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Stalking-Petition
"Es hörte einfach nicht mehr auf"

Die Modebloggerin Mary Scherpe will mit einer Petition einen besseren Schutz von Stalking-Opfern erreichen. Aktuell reiche es nicht aus, eine Nachstellung anzuzeigen, sagte sie im Deutschlandfunk. Zugleich müssten Opfer, wie sie selbst, psychische Belastungen nachweisen.

Mary Scherpe im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.12.2014
    Mary Scherpe
    Mary Scherpe ist ein Stalking-Opfer und hat in einer Online-Petition 80.000 Unterschriften gesammelt, die sie heute Bundesjustizminister Heiko Maas vorlegen wird. ( picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Scherpe trifft sich im Laufe des Tages mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), um ihm die Online-Petition zu übergeben. Bisher wurde die Initiative im Internet von rund 80.000 Bürgern unterzeichnet. Das Treffen sei eine große Wertschätzung der Unterzeichner und Unterstützer, sagte Scherpe im DLF. Man müsse aber abwarten, was das Ergebnis der Zusammenkunft sein werde.
    Scherpe kritisierte, dass Stalking-Opfer die Angriffe und Übergriffe ausgiebig protokollieren und zur Polizei bringen müssten. "Als Betroffener reicht es nicht, einmal zur Polizei zu gehen, sondern man muss immer wieder kommen", sagte sie. Dadurch werde man zum Anwalt seiner selbst. In vielen Fällen sei die einzelne Tat so klein und banal, dass sie für eine Strafverfolgung nicht ausreiche. Zugleich müsse man eine psychische Versehrtheit vorweisen.
    Ziel der Petition ist es, eine bereits geplante Reform des Paragrafen 238 des Strafgesetzbuches voranzutreiben. Laut Petitionsanliegen soll es künftig ausreichen, dass die Taten der Nachstellung durch Stalker schon grundsätzlich dazu geeignet sind, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Stalking solle deshalb von einem Erfolgs- zu einem Eignungsdelikt gemacht werden.

    Das Interview mit Mary Scherpe in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Das Wort Stalking gibt es noch nicht allzu lange im deutschen Sprachgebrauch. Dieser englische Begriff stammt aus der Jägersprache und meint das Heranpirschen und Anschleichen an ein Jagdopfer. Stalking bedeutet heute, dass ein verschmähter Liebhaber oder jemand, der sich einbildet, das zu sein, sein Objekt der Begierde täglich tyrannisiert, belästigt und bedroht. Die Betroffenen werden regelrecht zu Freiwild.
    Opfer kann fast jeder werden. Zum Beispiel wurde das Opfer eines Stalkers Mary Scherpe. Sie lebt in Berlin, ist studierte Kunsthistorikerin, betreibt einen Mode-Blog und sie hat 80.000 Unterschriften online gesammelt und wird deswegen heute persönlich von Bundesjustizminister Heiko Maas im Ministerium empfangen. Guten Morgen, Frau Scherpe!
    Mary Scherpe: Guten Morgen.
    Meurer: Wie viel bedeutet es Ihnen, dass sich der Bundesjustizminister heute für Sie und Ihre Geschichte Zeit nimmt?
    Scherpe: Es ist natürlich eine große Wertschätzung der ganzen Unterzeichner, der ganzen Unterstützer, die wir im Laufe der Wochen gesammelt haben, dass er sich dafür Zeit nimmt und mich empfängt. Man muss jetzt mal ein bisschen schauen, was dabei herauskommt und was er dann wirklich sagt.
    Meurer: Sie selbst sagen, Sie sind von einem Stalker beleidigt worden, verfolgt, täglich immer und immer wieder. Was haben Sie in dieser Zeit am Perfidesten gefunden?
    "Immer neue, immer perfidere Sachen"
    Scherpe: Es ist für mich schwierig, da jetzt so eine Hierarchie aufzustellen von dem, was ich am schlimmsten fand. Sicherlich waren die Momente, wo ich gemerkt habe, das eskaliert, das wird immer schlimmer, der denkt sich immer neue, immer perfidere Sachen aus, die waren in dem Moment sehr schlimm, nur um dann noch mal wieder getoppt zu werden von dem nächsten, was er gemacht hat.
    Das hat sich über ein Jahr so aufgebaut, dass ich am Ende 30, 40, 50mal am Tag von ihm gehört habe über jenste Kanäle, über Briefpost, über Online-Kommentare über Twitter, über Anrufe. Es hörte einfach nicht mehr auf.
    Meurer: Wurden Sie körperlich bedroht?
    Scherpe: Nein, wurde ich nicht. Derjenige hat sich hinter einer Anonymisierungs-Software versteckt beziehungsweise alles, was er für mich bestellt hat, und alles, was er für mich in Auftrag gegeben hat, anonym abgegeben. Ich dachte auch lange, dass das der Grund ist, warum ich bei der Polizei so wenig Erfolg habe, warum die so wenig ermitteln. Am Ende stellte sich jedoch heraus, dass es gar nicht daran lag, sondern daran, dass ich bestimmte Kriterien eines Opfers nicht erfüllt habe.
    "Wahnsinnig viele Typen von Stalkern"
    Meurer: Über die Kriterien reden wir gleich. Ist es typisch, dass ein Stalker sozusagen körperlos bleibt und immer im Gebüsch bleibt?
    Scherpe: Ich fürchte, das ist ganz individuell, denn es gibt wahnsinnig viele Typen von Stalkern. Es gibt verschiedene Motivationen. Es gibt Stalker, die sich daran erfreuen, ein Opfer direkt körperlich zu bedrohen. Es gibt andere wie in meinem Fall, die dieses Anonyme als Schutz benutzen, so lange wie möglich weitermachen zu können.
    Es gibt solche, die irgendwann aus dieser Anonymität heraustreten, um quasi sich dem Opfer direkt zu zeigen, weil sie auch eine gewisse perfide Wertschätzung dafür haben wollen. Und es gibt dann die, die das nicht machen. Das kann man nicht allgemein sagen.
    Meurer: Es hat bisher kein Gerichtsverfahren gegeben. Sie haben ein paar Anzeigen gestellt. Fehlte es da an Beweisen? Haben Sie Beweise, um das alles belegen zu können?
    "Säckeweise Post zur Wache geschleppt"
    Scherpe: An Beweisen fehlt es nicht. Ich habe säckeweise Post zu meiner Wache geschleppt. Ich habe protokolliert, ich habe aufgeführt, wann was passiert ist, was er gemacht hat. Das ist auch etwas, was man als Betroffener leisten muss. Es reicht nicht, einmal zur Polizei zu gehen und zu sagen, das ist bisher passiert, sondern man muss auch immer wieder kommen und nachweisen, dass das immer weitergeht, dass die Situation besteht.
    Das ist ja auch das Schwierige an der Situation als Betroffener, weil man auf der einen Seite zum Anwalt fast seiner selbst werden muss, genau protokollieren muss, dokumentieren muss, das dann wieder abliefern muss. Gleichzeitig muss man aber seine psychische und physische Versehrtheit nachweisen.
    Meurer: Wieso war das in Ihrem Fall nicht möglich, das nachzuweisen?
    Scherpe: Meine psychische Versehrtheit?
    Meurer: Ja. Warum hat das einem Gericht, einer Staatsanwaltschaft nicht ausgereicht, was Sie geschildert haben?
    Scherpe: Es ist bei mir so gewesen, dass ich überhaupt nicht wusste, dass es an mir ist nachzuweisen, wie mich das beeinträchtigt, denn man geht nicht zur Polizei und die sagen einem, Sie müssen jetzt erst mal umziehen oder Ihren Arbeitsplatz wechseln und dann können wir hier weiter ermitteln.
    Ich bin ganz naiv davon ausgegangen, dass es ausreicht, wenn ich denen zeige, was passiert, und dass ich nicht noch in der Pflicht bin, die Auswirkungen bei mir darzustellen und psychische Gutachten einzuliefern und so weiter und so fort.
    Meurer: Wieso glauben Sie ist das ins Gesetz hineingeschrieben worden, dass es nicht ausreicht zu sagen, ich habe Berge an Beweisen, aber ich muss erst meinen Job verlieren, meine Wohnung verlieren und so weiter? Wie ist das ins Gesetz gekommen?
    "Einzelne Tat eignet sich kaum für Strafverfolgung"
    Scherpe: Das ist für mich persönlich relativ schwierig nachzuvollziehen, weil das ein Zusatz war, der erst recht spät im Gesetzfindungsprozess damals 2007 mit dazugekommen ist. Es gibt Stimmen, die eine gewisse Angst davor haben, wenn man diesen Paragraphen lockert, dass dann jeder jeden ständig wegen Stalking anzeigen könnte und damit auch Erfolg haben würde. Das heißt, ich würde jemanden dreimal zu viel anrufen, zum Beispiel als Journalist im Rahmen einer Recherche, und müsste dann Angst haben, dass derjenige mich anzeigt.
    Das geht völlig an der Praxis der Rechtsprechung und an der Ermittlung der Polizei vorbei. Das ist nicht das, was passiert, denn man muss auch dann, wenn es ein Eignungsdelikt ist, natürlich noch nachweisen, dass das Ganze beharrlich ist und in einer über das normale Maß hinausgehenden Art und Weise passiert und gegen den Willen des Betroffenen.
    Meurer: Gibt es jenseits des Stalking-Paragraphen nicht Mittel oder Delikte wie Nötigung, weswegen Sie Anzeige erstatten könnten? Oder Ihr Stalker hat ja in Ihrem Namen wohl Hunderte Bestellungen im Internet gemacht. Auch das ist doch alles andere als erlaubt.
    Scherpe: Theoretisch fällt das natürlich unter Betrug. Theoretisch ja, aber oft ist es bei Stalking so, dass die einzelne Tat so banal ist beziehungsweise so klein, dass sie nicht ausreicht. Es ist erst die Masse und die Dauer, die das Ganze so massiv und so schädigend macht.
    Aber wegen einer betrügerischen Bestellung, die in meinem Fall zum Beispiel auch nicht mit Kosten verbunden war, weil er mir hauptsächlich Gratis-Infomaterialien geschickt hat, davon aber jeden Tag 10, 15, die einzelne Tat eignet sich kaum für eine Strafverfolgung.
    Meurer: Noch kurz: Wie stehen Ihre Chancen, dass das Gesetz in Ihrem Sinne verändert wird?
    Scherpe: Ich bleibe total optimistisch. Ich sehe keinen Grund, warum das jetzt nicht endlich passieren sollte. Es steht ja auch im Koalitionsvertrag. Und bisher ist mir kein Argument begegnet, von dem ich sagen würde, das ist so eindringlich, dass das nicht passieren sollte.
    Meurer: Mary Scherpe ist Opfer eines Stalkers, hat ein Buch geschrieben und 80.000 Unterschriften gesammelt, über die sie heute mit Bundesjustizminister Heiko Maas reden wird, was beim Stalking-Gesetz verschärft werden könnte. Frau Scherpe, danke und auf Wiederhören.
    Scherpe: Sehr gerne. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.