Dienstag, 19. März 2024

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Staatsbesuch in Deutschland
"Erdogan kommt als Freund"

Beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten in Deutschland geht es nach Ansicht des AKP-Politikers Mustafa Yeneroglu nicht um konkrete Zugeständnisse. Es gehe darum, wieder zueinander zu finden, sagte er im Dlf. Die Türkei trage nicht die Hauptverantwortung an der "Entrüstungsspirale" der vergangen Jahre.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Dirk Müller | 28.09.2018
    Mustafa Yeneroglu (AKP), der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments
    Mustafa Yeneroglu ist Politiker der türkischen Regierungspartei AKP (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Dirk Müller: Blicken wir noch einmal auf den März 2017 zurück. Erdogan wirft Angela Merkel Nazi-Methoden vor, und zwar wo – das ist die Frage -, bei wem? Dann antwortet Erdogan, bei meinen türkischen Geschwistern in Deutschland, bei meinen Ministergeschwistern, bei meinen Abgeordnetengeschwistern, die dort hinreisen, also nach Deutschland. Und mit Blick auf Europa ergänzt Erdogan, dort könnten Gaskammern und Sammellager wieder zum Thema gemacht werden, aber das trauen sie sich nur nicht. 18 Monate her, diese Worte des Präsidenten. Nun ist er hier in Deutschland und will einen Neustart.
    Am Telefon ist nun der türkische Regierungspolitiker Mustafa Yeneroglu, ein enger Berater von Präsident Erdogan. Einen schönen guten Morgen.
    Mustafa Yeneroglu: Ja, hallo! Einen schönen guten Morgen.
    Müller: Herr Yeneroglu, ist die Zeit der Nazi-Methoden in Deutschland wieder vorbei?
    Yeneroglu: Zum einen hat Präsident Erdogan, so wie es in den letzten Tagen wieder in der Presse kursiert war, nicht der deutschen Öffentlichkeit, der deutschen Gesellschaft oder den deutschen Politikern an sich Nazi-Methoden vorgeworfen, sondern er hat bestimmte Kenntnisse über die damaligen Vorfälle genommen und hat gesagt, das sind, von der Art her ähneln sie Nazi-Methoden.
    "Spirale verbaler Entrüstung hat niemanden glücklich gemacht"
    Müller: Er hat nicht die Kanzlerin gemeint? So wurde das zitiert in Deutschland, von allen Medien.
    Yeneroglu: Er wird sich wahrscheinlich auch noch mal, wenn die Presse ihn die Tage danach fragen wird, dazu äußern und wird auch dazu sicherlich noch mal sagen, dass er keine bestimmte Person, sondern an sich eine Methode angewendet hat, die ihn an Nazi-Methoden erinnert. Aber wir wissen alle ganz genau, dass diese Äußerungen absolut unglücklich gewesen sind, dass sie in Deutschland sehr, sehr viele Menschen verletzt haben, dass sie zu einer Entrüstung geführt haben. Genauso ist es in der Türkei gewesen, wenn man den Türken den Völkermord an den Armeniern vorgeworfen hat. Die gleiche Entrüstung hat es auch da gegeben. Es ist jetzt so, dass wir die letzten drei, vier Jahre mit dieser Spirale von verbalen Entrüstungen gelebt haben und dass das niemanden glücklich gemacht hat.
    Müller: Der Präsident hat das jetzt auch bedauert intern, auch Ihnen gegenüber, das gesagt zu haben?
    Yeneroglu: Der Präsident hat das konkretisiert und hat gesagt, er hat weder das deutsche Volk, die deutsche Gesellschaft, noch einen bestimmten Politiker in die Nähe von Nazis rücken wollen.
    Müller: Aber wen hat er denn jetzt gemeint?
    Yeneroglu: Die Methoden, die Art und Weise. Wenn jemand so und so was macht, dann erinnert das mich an Nazi-Methoden, hat er geäußert.
    "Erdogan wollte deutsche Gesellschaft nicht verletzen"
    Müller: Und wer macht was wie?
    Yeneroglu: Darüber kann man jetzt im Detail streiten. Es gab damals eine Situation, wo Gäste aus der Türkei abgelehnt wurden.
    Müller: Sind das Nazi-Methoden?
    Yeneroglu: Ich meine, mit Nazi-Methoden spielen Sie auf den Holocaust oder auf …
    Müller: Diese Assoziation kommt ja in Deutschland. Das wissen Sie ja genauso gut wie wir.
    Yeneroglu: Genau das meine ich ja. Es ist im Ausland oft so, dass mit Nazi-Methoden in Deutschland natürlich die Nähe zum Holocaust dann sofort verstanden wird, im Ausland aber es manchmal anders gesehen wird. Und als jemand, der in Deutschland sozialisiert ist, hat mich das auch tief betroffen und ich habe das auch damals öffentlich erklärt und auch den Präsidenten darüber informiert, wie das in Deutschland möglicherweise ankommen wird.
    Müller: Das war ja meine Frage, weil Sie haben diesen engen Draht, Herr Yeneroglu, zum Präsidenten. Hat er gesagt, okay, dann war das ein Fehler, ich bedauere das?
    Yeneroglu: Wir haben darüber gesprochen. Ich bin nicht in der Situation, den Präsidenten über Fehler aufzuklären beziehungsweise ihm solche darzustellen. Ich habe ihm erklärt, wie so was in Deutschland aufgenommen wird, wie so was verstanden wird, dass es Millionen Menschen verletzt, und er hat das auch so erkannt und hat erklärt, mir gegenüber, auch später der Öffentlichkeit gegenüber, dass er weder die deutsche Gesellschaft damit angreifen und verletzten wollte, noch irgendwelche Politiker.
    "Wieder eine positive Atmosphäre darstellen"
    Müller: Jetzt wollen viele einen Neustart. Der Präsident will das, wenn wir ihn richtig verstanden haben. Er hat das ja auch explizit so ausgedrückt. Sie haben das auch in vergangenen Interviews hier im Deutschlandfunk schon angedeutet und angekündigt. Viele in der deutschen Politik wollen das auch, aber unter bestimmten Bedingungen. Da sind die einen konsequenter, die anderen vielleicht nicht so konsequent in ihren Formulierungen. Welches politische Zugeständnis hat der türkische Präsident im Gepäck für Deutschland?
    Yeneroglu: Es geht für beide Seiten nicht darum, irgendwelche Zugeständnisse irgendwelcher konkreter Art zu machen. Es geht wieder darum, dass man zueinander findet, dass man sich näher kommt, dass man sich des beiderseitigen strategischen Interesses bewusst ist, dass man wieder eine positive Atmosphäre darstellt, dass die Partnerschaft eine historisch gewachsene ist, dass sie feste Pfeiler hat, dass man sich darüber wieder bewusst wird und dass man gemeinsame Interessen und gemeinsame Herausforderungen in den Vordergrund stellt.
    Müller: Aber das wussten wir auch vor zwei Jahren und vor drei Jahren, was Sie jetzt sagen.
    Yeneroglu: Ja, sicherlich! Aber ich meine, es ist jetzt nicht so, dass die Türkei jetzt an der Entrüstungsspirale die Hauptverantwortung trägt. Wir haben eine Entwicklung gehabt, die begonnen hat mit der Armenien-Resolution im Bundestag, die letztendlich dazu geführt hat, dass die türkische Öffentlichkeit nicht verstanden hat, warum Deutschland, warum der Deutsche Bundestag eine solche Entscheidung trifft. Und das hat dann zu weiteren Maßnahmen in der Türkei geführt, zu Äußerungen in der Türkei geführt, die in Deutschland nicht verstanden wurden und wo entsprechend reagiert wurde.
    "Die Türkei kommt nicht als Bittsteller"
    Müller: Es ist ja nicht nur in Deutschland so festgestellt worden beziehungsweise beschlossen worden, eine derartige Resolution. Da sind ja viele europäische Länder auch beteiligt.
    Yeneroglu: Nein, nein! Das stimmt nicht. Die Armenien-Resolution ist damals eine im Bundestag beschlossene Resolution gewesen. Danach ist es auch in Frankreich diskutiert worden. Aber aufgrund der Enge der Partnerschaft zwischen der Türkei und Deutschland hätte das nicht sein dürfen. Das haben später deutsche Politiker auch allseits eigentlich erkannt. Es hat auch nie dazu geführt, dass man damit irgendetwas erreicht hat für die Armenier in der Türkei, für Armenien oder sich dieser Auseinandersetzung angenähert hat. Selbst Deutschland hat auch viele eigene Fehler dabei zumindest in persönlichen Gesprächen erklärt. Jedenfalls das war alles aus meiner Sicht unglücklich. Wir müssen jetzt uns auf die Sachthemen, die auf dem Tisch sind, konzentrieren, und da gibt es eine ganze Menge an gemeinsamen Interessen, auch an Dissens natürlich, über die gesprochen werden soll.
    Müller: Herr Yeneroglu, reden wir doch, mal ganz kurz nach vorne blickend, was Cem Özdemir hier im Deutschlandfunk gesagt hat. Der Präsident kommt, weil er vor allem Geld braucht, weil er Geld will, weil er wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, weil die Türkei in einen ökonomischen Abwärtsstrudel geraten ist. Was will Erdogan?
    Yeneroglu: Der Präsident kommt, weil er eingeladen ist, weil er als Staatsgast in Deutschland einen Staatsbesuch nach sieben Jahren macht. Damals war es der letzte für den damaligen Staatspräsidenten der Türkei. Bundespräsident Steinmeier hat noch in den letzten Tagen als Außenminister ihn eingeladen. Dem kommt er jetzt nach. Und die Türkei kommt nicht als Bittsteller nach Deutschland, oder um sich für irgendwelche Vorwürfe, die in Deutschland da sind, zu rechtfertigen. Er kommt als Freund!
    Erfolgreiche Syrien-Politik
    Müller: Er kommt als Freund. - Reden wir über die Wirtschaft. Braucht die Türkei deutsche Investitionen, deutsches Geld?
    Yeneroglu: Jedes Land braucht Investitionen. Auch Deutschland braucht Investitionen im Land. Und jedes Land versucht, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, um Investitionen im Land zu steigern. Es ist in beiderseitigem Interesse, dass sowohl türkische Firmen in Deutschland als natürlich auch vor allem deutsche Firmen in der Türkei investieren, und da gibt es eine sehr breite Palette an Möglichkeiten. Die Infrastruktur, das ist bekannt, die erneuerbaren Energien, Automobilindustrie, die Türken sind ein sehr konsumfreudiges Volk, der Tourismus. Es sind eine ganze Menge an Stichpunkten, die einem einfallen, wenn es darum geht, welche Interessen wir in Handels- und Wirtschaftsbeziehungen haben.
    Müller: Steht das denn ganz oben auf der Agenda? Ist das der wichtigste Punkt, den der Präsident machen wird, machen will?
    Yeneroglu: Nein! Es gibt viele andere Punkte. Der Präsident wird auch über die Situation im Nahen Osten sprechen. Der Präsident wird über die Situation der jetzt noch abgewendeten humanitären Katastrophe in Idlib sprechen und sich sicherlich dafür bedanken, dass er auch die Unterstützung von Deutschland für die Politik gehabt hat, die ja letztendlich erfolgreich gewesen ist und wahrscheinlich hunderttausende Menschen vor dem Tod und vor einer weiteren Massenauswanderung geschützt hat. Er wird letztendlich auch deutlich machen, dass das die europäische Sicherheit geschützt hat mit diesen Maßnahmen, und gemeinsam die Situation erörtern und darüber auch sprechen, wie man in Syrien vorankommen kann. Und es sind weitere andere Fragen, die gemeinsam erörtert werden müssen. Das ist die Terrorgefahr, das ist die Flüchtlingsfrage, die natürlich nicht gebannt ist, die nach wie vor eine globale Problematik ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.