Archiv


"Staatliche Eingriffe sind unvermeidlich"

Der ehemalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, FDP, hält trotz der globalen Krise im Finanzwesen die Kräfte des Marktes weiterhin für notwendig. Es sei aber auch richtig, dass die Rahmenbedingungen durch den Staat gegeben werden müssen. Insbesondere im Bankenbereich müsse die Aufsicht verbessert werden.

Otto Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Allen Beruhigungsstrategien und Rettungsbemühungen zum Trotz: der Kurseinbruch an den Börsen geht ungebremst weiter. Nach der steilen Talfahrt der Wall Street brach am frühen Morgen das japanische Börsen-Barometer ein. Dem Trend nach unten folgten Südkorea, Australien und Hongkong. Und auch der Tag an der Börse in Frankfurt begann mit einem Erdrutsch.

    "Weltweit müssen neue Richtlinien erarbeitet werden, um das internationale Bankensystem zu reformieren." So schreibt es der britische Premierminister Gordon Brown heute in einem Beitrag für die Zeitung "Times". "Die globale Krise erfordere eine globale Lösung." Dieser Vorschlag dürfte eine Rolle spielen, wenn sich in Washington heute die Finanzminister der sieben führenden Industrienationen G7 treffen, und er dürfte auf Vorbehalte bei dem deutschen Ressortchef Peer Steinbrück stoßen, denn Berlin verfolgt dieser Tage eine Politik, die zwar auf mehr Koordination setzt, letztlich aber nationale Lösungen bevorzugt. Am Telefon begrüße ich jetzt Otto Graf Lambsdorff, den FDP-Politiker und früheren Bundeswirtschaftsminister. Einen guten Tag!

    Otto Graf Lambsdorff: Guten Tag!

    Barenberg: Graf Lambsdorff, die Börsen weltweit gehen in die Knie. Haben Sie eine solche Situation schon einmal erlebt?

    Graf Lambsdorff: Nein. Die Ausmaße, die sich in den letzten Tagen zeigen, haben wir nicht erlebt. Das war auch im Oktober 1987 so drastisch nach meiner Erinnerung nicht der Fall. In der Historie kann man das sehr wohl feststellen, aber zu meiner Zeit, so dass ich es erlebt haben könnte, Antwort nein.

    Barenberg: Wie erleben Sie die Turbulenzen dieser Tage?

    Graf Lambsdorff: Beunruhigt, auf alle Fälle beunruhigt, vor allen Dingen im Gedanken an die Menschen, die ihre Altersversorgung darauf aufgebaut haben, die ihr Vermögen, das sie sich erarbeitet haben, schwinden sehen, aber auf der anderen Seite auch in der Gewissheit, dass unsere Systeme nach wie vor in Ordnung sind und dass wir mit einem vernünftigen liberalisierenden Ansatz von Marktwirtschaft und Demokratie auch diese Vertrauenskrise - denn darum geht es -, diese Vertrauenskrise in den Griff bekommen werden. Es geht nicht um Technik in diesem oder jenem Börsensegment, um Technik in diesem oder jenem Fall des Kapitalverkehrs, sondern es geht generell um das Vertrauen, das die Banken untereinander nicht mehr haben - das wird man einfach so sagen müssen -, und um das Vertrauen, das hoffentlich die privaten Anleger in größerem Umfange zum größten Teil jedenfalls noch haben und das der Staat auch erhalten und schützen muss. Ich weiß, dass eine Garantiezusage, die die Frau Merkel gegeben hat, ordnungspolitisch einen Sündenfall darstellt. Politisch und wirtschaftlich, vor allem psychologisch war es trotzdem völlig richtig.

    Barenberg: Sie haben die Garantie der Bundeskanzlerin angesprochen - über eine Billion Euro geschätzt. Regierungen auf der ganzen Welt schnüren Rettungspakete, treffen sich, vereinbaren Maßnahmen, stimmen Schritte miteinander ab. Und doch vermögen diese politischen Schritte in diesen Tagen eben nicht, den Absturz an den Börsen aufzuhalten. Erleben wir dieser Tage eben auch, wo die Grenzen der politischen Macht sind?

    Graf Lambsdorff: Ja, das ist richtig. Ich möchte aber zwei Bemerkungen machen. Erstens glaube ich nicht, dass es eine Billion wird. Man muss immer denken, dass diese Garantie von Frau Merkel ja über das hinaus geht, was ohnehin an Einlagensicherung in Deutschland besteht, und das ist im internationalen Vergleich gar nicht wenig. Aber es bleibt eine hoch beträchtliche Summe zulasten des Staates, jedenfalls das Risiko einer solchen Summe. Ob sich das manifestiert, das wissen wir heute noch nicht.

    Zum Zweiten ist es richtig, das Vertrauen zwischen den Banken ist nach wie vor nicht in Ordnung, obwohl die Zentralbanken sich zu einer immerhin singulären Zinssenkung auf breiter Front entschieden haben. Ich weiß im Übrigen nicht, ob das ganz richtig war, währungspolitisch richtig war, geldpolitisch richtig war. Aber wie dem auch sei: Sie haben den Versuch unternommen und haben gesehen, dass das wenig Wirkung erzeugt hat. Die Banken untereinander haben dieses Vertrauen bisher auch nicht und wir können eigentlich nur hoffen - man kann da nicht sehr viel tun; man kann da nur sehr viel hoffen -, dass dieses Vertrauen zurückkehrt, wenn einigermaßen vernünftige Abstimmungen zwischen den Ländern und Regierungen erfolgen.

    Nun zu dem letzten Teil Ihrer Frage. Es bedarf einer Koordinierung, einer internationalen Koordinierung. Das G7-Treffen in Washington in dieser Woche, an diesem Wochenende wird hoffentlich etwas bringen. Wahrscheinlich hat Herr Paulson, der amerikanische Finanzminister, nicht Unrecht, wenn er sagt, in dieser Situation brauchen wir wahrscheinlich die G20, also auch die Schwellenländer dabei. Und das heißt - und das ist wichtig -, dass wir in Zukunft vermutlich eine ganz andere Tektonik im Währungssystem und im internationalen Wirtschaftssystem haben werden. Die Gewichte verschieben sich. Es wird bei der vollständigen Dominanz der Wall Street nicht bleiben. Es werden andere Player viel stärker in Erscheinung treten. Man muss ja immer daran denken, wie viele Gläubiger der USA inzwischen in dieser Entwicklung auch schon ihr Geld verloren haben. Bei China rechnet man mit 500 bis 600 Millionen Dollar, die verlustig gegangen sind.

    Barenberg: Graf Lambsdorff, hat sich mit dieser Entwicklung nicht auch die Idee eines selbst regulierenden Marktes auf längere Sicht diskreditiert und nicht nur für den Moment?

    Graf Lambsdorff: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Kräfte des Marktes auch nach wie vor notwendig sind. Aber es ist auf der anderen Seite richtig, dass die Rahmenbedingungen durch den Staat gegeben werden müssen, dass insbesondere im Bankenbereich die Aufsicht gegeben werden muss und dass der Staat auch dafür sorgen muss, dass Produkte hergestellt und verkauft werden in diesem sehr schwierig zu überschauenden Finanzierungssystem und Bankensystem, die diejenigen, die sie verkaufen, überhaupt noch verstehen. Ich hatte auch in den letzten Jahren zunehmend den Eindruck, dass den Privatkunden, aber auch den Institutionen, auch den Fonds Dinge verkauft werden, Konstruktionen verkauft werden, über deren Risiko sie sich nicht im Klaren sind und die sie technisch auch nicht einmal verstehen. Das gilt für die Subprime Mortgages bis hin zu Derivaten-Optionen und Leerverkäufen und Ähnlichem.

    Barenberg: Sehen Sie sonst noch Anhaltspunkte dafür, dass die Kräfte des Marktes versagt haben? Die Finanzprodukte haben Sie gerade als ein Beispiel genannt.

    Graf Lambsdorff: Die Kräfte des Marktes haben in dieser Situation sicherlich nicht das geleistet, was wir haben wollten. Ich bin auch deswegen der Meinung, dass hier Reparaturarbeiten notwendig sind. Aber wenn der Motor meines Autos kaputt gegangen ist, dann versuche ich, den Motor zu reparieren und nicht gleich das ganze Auto wegzuschmeißen.

    Barenberg: Welche Reparaturmaßnahmen wären das dann?

    Graf Lambsdorff: Zum Beispiel ist das in Deutschland eine Verbesserung der Aufsichtsfunktion am Kapitalmarkt. Es ist in Deutschland auch die Aufgabe, die Zentralbanken und auch die Europäische Zentralbank wirklich unabhängig handeln zu lassen - nicht nur rechtlich, sondern auch politisch. Das hat man doch in den letzten Wochen erlebt, dass da Druck ausgeübt worden ist auf die Europäische Zentralbank, politischer Druck, der schließlich auch dazu geführt hat, dass die Zinssenkungen so vorgenommen worden sind, wie wir sie erlebt haben. Und es muss ein steuerlicher und gesetzlicher Rahmen geschaffen sein, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts sichert. Das sind schon eine Menge Aufgaben für eine Bundesregierung, die leider dank ihrer Konstellation der Großen Koalition und dem Schluss der Legislaturperiode nicht sehr handlungsfähig ist.

    Barenberg: Die Briten verstaatlichen Teile ihres Bankensystems. In den USA wird ein solcher Schritt erwogen. Muss sich die Bundesregierung eine solche Lösung nicht auch offen halten?

    Graf Lambsdorff: Nein. Ich halte die Position der Bundesregierung, Verstaatlichung nicht zu akzeptieren, für richtig. Staatliche Eingriffe - das haben wir eben besprochen - sind notwendig und sind unvermeidlich. Eine Verstaatlichung, wo der Staat sich plötzlich in der Rolle des Bankiers befindet, und das bei allen Großbanken in manchen Ländern, wie man das jetzt in Irland erlebt und wie man das in Island erlebt, die schon beinahe vorm Staatsbankrott gestanden haben, und wie das auch in England angepeilt wird, das halte ich nicht für richtig. Ich glaube nicht, dass uns das hilft.

    Barenberg: Letzte Frage. Es gibt eine Konjunktur für staatliche Regulierung. Das muss man, glaube ich, zur Kenntnis nehmen derzeit. Heißt das auch, dass sich die Koordinaten in der Parteienlandschaft hierzulande verschieben, etwa mit Blick auf die Bundestagswahl? Wird das Auswirkungen auf den Wahlkampf haben, auf die Positionen der Parteien?

    Graf Lambsdorff: Ich kann das nicht voraussagen. Ganz sicherlich ist, es hat diese Finanzkrise Auswirkungen auf den amerikanischen Wahlkampf. Das erlebt man ja jeden Tag. Ob das auf den deutschen Wahlkampf sich auswirkt, weiß ich nicht. Aber wir sollten uns jetzt nicht einfallen lassen, dass Regulierung, Überregulierung und Bürokratie nun plötzlich was Gutes seien. Es bleibt nach wie vor, dass Überbürokratisierung und zu viel Regulierung von Schaden sind. Es muss alles mit Maß und Vernunft gemacht werden, und es muss vor allen Dingen in den Bereichen getan werden, wo man solche staatlichen Eingriffe braucht, aber nicht in den vielen anderen Bereichen, wo uns die Bürokratie mit täglichem Ärger versorgt.