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Staat und Kirche in Griechenland
"Sie wollen das Volk gegen die Priester aufhetzen"

Die griechische Regierung plant umfangreiche Reformen in der Religionspolitik. Unter anderem sollen Priester keine Beamten mehr sein – auch, um Ärzte und Lehrer einstellen zu können. Der Erzbischof hat dem zugestimmt, aber Bischöfe und Priester protestieren.

Von Rodothea Seralidou | 14.12.2018
    Der griechische Premierminister Alexis Tsipras bei einem Treffen mit Erzbischof Hieronymus im November 2018.
    Der Athener Erzbischof Hieronymus II. bei einem Treffen mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras im November 2018 (imago / ZUMA Press)
    Sonntagsmesse in der brechend vollen Kirche der Heiligen Fotini in der Athener Gegend Ymittos. Den Gottesdienst leitet heute der örtliche Bischof Daniil. So wie die meisten Bischöfe der orthodoxen Kirche Griechenlands, stellt sich Daniil gegen die Änderungen, die die linksgerichtete griechische Regierung in ihren Beziehungen zur Kirche erreichen will. Allen voran die Festsetzung der "religiösen Neutralität des griechischen Staates" in Artikel 3 der Verfassung, im Rahmen der kommenden Verfassungsreform.
    Bisher war an dieser Stelle der Verfassung die Orthodoxie als privilegierte Glaubensrichtung anerkannt. Eine von der Verfassung festgesetzte religiöse Neutralität des Staates in einem Land, dessen Volk stark religiös sei – das könne die Kirche nicht mittragen, sagt Bischof Daniil.
    "Auch jetzt wird keiner gezwungen, in die Kirche zu gehen oder an Gott zu glauben. Jeder ist frei zu tun, was er will. Wir aber, als geistliche Väter unseres Volkes, wir wollen nicht, dass die Verbindung unserer Gläubigen zu ihrer Religion unterbrochen wird. Denn genau das ist Ziel dieser Reform: dass sich das Volk von seiner Religion entfernt."
    Daniil, Bischof in Athen
    Bischof Daniil befürchtet durch die Reformpläne der Regierung Nachteile für Kirche und Priester (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
    Diese Haltung kann der zuständige Bildungs- und Religionsminister Kostas Gavroglou nicht nachvollziehen. Auch die Kirche werde von einer klareren Definition ihrer Rolle profitieren, sagt er. Denn mit der Orthodoxie als Staatsreligion habe es bisher eine problematische Grauzone gegeben:
    "Die historisch entwickelte Beziehung zwischen Staat und Kirche hat dazu geführt, dass sich beide Institutionen in Angelegenheiten des anderen einmischen, die sie eigentlich nichts angehen. Viele Regierungen haben das ausgenutzt. Sie haben durch die Kirche versucht, die Stimmen der Gläubigen für sich zu gewinnen. Der Staat hat kirchliches Eigentum genommen, ohne die Kirche zu entschädigen. Die Kirche wiederum hat diesen Zustand ausgenutzt, um ihrerseits finanzielle Privilegien zu genießen und, und, und. Wir sagen: Staat und Kirche müssen klar definierte Rollen haben. Deshalb haben wir uns mit dem Erzbischof auf ein Rahmenabkommen von 15 Punkten geeinigt, das genau das zum Ziel hat: die vom Staat getrennte Rolle der Kirche hervorzuheben."
    Streit um Immobilien
    In diesem Rahmenabkommen geht es vor allem um zwei Dinge: Die orthodoxen Priester sollen keine Staatsbediensteten mehr sein, und die Kirche soll Immobilien, deren Besitzverhältnisse unklar sind, einem Fonds übertragen, damit sie privatisiert werden. Diese Immobilien können bisher nicht verkauft oder genutzt werden, da sowohl die Kirche als auch der Staat Besitzansprüche darauf erheben. Die Einnahmen sollen sich Kirche und Staat deshalb teilen, so sieht es das Rahmenabkommen vor. Wie hoch der Wert all dieser Liegenschaften und Flächen ist, könne momentan keiner sagen, so Minister Gavroglou:
    "Wir haben vor einem Jahr angefangen, diese Immobilien zu registrieren. Einige Bistümer haben ihr Land schon angegeben, aber nicht alle. Uns fehlen also noch Fakten, um den Wert schätzen zu können. Wenn wir fertig sind, werden wir wissen, was in den gemeinsamen Fonds kommen kann, um entsprechend veräußert zu werden."
    Der griechische Bildungs- und Religionsminister Kostas Gavroglou
    Der griechische Bildungs- und Religionsminister Kostas Gavroglou (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
    Ob der Mythos einer angeblich steinreichen Kirche sich dann bewahrheitet? Sie soll Immobilien im Wert von hunderten Milliarden, wenn nicht gar Billionen besitzen. Religionsminister Gavroglou bezweifelt das. Man müsse da aber Klarheit schaffen. Das sei aber unrealistisch, sagt hingegen Bischof Daniil. Denn die kirchlichen Güter hätten nicht nur einen Besitzer, sondern viele:
    "Ein Großteil dessen, was wir ‚kirchliches Eigentum‘ nennen, gehört den Klöstern. Jedes Kloster hat aber seine eigenen Entscheidungsträger, und auch sonst ist die Gesetzeslage sehr komplex. Besondere Regeln gelten für den Kirchenbesitz in den Regionen, die mit den Befreiungskämpfen unabhängig wurden; wieder andere Regeln für die Kirche von Kreta, die Region Makedonien oder für die Inseln des Ionischen Meeres. Das müssen Experten klären. Das ist sehr, sehr kompliziert."
    "Die Kirche hat nichts zu befürchten"
    Die Einigung zwischen Staat und Erzbischof wäre nach orthodoxem Kirchenrecht nur gültig, wenn die Bischofskonferenz sie abgesegnet hätte - was sie nicht getan hat. Überrascht vom Alleingang des griechischen Kirchenoberhauptes, stellten sich die Bischöfe in einer turbulenten Sitzung gegen die Abmachung. Vor allem gegen das Vorhaben, den Priestern den Beamtenstatus zu entziehen. Die Gehälter der Priester soll die Kirche laut Rahmenvertrag in Zukunft über einen weiteren Fonds zahlen. Der Staat will diesen subventionieren, so das Versprechen der Regierung. Warum dann einen komplizierten Umweg wählen und nicht direkt die Sache so lassen wie sie ist, fragt sich Bischof Daniil. Er misstraut diesem Vorhaben.
    "Was ist, wenn man dann sagt: Der Staat ist doch religionsneutral und darf die Gehälter der Priester gar nicht subventionieren? Was passiert dann? Wird die Subvention dann gestrichen? Das ist die große Befürchtung unserer Priester."
    Das Gegenargument der Regierung: Wenn die rund 10.000 Priester keine Beamten mehr wären, könne sie stattdessen Ärzte und Lehrer einstellen, die die öffentlichen Krankenhäuser und Schulen bitter nötig hätten, erklärt Bildungs- und Religionsminister Kostas Gavroglou.
    "In den letzten Jahren durften wir kaum Personal einstellen, was zu enormen Engpässen geführt hat. Und nun, nach Ende des Hilfsprogramms der EU, haben wir von den Geldgebern die Vorgabe, dass wir nur Stellen besetzen dürfen, die frei werden. Zum Beispiel wenn jemand in Rente geht. Doch dadurch werden wir den entstandenen Personalmangel nie schließen können. Die Kirche hat nichts zu befürchten: Die Wirtschaft erholt sich, und das Geld reicht sowohl für die Neueinstellungen als auch für die Subventionierung der Priester."
    "Das ist ein erbärmliches Argument"
    Priester vom Staatsdienst entlassen, um Lehrer und Ärzte einzustellen? Bischof Daniil ist entsetzt:
    "Das ist ein erbärmliches Argument. Die Regierung sagt dadurch den Menschen: Seht ihr diese Priester? Dass ihr keine Lehrer für eure Kinder habt und keine Ärzte, daran sind diese Priester schuld. Wenn es die nicht gäbe, dann hättet ihr dieses Problem nicht. Sie wollen das Volk gegen die Priester aufhetzen."
    Der griechische Staat kam bisher für die Gehälter der Priester auf als Gegenleistung für unzählige Immobilien, die er im Laufe seiner Geschichte verstaatlicht hatte, ohne die Kirche entsprechend zu entschädigen. Durch den Rahmenvertrag soll mit Entschädigungsansprüchen aus der Vergangenheit dann ein für alle Mal Schluss sein.
    Auch wenn die Kluft zwischen Staat und Kirche groß ist: Mit dem Rahmenvertrag ist ein Stein ins Rollen gekommen. Die Kirche sei nun zum Dialog mit der Regierung bereit, sagt auch Bischof Daniil. Dafür hat die Bischofskonferenz eine achtköpfige Kommission ins Leben gerufen, bestehend aus Bischöfen, Akademikern, Juristen und einem Gewerkschaftler.
    "Ich hoffe, dass es zu einer Einigung kommt"
    Theoretisch könnte die Regierung auch im Alleingang die Reformen beschließen und der Kirche aufdrücken. Doch das wolle man nicht, sagt Religionsminister Gavroglou:
    "Ich hoffe, dass es zu einer Einigung kommt. Ich möchte nicht spekulieren, was ist, wenn es keine Einigung gibt. Wir müssen uns die Ängste der Priester anhören, und wir müssen ihnen unsere Argumente zu verstehen geben. Eine Einigung wird ein großer Schritt sein für beide Seiten."
    Am kommenden Freitag will sich der Minister nochmal mit den Kirchenvertretern treffen. Wann und wie sich der Staat und die Bischöfe über Immobilien und Gehälter einigen werden, bleibt aber unklar. Und ob sie sich überhaupt einigen werden. Die Verfassungsreform allerdings, die den griechischen Staat als "religionsneutral" definieren soll, die will die linke Regierung in jedem Fall beschließen. Ob mit Zustimmung der Kirche oder ohne.