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Zwischen Aufschwung und Repression

Vier Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs geht es in Sri Lanka offenbar aufwärts: Allein im letzten Jahr wuchs die Wirtschaft um sieben Prozent. Doch die Wunden des Kriegs sind noch lange nicht verheilt.

Von Michael Frantzen | 10.08.2013
    Es hat schon stillere Zeiten erlebt: Pasikuda, das Tropenparadies an der tamilischen Ostküste Sri Lankas. Die Bucht gleicht einer Großbaustelle: Überall ziehen Bauarbeiter in sengender Hitze reetbedeckte Strandvillen und Luxushotels hoch, prophezeit ein Riesenplakat der staatlichen Tourismusbehörde: "Das ist erst der Anfang." Einzig die Touristen fehlen; die zahlungskräftigen, westlichen. Bis auf ein krebsrotes britisches Pärchen haben die einheimischen Tagesausflügler und Fischer den sanft geschwungenen Traumstrand für sich alleine. Aber wird schon - übt sich Ebenezer Deldaschen in Zuversicht. Spätestens, wenn der neue Inlandsflughafen fertig sein wird, werden die ausländischen Touristen sicher via Colombo, der Hauptstadt, kommen. Dann wird auch für den tamilischen Christen und sein "Riviera Ressort" etwas vom Touristen-Kuchen abfallen. Seine Urlauber-Siedlung ist idyllisch gelegen: direkt an einer Lagune, in Batticaloa, der nächstgrößeren Stadt. Ebenezer Deldaschen:

    "Es ist jetzt viel besser hier. Ich habe bis vor Kurzem elf Jahre lang in England gelebt. Der Zeitpunkt war genau richtig, zurückzukehren und die Hotelanlage meiner Eltern zu übernehmen. Ich sehe großes Potential im Tourismusbereich. Die meisten Hotels wollen ihre Kapazitäten erweitern - so wie wir. Sprich: Es entstehen neue Jobs. Die Regierung und die Tourismusbehörde helfen, wo sie nur können. Wir spüren jetzt schon, dass mehr Touristen kommen, auf ihrem Weg nach Pasikuda. Etliche machen ein, zwei Tage Station bei uns. Wir gehen davon aus, dass das noch wächst."

    Deldaschens Hotelanlage mit Blick auf das Wahrzeichen der 90.000-Einwohner-Stadt, die rote, noch aus Kolonialzeiten stammende Stahl-Brücke, hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich: Eigentlich war es immer ganz einfach, meint der Mann mit dem kleinen Wohlstandsbauch auf dem Weg von der Bootsanlegestelle an der Lagune zur Rezeption: War Ruhe im Land, war geöffnet, war Bürgerkrieg - geschlossen. So wie Weihnachten 2004, als der Tsunami über Sri Lanka hinwegschwappte und 35.000 Menschen mit in den Tod riss. Das "Riviera Ressort" kam noch glimpflich davon: Es war weit genug weg von der Küste. Nur Sachschäden. Niemand verlor sein Leben. Deldaschen klickt auf ein paar Fotos auf dem Computer seines Büros neben der Rezeption.

    "Ich habe die Fotos schon lange nicht angesehen. Wirklich schrecklich. Bei uns sind drei, vier Leichen angeschwemmt worden. Auch von Kindern. Die waren ja besonders wehrlos. Der Tsunami hatte eine Wahnsinnskraft. Auch, als sich die Wellen zurückzogen. Sie haben alles mitgerissen: den Sand, die Fundamente der Gebäude, einfach alles."

    Pro-Kopf-Einkommen hat sich verdreifacht
    Heute erinnert hier nichts mehr an die Zerstörungswut der Monsterwellen, wie überall an der Küste. Zugute halten das viele Sri Lanker wie Ebenezer Deldaschen nicht zuletzt Präsident Mahinda Rajapaksa. Tatsächlich geht es seit Ende des Bürgerkriegs vor vier Jahren wieder aufwärts. Im letzten Jahr wuchs die Wirtschaft um sieben Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich innerhalb von fünf Jahren auf gut 3000 US-Dollar fast verdreifacht, die Armutsquote halbiert. Eines aber hat der allmächtige Präsident, dessen Clan das Land fest im Griff hat, nicht beseitigen können: Das sind die Spuren des Bürgerkrieges. Sie sind immer noch sichtbar. Wie pechschwarze Perlen reihen sich ausgebrannte Häuser entlang der Küstenstraße zwischen Batticaloa und Pasikuda aneinander, kontrolliert die Armee an jeder größeren Kreuzung den Verkehr. "Victory: Our challenge" - "Sieg: Unsere Herausforderung" prangt an einer Straßensperre unweit des Stadteingangs. Und auch in Batticaloa selbst sind die Folgen des Bürgerkriegs manchmal spürbarer, als man denkt.

    Spielende Kinder, die um einen knorrigen Feigen-Baum herumlaufen: Wenn man es nicht wüsste, könnte man den "Butterfly Peace Garden", den "Schmetterlings-Friedensgarten", am Rande Batticaloas für einen ganz normalen Kindergarten halten. Doch "normal" ist eine Kategorie, mit der die Wenigsten hier etwas anfangen können. Fast alle sind traumatisiert; Opfer des Bürgerkriegs. Roshan ist einer von ihnen: Ein achtjähriger Schlacks mit müden Augen, der zu schüchtern ist, um seine traurige Geschichte einem Fremden zu erzählen. Bis sich die Kinder jemandem anvertrauen, hat Pater Paul die Erfahrung gemacht, dauert es lange. Der Jesuit kümmert sich seit 15 Jahren um tamilische Kinder wie Roshan:

    "Sein Vater ist Alkoholiker. Sie sind extrem arm, sie leben auf dem Land. Im Suff schlägt er Roshan und seine Frau. Während des Bürgerkriegs soll er von der Armee verschleppt worden sein, was genau passiert ist: Darüber redet er nicht. Aber seitdem hat er einen Knacks weg. Roshan hat Angst vor ihm. In der Schule kann er sich nicht konzentrieren, weil er sich ständig um seine Mutter Sorgen macht. Manchmal schwänzt er auch einfach den Unterricht - und geht mit Freunden in den Dschungel. Sie pflücken Beeren. Oder steigen auf Palmen, um Kokosmilch zu trinken. Zu Hause bekommen sie oft nicht genug zu essen."

    Regierung erschwert Geldspenden aus dem Ausland
    Mit dem Bus ist Roshan an diesem Sonntagmorgen aus seinem Dorf abgeholt worden. Gut eine Stunde hat die Fahrt gedauert, über holprige Straßen und Sandpisten, die sich in der Regenzeit in ein Meer aus Schlamm verwandeln. Seit drei Monaten kommt der tamilische Junge zwei Mal pro Woche in den "Butterfly Peace Garden". Speziell das therapeutische Theater-Projekt zum Thema Gewalt habe ihm geholfen, erläutert Pater Paul. Der Jesuit hat sich draußen, in den Schatten, gesetzt. Bis zum Mittag wird das Quecksilber noch auf über 35 Grad steigen.

    "Seit Kriegsende ist unsere Arbeit im Garten schwieriger geworden. Unser bisheriger Hauptunterstützer, eine niederländische Hilfsorganisation, überweist uns seit September letzten Jahres kein Geld mehr. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sagen die Niederländer: Bei euch ist der Krieg doch vorbei, wozu braucht ihr noch unsere Hilfe?! Zum anderen macht es die Regierung ausländischen Spendern immer schwerer Geld ins Land zu bringen und es nach ihren eigenen Vorstellungen auszugeben."

    Bis Ende des Jahres reicht das Geld noch im "Butterfly Peace Garden"; werden Roshan und die anderen weiterhin ein Ort haben, wo sie Mut schöpfen können. Danach? Pater Paul hebt die Hände. Vielleicht, meint er milde lächelnd, sehe die Regierung ja doch noch ein, dass das, was sie machten, wichtig sei; für Sri Lanka und die Zukunft des Landes.


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