
Mein Name ist Marc Dugge. Ich bin Spanien-Korrespondent für die ARD. Wenn ich mit Ceuta zu tun habe, dann meist, wenn wieder einmal Gruppen von Afrikanern den Grenzzaun überwunden haben. Oder wenn die Polizei in einer Nacht und Nebel-Aktion mutmaßliche Terroristen verhaftet hat. Tatsächlich kennen viele Spanier Ceuta als Problembezirk. Mit recht?
Ich bin Jens Borchers, ARD-Korrespondent in Nordwestafrika. Ich lebe in Marokko. Dort heißt Ceuta nicht Ceuta. Sondern Sebta. Einfach weil die marokkanischen Mächtigen sagen: Sebta ist marokkanisch, nicht spanisch. Wenn ich also auf die Landkarte schaue, bevor ich in den Norden Marokkos fahre, dann sehe ich diesen kleinen, 18,5 Quadratkilometer großen Punkt Sebta.
Wegen seiner strategischen Bedeutung hat Ceuta schon immer Begehrlichkeiten geweckt. Die Stadt liegt an der Straße von Gibraltar, die Meeresstraße, die Europa und Afrika voneinander trennt - und Mittelmeer und Atlantik miteinander verbindet. Vor gut 600 Jahren eroberten die Portugiesen Ceuta. Nach einem langen Krieg fiel die Stadt schließlich 1668 an das Königreich Spanien. Und keiner in Spanien soll Zweifel daran haben, dass sich das jemals wieder ändern könnte.

Der Hafen von Ceuta: Das Mittelmeer glitzert, Segel- und Motorboote schaukeln im Jachthafen. An der Strandpromenade mischen sich alte Kolonialbauten mit moderner Zweck-Architektur: Schmuck- und Souvenirläden, Restaurants und Cafés warten auf Kundschaft. Neben dem Jachthafen, in einem Gewerbegebiet, rangiert ein riesiger Lastwagen, um Nachschub für den Supermarkt Lidl anzuliefern.
Lidl ist nicht der einzige Supermarkt in der Stadt. Auch andere Anbieter haben große Filialen hier. Denn das Geschäft mit den Kunden aus Marokko lockt, sagt der Soziologe Carlos Rontomé:
"Der Handel mit Marokko ist im Laufe der Zeit immer bedeutender geworden, besonders Bekleidungs- oder Juweliergeschäfte haben diese Entwicklung angetrieben.
Es ist halb acht am Morgen, als die Frauen auftauchen. Das Rattern und Klappern ihrer Handkarren kündigt sie an, bevor sie wirklich zu sehen sind. Jede zieht so einen Handkarren hinter sich her. Darauf werden später die Waren verstaut.
Es sind harte, teilweise verhärmte Gesichter unter den Kopftüchern. Die Frauen hasten zu den Lagerhallen hier am Rande der Stadt Ceuta. Dort warten die Händler. Kaffee, Kakaopulver, Spülmittel bieten sie massenweise an. Gebrauchte Kleidung oder Schuhe auch, Decken oder Handtücher. Der Umgangston ist rau. Die Frauen werden angeblafft, zur Eile gedrängt, manchmal beschimpft.

Fatima al Barudi verdient so ihr Geld. Sie ist 41 Jahre alt, geschieden und arbeitet seit 15 Jahren als "Maultier-Frau". So nennen sie die Lastenträgerinnen, die Waren über die Grenze schleppen.
"Wenn ich nach Ceuta reinkomme, kann ich 20 Euro am Tag verdienen. Aber ich muss 90 Euro Miete pro Monat für meine Wohnung zahlen. Dazu kommen Strom und Wasser. Und ich habe vier Kinder."
Das EU-Mitglied Spanien handelte im Schengen-Abkommen aus, dass die marokkanischen Nachbarn aus der näheren Umgebung von Ceuta ohne Visum jeden Tag für eine begrenzte Zeit in die Stadt kommen können. Die Waren, die sie dort einkaufen, sind vergleichsweise billig. So war der wuselige Grenzverkehr zwischen dem spanischen Ceuta und dem marokkanischen Fnideq entstanden.
Aber der ist jetzt eingeschränkt worden, nachdem in den vergangenen acht Monaten sechs Lastenträgerinnen an der Grenze ums Leben kamen. Sie wurden totgetrampelt, als sie im dichten Gedränge des schmalen Grenz-Korridors stürzten und unter dem Gewicht ihrer Last nicht schnell genug wieder auf Beine kamen. Nach diesen Tragödien wurde zweierlei beschlossen: Es werden nicht mehr so viele hineingelassen. Und: Die Waren dürfen nicht mehr auf dem Rücken geschleppt werden, sie müssen auf Handkarren transportiert werden.

Der Andrang der Lastenträgerinnen, Putzkräfte und Handwerker ist jeden Tag unübersehbar. Der Grenzübergang Tarajal ist der Durchschlupf durch eine Grenze, die hermetisch abgeriegelt ist. Ein Nadelöhr zwischen zwei Welten. Marokkaner aus der Umgebung können da ganz legal durchschlüpfen, aber afrikanische Migranten gelten als Illegale. Dennoch warten sie im marokkanischen Hinterland, in den Bergen und Wäldern der Region Tétouan, wochen-, teilweise monatelang auf eine Chance, die Grenze zu diesem kleinen Stückchen Europa überwinden zu können. Alfonso Cruzado und seine Kollegen der Guardia Civil sollen sie daran hindern:
"Alpha 14", sagt auf einmal eine Computerstimme. Sie meint den Abschnitt des Zauns, an dem gerade etwas Ungewöhnliches passiert. Ein Warnhinweis an die Polizisten, für den Fall, dass sie den Hinweis auf dem Bildschirm übersehen haben. Sie könnten jetzt eine Patrouille losschicken. Die wäre in drei Minuten am Ort des Geschehens, sagt Alfonso Cruzado. Und das ist meistens der Zaun von Ceuta. Besser gesagt, die Zäune, denn es sind zwei. Gut acht Kilometer lang, jeweils sechs Meter hoch, an der Spitze mit NATO-Draht verkleidet. Zwischen den Zäunen gibt es einen Streifen, über den die Polizisten schnell an Ort und Stelle kommen können. Cruzado deutet auf die Anlage:
"Ich bin da schon selbst hochgeklettert. Ja, das würdest du auch schaffen! Du nimmst einfach ein Stück Karton unter die Hand und hangelst Dich damit hoch. Wer unbedingt rüber will, den wird dieser Zaun nicht davon abbringen. Manche verbringen ein Jahr da drüben in Marokko und warten auf diesen Tag. Die sagen doch nicht: Oh, zwei Zäune, ich gehe zurück, ihr habt mich überzeugt."
"Ich habe es schon vier oder fünf Mal versucht", sagt Youssouf, ein junger Migrant aus Kamerun. Youssouf ist einer von vielen Afrikanern, die es bis in die Berge der Region Tétouan geschafft haben. Dort sitzen die Migranten wochen- oder monatelang fest. Sie campieren im Wald, rund sieben Kilometer von Ceuta entfernt.
"Das ist Vergangenheit. Klar, es gab Probleme, da muss man nicht drum herumreden. Es gab Auseinandersetzungen und Unbehagen im Viertel. Aber heute wird das Viertel nicht mehr von Kriminellen kontrolliert, nur von seinen Bewohnern. Jeder lebt hier sein Leben. Klar gibt es weiterhin Probleme mit Kriminalität, aber das gilt ja für viele andere Viertel auch."

"Das ist das Zentrum des Príncipe, hier sitzen die Alten, hier spielen Kinder", sagt Abdelkamil Mohamed. Und will damit sagen: Das Príncipe ist viel besser als sein Ruf. Mohamed ist marokkanisch-stämmiger Spanier, wie die meisten hier. Er leitet den Nachbarschaftsverein des Viertels. Keiner weiß, ob hier 12.000 Menschen leben, 15.000 oder 16.000. Im Príncipe herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Ursprünglich wurde es als Viertel für spanische Soldaten angelegt. Heute leben hier fast ausschließlich Muslime - viele nur von Gelegenheitsjobs.
"Ceuta ist eine der spanischen Städte, in der die Zahl der Schulabbrecher besonders hoch ist. Das gilt auch für die Arbeitslosenzahl - vor allem die junge Bevölkerung ist betroffen. Jugendliche hören mit zwölf, 13 oder 14 auf zur Schule zu gehen. Deswegen werden viele straffällig oder reisen in Konfliktländer aus."
"Die Sicherheitskräfte haben ihre Arbeit gemacht, heute ist die Lage eine andere. Das gilt auch für die Konfliktzonen. Wir waren in Ceuta über eine lange Zeit hinweg im Auge des Orkans, denn von hier aus stammen 17 Personen, die in Kriegsgebiete ausgereist sind. Und ja, sie kamen vor allem aus dem Príncipe. Das kann man nicht verleugnen!"
Doch der "Islamische Staat" habe an Anziehungskraft verloren, das wirke sich auch in Ceuta aus, glaubt Prim.
Wenn Abdelkamil Mohamed, der Vorsitzende des Nachbarschaftsvereins, durchs Príncipe geht, ist es, als sei der Bürgermeister unterwegs. Jeder scheint ihn zu kennen.
Arbeiter klopfen Steinplatten auf einem Gehweg fest. Sie machen die Arbeit, die eigentlich die Stadtverwaltung erledigen müsste, kritisiert der Chef des Nachbarschaftsvereins. Im Stadtviertel müsse viel in Eigeninitiative gemacht werden, sonst gehe nichts voran. Abdelkamil Mohamed meint, dass er und sein Nachbarschaftsverein permanent kämpfen müssen - für die muslimischen Spanier im Príncipe.
"Es ist ein Rassismus, eine Isolation, versteckt, aber institutionalisiert. Denn sie benutzen die Institutionen, um die muslimischen Stadtteile bei Investitionen zu benachteiligen."
Aber sie ist nicht die einzige. Denn da sind ja auch noch die marokkanischen Nachbarn, die jeden Tag scharenweise über die Grenze in die Stadt strömen. Wer einen spanischen Pass hat, der darf nicht als Lastenträger arbeiten. Abdelkamil Mohamed glaubt zu wissen, warum. "Grenzüberschreitende Arbeitsverträge" heißt das Stichwort. Das sind Arbeitsverträge für die vielen Marokkaner, die jeden Tag nach Ceuta pendeln:
"Sie bekommen viel niedrigere Löhne als in Spanien üblich und zahlen geringere Sozialabgaben bei uns. Damit kann die lokale Arbeiterschaft in Ceuta nicht konkurrieren. Die lokale Bevölkerung fühlt sich deshalb benachteiligt."
Im Stadtviertel Príncipe in Ceuta sagt dennoch keiner, die Marokkaner sollten gefälligst draußen bleiben. Aber, es grummelt in der Enklave zwischen den Welten.
Ceuta ist die Stadt des fast unüberwindbaren Grenzzauns und des alltäglichen Schmuggels. Eine zerschnittene und umstrittene Stadt. Verschmähter Außenposten und stolze Bastion der Spanier. Kleines Eldorado für die armen marokkanischen Nachbarn. Ein Fluchtpunkt für afrikanische Migranten.
