Freitag, 29. März 2024

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Staatsfolter in Syrien
"Prozesse sind dazu geeignet, den Nimbus von Macht anzufechten"

Mit dem Prozess gegen zwei mutmaßliche Folterer des syrischen Regimes sei die Hoffnung verbunden, dass im Machtapparat in Syrien selbst ein Nachdenken losgehe, sagte der Anwalt Wolfgang Kaleck im Dlf. Jedem Beteiligten dort müsse klar sein, dass ihm irgendwann die Verhaftung drohe.

Wolfgang Kaleck im Gespräch mit Christiane Kaess | 23.04.2020
Satellitenaufnahme des Sednaya-Gefängnisses nahe Damaskus aus dem Februar 2013.
Satellitenaufnahme des Sednaya-Gefängnisses nahe Damaskus aus dem Februar 2013 (Anmesty International / Google Earth)
Seit Jahren steht der Krieg in Syrien für eine der schlimmsten humanitären Katastrophen. Die zentrale Rolle dabei hat das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Ihm werden zahlreiche Gräueltaten an politischen Gegnern vorgeworfen. In Deutschland beginnt heute das weltweit erste Strafverfahren gegen ehemalige Mitglieder des Assad-Regimes. Zwei Männer aus Syrien sind angeklagt, die im Februar letzten Jahres in Berlin und Rheinland-Pfalz festgenommen wurden. Sie sollen für etliche Folterungen und Tötungen verantwortlich sein. Im Moment sitzen sie in Untersuchungshaft, ab heute müssen sie sich vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten. Dort sind für den Prozess 24 Verhandlungstermine bis zum 13. August angesetzt.
Die Zeugen in diesem Prozess werden beraten vom European Center for Constitutional and Human Rights, kurz ECCHR. Die Organisation mit Sitz in Berlin geht Menschenrechtsverletzungen weltweit nach, ihr Generalsekretär ist Wolfgang Kaleck.
Angeklagte haben "an schwersten Straftaten mitgewirkt"
Christiane Kaess: Herr Kaleck, wer sind die beiden Angeklagten?
Wolfgang Kaleck: Die beiden Angeklagten waren beide in unterschiedlichen Funktionen in einem Gefängnis in Damaskus tätig, wo Tausende von Menschen gefoltert wurden. Der eine Abteilungsleiter, also schon ein mittelhoher Offizier, und der andere eher in einer untergeordneten Rolle.
Kaess: Wie sind diese Männer nach Deutschland gekommen und wie ist man hier auf sie aufmerksam geworden?
Kaleck: Na ja, wie wir gerade im Vorbericht gehört haben, die Bundesanwaltschaft ermittelt seit Längerem im Komplex Syrien und macht zweierlei: Zum einen guckt sie sich an, wer die Hauptverantwortlichen sind, und deswegen ist auch gegen einen Geheimdienstchef, Jamil Hassan, ein internationaler Haftbefehl 2018 ergangen. Auf der anderen Seite schaut man halt schon, ob bei den vielen syrischen Geflüchteten auch Menschen dabei sind, die an diesen Straftaten beteiligt waren. Da geht man halt Zeugenaussagen nach, und in dem Fall hat es eben zu diesen zwei Verhaftungen geführt. Der Prozess wird einerseits auf Zeugenaussagen von Menschen beruhen, die in dem Gefängnis gefoltert wurden, und zum anderen auch auf Dokumenten.
Kaess: Lassen Sie uns da über die Zeugenaussagen und die Beweismittel gleich noch weitersprechen, aber noch kurz die Frage: Warum sind diese beiden Männer aus Syrien dann geflohen, wenn sie doch Teil des Regimes waren?
Kaleck: Na ja, es haben sich auch Leute abgesetzt – und dazu gehören wohl die beiden –, die Gründe werden dann im Einzelnen im Prozess erörtert werden müssen. Aber sie haben sich von ihren Funktionen abgesetzt, allerdings haben sie halt in erheblichem Zeitraum an schwersten Straftaten mitgewirkt. Dem einen werden 58 Tote geworfen.
"Standards des fairen Verfahrens dürfen nicht angekratzt werden"
Kaess: Und wie werden die Beweise in diesem Prozess erbracht?
Kaleck: So wie immer – natürlich etwas schwieriger, weil der Tatort Syrien war. Aber es werden aus der großen syrischen Exil-Community in Europa eine ganze Reihe von Zeugen vorgeladen. Viele der Menschen, die sich hierher geflüchtet haben, sind Überlebende von schwerster Gewalt und vor allem auch Staatsfolter, und von diesen Menschen haben sich einige bereiterklärt, als Zeugen auszusagen. Das wird sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Zum anderen gab es Menschenrechtsorganisationen und später aber auch UN-Institutionen so wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die auch versucht hat, Dokumente aufzufinden, die die Schuld der beiden Angeklagten belegen können.
Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) posiert im Rahmen einer Pressekonferenz zur strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für Folter in Guantanamo am 27.06.2013 in Berlin.
Der Anwalt Wolfgang Kaleck (dpa/picture-alliance/Jörg Carstensen)
Kaess: Also man kann diese Aussagen überprüfen?
Kaleck: Muss, man muss sie überprüfen. Um jegliches Missverständnis auszuräumen, wir sind ja auch diejenigen, die auch versucht haben, Verfahren zu initiieren, die dafür sind, dass diese Straftaten verfolgt werden, aber wir sagen auch ganz klar, deutsches Strafprozessrecht, die Standards des fairen Verfahrens dürfen nicht angekratzt werden. Das heißt, es muss natürlich jeder Beweis sorgfältig untersucht werden, und deswegen wird das Verfahren sich auch länger hinziehen, als sich das mancher wünscht.
Kaess: Wie lange in etwa?
Kaleck: Das letzte Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch, um das es hier ging, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hat mehrere Jahre vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gedauert, und es kann hier auch so lange dauern. Keiner wünscht sich das, aber es darf sich auch keiner beklagen, denn Strafprozess ist Strafprozess.
"Das sogenannte Nachtatverhalten kann berücksichtigt werden"
Kaess: Jetzt ist einer der beiden Männer – Anwar R., Sie haben ihn schon kurz genannt und haben auch das schon gesagt –, der ist eben eine wichtige Figur im Gewaltregime von Assad gewesen. Der andere Angeklagte war mutmaßlich zumindest eher Mitläufer oder, wie Verwandte von ihm in Deutschland sagen, jemand, der sich von Assads Regime dann losgesagt hat, als ihm klar wurde, was dieses Regime anrichtet. Von der Seite kommt jetzt der Vorwurf, wenn so jemand bestraft würde, dann helfe man damit eigentlich Assads Regime.
Kaleck: Das ist natürlich eine berechtigte Frage. Auf der anderen Seite kann das sogenannte Nachtatverhalten der beiden Angeklagten berücksichtigt werden. Natürlich spielt es vor dem Gericht bei der Strafzumessung eine Rolle, ob jemand bis zum Ende sagt, es war richtig, Tausende von Menschen zu foltern und zu töten, oder ob jemand sagt, ich hab mich davon abgesagt. Aber der erste Schritt ist doch erst mal festzustellen, waren die daran beteiligt oder nicht. Ich meine, wenn man an der massenhaften Folterung von Menschen und auch an der daraus resultierenden Tötung beteiligt war, denke ich, muss man auch drauf gefasst sein, dass man sich dem auch vor dem Gericht zu stellen hat. Das ist hier der Fall. Dann, in einem zweiten Schritt, geht es natürlich darum, wie werden die bestraft, und da mögen dann alle diese Gesichtspunkte angemessen berücksichtigt werden.
Kaess: Welche Strafe droht denn den Angeklagten?
Kaleck: Na ja, in dem einen Fall, im ersten Fall von dem Anwar R., droht lebenslänglich, weil es um die Ermordung von Menschen geht, und für den Mord an einem Menschen droht die lebenslange Freiheitsstrafe. Man kann sich ausrechnen, wie das dann bei Mord an 58 Menschen und bei der weiteren Folterung von 4.000 Menschen ist. Da drohen schon erhebliche Strafen.
Das "Ausmaß des Folterapparats in der Assad-Regierung" zeigen
Kaess: Herr Kaleck, was bedeutet dieser Prozess für die deutsche Justiz, vor welchen Herausforderungen steht man denn da?
Kaleck: Einerseits ist es klar, es ist eine große Herausforderung, weil es geht um Staatskriminalität in einem anderen Land – das ist nie einfach, und da beneide ich sicherlich auch das Oberlandesgericht Koblenz nicht. Auf der anderen Seite ist es Alltag vor deutschen Gerichten, auch Sachverhalte zu beurteilen, die sich im Ausland abgespielt haben, zum Beispiel bei Betäubungsmittelkriminalität oder auch bei organisierten Verbrechen. Wir müssen dazu kommen, dass Deutschland und auch die anderen europäischen Staaten genau in solchen Fällen wie Syrien einspringen, wenn internationale Gremien nicht zuständig sind.
Kaess: Was würden Sie sich denn als Signalwirkung von dem Urteil, das ja dann irgendwann kommt, erhoffen?
Kaleck: Klar ist, dass es uns nicht um die Strafhöhe geht, sondern uns geht es darum, dass in diesem Verfahren klar wird, welches Ausmaß der Folterapparat in der Assad-Regierung hatte, und dass dies vor allem auch bei der exilsyrischen Community in Deutschland, in Europa, aber schließlich auch in der syrischen Gesellschaft ankommt. Und dass es auch einen Impuls dafür gibt, dass es zu einem späteren Zeitpunkt entweder vor einem internationalen Tribunal oder gar in Syrien selber solche Strafprozesse stattfinden, weil es geht natürlich darum, dass sich die syrische Gesellschaft damit auseinandersetzt, was da passiert ist. Das ist im Moment leider dadurch verhindert, dass eben die Täter noch nach wie vor unangefochten an der Macht sind.
"Dass im Appartat ein Nachdenken losgeht"
Kaess: Gibt es denn Reaktionen aus Syrien oder wissen Sie, ob der Prozess dort verfolgt wird?
Kaleck: Wir wissen, dass der Prozess dort verfolgt wird, das wissen wir seit dem, wie vorhin angesprochen, internationalen Haftbefehl auch gegen den Luftwaffenchef Jamil Hassan. Die Folter spielt natürlich eine große Rolle in der Einschüchterung der Opposition. Das ist eine Inszenierung von Macht, und diese Macht lebt auch davon, dass sie sozusagen unangefochten, unangekratzt ist. Natürlich sind solche Prozesse dazu geeignet, auch diesen Nimbus von Macht anzufechten, und da erhoffen wir uns natürlich, dass nicht nur aufseiten der Betroffenen, sondern in dem Apparat selber auch ein Nachdenken losgeht – was machen wir da eigentlich und birgt das nicht eine gewisse Gefahr. Eventuell bröckelt dann auch irgendwann mal was. Das andere ist natürlich, die Botschaft muss klar sein. Es kann auch nach drei, fünf, sieben oder zehn Jahren Prozesse geben gegen diejenigen, die dann vielleicht nicht mehr an der Macht sind, die dann gerne mal zu einer Herzoperation nach Hannover fahren oder ihr Konto in der Schweiz abräumen, und dann droht ihnen eine Verhaftung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.