kann so etwas wie diesen Spurwechsel oder so eine Stichtagsregelung auch wiederholen. Wir haben das in der Vergangenheit schon gemacht; das ist ja nicht das erste Mal, dass wir das in Deutschland tun. Das Wesen einer solchen Regelung ist, dass man das in unregelmäßigen Abständen macht, dass man keine berechenbaren Perspektiven schafft, sondern dass man in unregelmäßigen Abständen so etwas wiederholt. Wichtig ist aber gegenwärtig vor allen Dingen, dass wir Rechtssicherheit schaffen für die Menschen, die schon hier im Lande leben.
    Plädoyer für Einwanderungsgesetz
    Becker: Setzt eine Stichtagsregelung nicht voraus, um sie auch einigermaßen moralisch tragfähig zu machen, dass es zugleich ein geregeltes Zuwanderungsgesetz gibt, das wir jetzt nicht haben?
    Brücker: Das ist weniger eine moralische, das ist eine ökonomische Frage. Im Grundsatz sollte es ja so sein, dass die Menschen, die nicht aus humanitären Gründen kommen, sondern die kommen, um hier zu arbeiten, dass die die Wege der Arbeitsmigration nutzen. Wir wissen auch, dass diese Menschen, die über die erwerbsbezogenen Zugangskanäle kommen, sich in aller Regel sehr gut in den Arbeitsmarkt integrieren. Das heißt, im wohl verstandenen eigenen Interesse sollten wir den Arbeitsmarkt öffnen für Menschen, die die Volkswirtschaft auch brauchen kann, die eine berufliche Ausbildung haben oder vielleicht auch Hochschulabschlüsse haben. Das wäre im Prinzip der sinnvolle Weg - wirtschaftlich, vielleicht auch moralisch.
    Becker: Ist die Stichtagsidee nach Ihrer Einschätzung bereits eingespeist in die Beratungen im Koalitionsausschuss?
    Brücker: Das müssen wir abwarten. Ich denke, so etwas wie eine Stichtagsregelung wird kommen. Wahrscheinlich wird man sich darauf verständigen, dass man das nicht Spurwechsel nennt, sondern Stichtagsregelung. Da geht es ja immer sehr stark auch um Symbole. Aber de facto ist eine Stichtagsregelung natürlich ein Spurwechsel und ich glaube, das ist wirtschaftlich sinnvoll und eine pragmatische Lösung. Wir haben das in der Vergangenheit schon gemacht. Das sollte eigentlich kein großes Politikum sein.
    Becker: Herbert Brücker war das; vielen Dank. Er ist der Experte für Migration beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Danke fürs Gespräch.
    Brücker: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.