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Sri Lankas blutige Vergangenheit

Eigentlich wollte sich Sri Lanka als perfekter Gastgeber beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Commonwealth präsentieren. Doch die blutige Vergangenheit holt das Land einmal mehr ein - zum Entsetzen der Regierung.

Von Michael Frantzen | 16.11.2013
    Es ist ein Comonwealth-Gipfel mit einem eigenen Song. Die Verantwortlichen haben ein fröhliches Lied ausgewählt. Das dazugehörige Video zeigt die atemberaubende Schönheit Sri Lankas, die auch immer mehr deutsche Touristen anlockt. Nichts soll mehr an den fast drei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg gegen die Separatisten der tamilischen LTTE erinnern. Der Krieg ist seit über vier Jahren beendet.

    Die Gastgeberrolle beim Gipfel der ehemaligen Territorien des britischen Empires sollte für Sri Lanka einen Schlussstrich markieren, um endgültig mit Volldampf in die Zukunft durchzustarten. Doch die Premierminister Kanadas und Indiens zum Beispiel boykottieren das Treffen. Und der britische Premier ist angereist, um mit dem Gastgeber einen kritischen Menschenrechtsdialog zu führen. Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse erklärte unlängst im Interview mit Al Jazeera, dass er sich von den Großen isoliert und gemobbt fühlt.

    Es geht vor allem um die letzten Kriegswochen im Frühjahr 2009. Die Armee war in ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die Separatisten tief in den tamilischen Norden vorgestoßen. Zum Schluss waren Abertausende Zivilisten auf einem winzigen Küstenstreifen zusammengepfercht. Sie waren gefangen im rücksichtslosen Kreuzfeuer der Regierungstruppen und der LTTE-Kämpfer.

    Nach Schätzungen der Vereinten Nationen starben mindestens 40.000 Menschen, weil keine der kämpfenden Parteien Rücksicht auf die Bevölkerung nahm. Es gibt erschütterndes, verstörendes Videomaterial - mit Handys gefilmt von Soldaten und überlebenden Zivilisten. Zu sehen sind unter anderem Hinrichtungen und Angriffe auf Krankenhäuser. Die Aufnahmen, die der britische Sender Channel 4 in einer Dokumentation zusammengefasst hat, zeigen offenbar Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch Sri Lankas Präsident lehnt alle internationalen Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung ab. Er sieht sich und seine Soldaten als Sieger im Kampf gegen den Terror.

    "Meine Soldaten haben keine Verbrechen begangen. Ich habe das untersucht, sie haben nicht rücksichtslos geschossen. Wenn jemand falsch gehandelt hat, werde auch ich handeln. Aber ich brauche konkrete Beweise. Ohne Beweise kannst du keine ganze Armee beschuldigen. Es handelt sich hier um pure Propaganda gegen Sri Lanka."

    Mahinda Rajapakse ist ein singhalesischer Nationalist. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist singhalesisch und verehrt ihren Präsidenten – so wie dieser Salzverkäufer in Rajapakses Heimatstadt Hambantota im Süden Sri Lankas.

    "Unser Präsident ist ein Gott", sagt der Mann euphorisch. "Er hat den Krieg beendet, er entwickelt das ganze Land, er sorgt für Arbeit." Die Regierung pumpt viele Millionen in die ehemalige Kampfzone im Norden, um die zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. Sie hat auch die Wahl eines Provinzrates für mehr Selbstverwaltung zugelassen. Doch die tamilische Minderheit fühlt sich weiter unterdrückt und vom Militär drangsaliert und überwacht.

    Diese Frau hat viele Jahre als Flüchtling im benachbarten Indien gelebt. Im Frühjahr ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Aber nach Hause darf sie nicht. Die Armee hat ihr Land beschlagnahmt, ihr Dorf ist nicht mehr ihr Dorf. Die Frau ist heimatlos in der eigenen Heimat. Der sri-lankische Friedensaktivist Jehan Pereira beobachtet die Entwicklung mit Sorge.

    "Die Armee mischt sich im Norden in die Regierungsführung ein. Das sind Menschen mit Waffen, die eine militärische Mentalität haben: oben befiehlt, unten gehorcht. Das hat nichts mit Demokratie und mit offenen, ehrlichen Gesprächen an der Basis zu tun. Doch ohne diese Wahrhaftigkeit wird es in Sri Lanka keine Versöhnung geben, und ohne Versöhnung wird es keine Wahrheit geben. Wir brauchen dringend einen Dialog zwischen allen Parteien, die im Krieg gelitten haben. Wir müssen Vertrauen aufbauen."

    Internationale Journalistenorganisationen bezeichnen die Regierung Sri Lankas als Feind der Pressefreiheit. Die Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen sieht die Insel auf dem Weg zu einem autoritären Staat. Doch die Regierung von Präsident Rajapakse will den Rest der Welt unbedingt vom Gegenteil überzeugen – durch Wiederaufbauprojekte und durch Wirtschaftswachstum.

    "Einige Staaten glauben, dass sie die Polizei sind. Alles, was in Sri Lanka passiert, wird mir und meiner Regierung angelastet. Doch wenn in anderen Ländern etwas passiert, dann sind das isolierte Einzelfälle."