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Stammzellenforscher beklagt Standortnachteil

Detlev Ganten, Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, sieht deutsche Stammzellenforscher international im Nachteil. Auch nach einer Verständigung auf europäischer Ebene sei der Import von Stammzellen zu Forschungszwecken nach Deutschland weitgehend ausgeschlossen. Ganten geht davon aus, dass deutsche Forscher für ihre Arbeit das Land verlassen werden.

Moderation: Oliver Thoma |
    Oliver Thoma: Was bedeutet dieser Kompromiss nun für die Forschung? Dazu fragen wir jetzt Professor Detlev Ganten, er ist Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, hat vorher den Biotechnologiepark in Berlin-Buch mit aufgebaut maßgebend, und er ist Mitglied im Ethikrat der Bundesregierung, und da hat er den Schwerpunkt Klonen und Stammzellen. Schönen Guten Morgen, Herr Professor Ganten!

    Detlev Ganten: Guten Morgen!

    Thoma: In Deutschland ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen ja sowieso praktisch verboten, es sei denn sie sind importiert, hat dieser EU-Kompromiss überhaupt irgendeine Auswirkung auf die Arbeit der deutschen Forscher?

    Ganten: Also ich denke zunächst mal, finde ich sehr wichtig, dass die Europäische Union dieses Programm aufgelegt hat, dass embryonale Stammzellenforschung gefördert werden kann. Und ich finde es auch wichtig, dass die Bundesministerin dabei war und wir jetzt zumindest mit diesem Kompromiss auch europäische Mittel in Deutschland annehmen können, an europäischen Programmen uns beteiligen können, in denen Stammzellenforschung gemacht wird. Dass diese Einschränkungen da sind, bedauere ich persönlich. Ich glaube, dass wir uns damit weiter auch in der Europäischen Union isolieren, aber ich denke, die Diskussion, das sehen wir ja heute Morgen und in den Zeitungen, wird dadurch noch mal wieder angeregt. Und es wird kein Weg daran vorbei gehen, wir werden uns irgendwie an die internationalen Standards auch anschließen können.

    Thoma: Aber hätten die deutschen Forscher denn mehr Freiheiten gehabt, wenn man jetzt diesen Kompromiss weiter gefasst hätte und die anderen Länder sich durchgesetzt hätten?

    Ganten: Ja, das ist richtig. Also ich hätte natürlich befürwortet, wenn die anderen Länder sich durchgesetzt hätten und Deutschland diesen europäischen und de facto ja auch internationalen Standard akzeptiert hätte. Aber ich glaube, diese Diskussion wird dazu führen, dass wir das europäische Stammzellengesetz doch noch mal wieder aufnehmen müssen und die Stichtagsregelung, die ja die entscheidende ist, und die Strafbewehrung noch mal wieder neu diskutieren müssen.

    Thoma: Aber noch mal konkret zu dieser Einschränkung jetzt, es dürfen keine Embryonen vernichtet werden, um Stammzellen zu gewinnen. Aber wie sonst können dann eigentlich Stammzellen entstehen?

    Ganten: Naja, in anderen Ländern werden natürlich Stammzellen gewonnen. Dieser Beschluss bedeutet ja nur, dass mit europäischen Mitteln, mit den 50 Millionen, dieses nicht gemacht werden darf. In England und in Schweden, auch in Frankreich, in anderen Ländern, Belgien, werden natürlich Stammzellen gewonnen, und damit wird auch europäisch dann gearbeitet werden. Nur Deutschland ist nach wie vor durch die nationale Gesetzgebung davon ausgeschlossen. Wir dürfen diese Zellen nach wie vor nicht importieren.

    Thoma: Also, im Prinzip ist es so, dass EU-Fördergelder für deutsche Forscher gar nicht zur Verfügung stehen?

    Ganten: Jedenfalls in begrenzterem Maße, weil mit neuen Stammzellen, die nach dem Stichtag 2002 hergestellt wurden, dürfen deutsche Forscher nicht arbeiten, schlimmer noch, wenn sie nach Frankreich gehen, oder nach England gehen, oder nach Schweden gehen, und dort mit solchen Stammzellen arbeiten, dann wieder zurück kommen nach Deutschland, müssen sie befürchten, dass sie strafgesetzlich verfolgt werden. Das ist eigentlich eine absurde Situation

    Thoma: Aber warum überhaupt embryonal? Die Gegner sagen ja sowieso, mit den adulten Stammzellen, die aus der Nabelschnur oder von Erwachsenen gewonnen werden, da kann man sowieso sehr viel bessere Ergebnisse erzielen. Was ist daran so wichtig, auch embryonal zu forschen?

    Ganten: Ja, Stammzellen, ich pflege immer das Beispiel zu geben - wie in einem Buch. Stammzellen beginnen embryonal und werden dann adult und werden dann ausdifferenzierte Körperzellen. Und man kann, wenn man ein Buch lesen will und etwas lernen will, nicht in der Mitte des Buches anfangen, sondern man muss von Anfang an lesen. Und so muss man auch in der Forschung zumindest mit den embryonalen Stammzellen anfangen, die am Beginn der Stammzellforschung stehen. Was man dann in der Praxis macht und welche Zellen sich am besten erweisen, zeigt die Forschung. Das kann man nicht politisch entscheiden.

    Thoma: Gibt es denn jetzt schon Ergebnisse? In anderen Ländern wird ja embryonalen Stammzellen, wo man sagen kann, ja, das gibt wirklich Hoffnung für unheilbar Kranke geheilt zu werden?

    Ganten: Also das ist natürlich immer noch ein Forschungsthema, und das gibt jetzt nicht eine Therapieform mit embryonalen Stammzellen, die sich etabliert hätte, von der man sagen kann, die muss man nur noch einführen. Aber es gibt einen internationalen Konsens, dass man auch mit embryonalen Stammzellen, so wie natürlich auch mit adulten Stammzellen, forschen muss, um das gesamte System zu erkennen. Und es gibt viele Krankheiten, bei denen gute Ansätze da sind, das betrifft Alzheimer, das betrifft die Blutzuckerkrankheit, das betrifft die Schüttellähmung, die Parkinsonkrankheit, aber auch andere, bei denen man gute Hinweise hat, dass hier neue Therapieformen möglich werden können.

    Thoma: Aber können deutsche Forscher nicht von dem, was die Forscher im Ausland machen mit den Embryonalen auch profitieren, sozusagen das lesen und dann bei den adulten Stammzellen selber lesen?

    Ganten: Natürlich, Wissenschaft ist international und die Publikationen und Ergebnisse ohnehin. Deutschland ist ja auch nicht komplett abgehängt von der internationalen Forschung auf diesem Gebiet. Aber wir dürfen bestimmte Forschungsbereiche in Deutschland eben nicht machen, und das ist eine ganz große Einschränkung. Und jemand, der auf diesem Thema arbeiten will, wird das nicht in Deutschland machen, wenn er so eingeschränkt ist, sondern wird woanders hingehen.

    Thoma: Nun gibt es am Donnerstag, also übermorgen, im Ethikrat eine öffentliche Anhörung zum Thema adulte Stammzellen, also die erwachsenen. Erwarten Sie sich da neue Forschungsergebnisse, die vielleicht ganz toll sind?

    Ganten: Also auch mit den adulten Stammzellen sind große Fortschritte gemacht worden. Man hat festgestellt, dass auch diese schon etwas ausgereifteren Stammzellen, die so genannten adulten, sich weiter entwickeln können in bestimmte Körperzellen, die dann für die zum Beispiel Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt werden können. Ja, dieses Thema bleibt ein interessantes, aber eben ein Gesamtthema der gesamten Stammzellforschung, und ein Teilaspekt herauszunehmen, beschränkt auch die Erkenntnisfähigkeit für die Stammzellforschung zu sehr.

    Thoma: Aber es wäre sicherlich einfacher die Menschen zu überzeugen, wenn sie sagen könnten, ja also wenn wir jetzt damit weiter forschen, dann können wir in so und so absehbarer Zeit dann Alzheimer oder Parkinson oder was auch immer heilen.

    Ganten: Das ist klar, sobald wir wirkliche Therapie- und Behandlungsformen vorweisen können, dann wird sich die öffentliche Meinung zu diesem Thema ändern. Daran wird natürlich intensiv gearbeitet.

    Thoma:: Aber Sie haben sicherlich ja auch Verständnis dafür, dass es immer noch die Bedenken gibt. Und vielleicht ist es ja auch ganz gut, dass einige Länder da ein bisschen vorsichtiger sind als andere, dass nicht tatsächlich irgendwelche Dämme brechen.

    Ganten: Ja, natürlich, Bedenkenträger darf man nicht diskriminieren, das tun sie ja aus guten Gründen für sich selber. Und das muss man ernst nehmen. Diese Debatte wird ja auch ernst genommen, sie wird ja nicht weggewischt. Aber genauso ernst nehmen muss man natürlich die Debatte und die Gründe derer, die sagen, diese Begrenzungen sind wissenschaftlich und medizinisch und möglicherweise auch ethisch nicht zu verantworten. Das ist eine ernsthafte Debatte und man muss ringen um den gemeinsamen Weg. Das ist jetzt mit einem Kompromiss in Brüssel erfolgt. Aber es ist eben ein Kompromiss auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner, und er wird langfristig, das ist meine persönliche Überzeugung, aber die vieler meiner Kollegen, nicht ausreichen.

    Thoma: Die Einschätzung von Professor Detlev Ganten, dem Vorstandsvorsitzenden der Berliner Charité, und außerdem ist der Mitglied im Nationalen Ethikrat der Bundesregierung. Vielen Dank für das Gespräch.

    Ganten: Gerne.