Remme: Herr Scharping, ist die Krise rund um Tetovo ausgestanden?
Scharping: Zunächst und äußerlich ja. Es gibt ja die Gespräche beim Präsidenten Trajkovski zwischen den politischen Parteien und den Bevölkerungsgruppen. Darauf wirkt die Europäische Union, darauf wirkt die Bundesregierung ein mit einem doch beachtlichen Druck, was diesen interethnischen Dialog angeht. Ich persönlich hoffe, dass diese Gespräche zu sehr konkreten Ergebnissen führen, denn sonst könnte sich die Situation in Mazedonien als durchaus fragil herausstellen.
Remme: Sie haben diesen Druck erwähnt. Haben Sie den Eindruck, die Regierung in Skopje handelt inzwischen aus eigener Erkenntnis oder ist da auch weiterhin Druck nötig?
Scharping: Beides!
Remme: Das war eine kurze Antwort. Können Sie erklären: Hat die Regierung in Skopje denn bereits konkrete Entscheidungen in Gang gebracht, um die Situation zu verbessern?
Scharping: Jedenfalls stimmte man bei den Gesprächen beim Präsidenten darin überein, dass zum Beispiel die Charta der Europäischen Union für den Gebrauch von Sprachen der Minderheiten ratifiziert werden soll, dass die dritten Fernsehprogramme für die Minderheiten und deren Sprache geöffnet werden sollen und so weiter. Das signalisiert eine gewisse Bereitschaft, sich über die praktischen Fragen hinzubewegen zu den wirklich großen Fragen, die sich am Ende sogar im Zusammenhang mit der Verfassung Mazedoniens stellen können. Jedenfalls wollen das einige Parteien. Das bietet die Chance einer Vertrauensbildung, aber es birgt auch das Risiko, dass man zu den entscheidenden größeren Fragen erst zu einem Zeitpunkt kommt, wo die Ungeduld schon wieder zu stark angewachsen sein könnte.
Remme: Vor zwei Wochen hat die EU ein Partnerschaftsabkommen mit Mazedonien geschlossen. Das Land hat eine Schlüsselrolle inne. So wurden Sie gestern noch einmal zitiert. Worin besteht denn diese besondere Rolle Mazedoniens?
Scharping: Das ist ein Land mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen, einem sehr starken, 25- bis 30prozentigen Anteil der albanischstämmigen Bevölkerung, ist also von der Verfassung her ein multiethnischer und zugleich demokratischer Staat. Es ist eine Chance, weil die Albaner jedenfalls in Mazedonien und nach offiziellen Bekundungen mittlerweile große albanische Vorstellungen nicht mehr verfolgen. Hier könnte also ein die Integrität, die Stabilität Mazedoniens wahrender, dauerhaft sichernder Kompromiss gefunden werden. Das wiederum könnte ein gutes Vorbild werden für das, was zum Beispiel im Kosovo noch zu regeln sein wird. Wir wissen doch alle: Wenn sich in einem dieser Staaten auf dem Balkan neue Bewegungen in Gang setzen nach dem Motto, wir als Bevölkerungsgruppe wollen unseren eigenen Staat, dann löst das einen Domino-Effekt aus, der die gesamte Stabilität auf dem Balkan wieder in Gefahr bringen kann.
Remme: Hatten Sie Gelegenheit, mit Vertretern der Albaner zu sprechen?
Scharping: Ja, ich habe mit beiden Vorsitzenden der albanischen Parteien lange Gespräche geführt und sehe dort eine gewisse Bereitschaft, allerdings auch eine gewisse Ungeduld hinsichtlich der Gespräche, die beim Präsidenten zu führen sind. Im übrigen sehe ich die sehr klare, übrigens verständliche Erwartung, dass solche Gespräche am Ende dann auch in politische Entscheidungen umgesetzt werden müssen. Es kommt hinzu, dass man offenkundig darüber nachdenkt, wie man die politischen Mehrheiten im Parlament verbreitern kann.
Remme: Herr Scharping, ein Besuch bei Soldaten der Bundeswehr auf dem Balkan inzwischen eine Routineangelegenheit?
Scharping: Nein, ganz im Gegenteil, weil die letzten Wochen ja doch gezeigt haben, unter welch risikoreichen Bedingungen die Soldaten ihren Dienst tun. Sie haben allerdings auch gezeigt, mit welcher Ruhe, welcher Umsicht, welcher Leistung, welcher Motivation die Soldaten diesen Dienst tun, denn unter Beschuss eine Kaserne räumen, die Versorgung der Truppe aufrecht zu erhalten und das alles sehr gut, sehr konsequent zu machen, das zeigt eine hohe Leistungsfähigkeit und eine hohe Leistungsbereitschaft.
Remme: Wie lange wird die Bundeswehr noch vor Ort sein?
Scharping: Ich halte nichts davon, über Zahlen zu spekulieren. Wir wollen Ziele erreichen und nähern uns diesen teilweise mit sichtbarem Fortschritt, manchmal allerdings auch langsam, was nicht an der Bundeswehr oder den internationalen Truppen liegt, sondern daran, dass es im Kosovo beispielsweise unverändert Gewaltbereitschaft gibt, die sich manchmal auch auf eine ganz hässliche Weise austobt.
Remme: Ist denn ein Abzug der Bundeswehr auf dem Balkan in Sicht?
Scharping: Nein!
Remme: Vielen Dank! - Der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping war das im Deutschlandfunk.
Link: Interview als RealAudio