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Standortbestimmung
Wissen made in Turkey

Wo steht die Türkei in Wissenschaft und Forschung, welche Probleme gibt es und was erwartet die Türkei vom gemeinsamen Wissenschaftsjahr? Eine Umfrage.

Von Clemens Verenkotte | 04.01.2014
    Serdar Dinler, Direktor des Zentrums für lebenslanges Lernen an der Istanbuler Kadir Has Universität, hält es für unverzichtbar, dass seine Studenten zumindest für ein Semester in Ausland gehen. Im Bereich der Nano-Technologie etwa verfügten die türkischen Hochschulen nur über einen Bruchteil derjenigen Kenntnisse und Erfahrungen, die in einigen westlichen Ländern verfügbar seien. Das Ausland, so das Plädoyer von Serdar Dinler, sei für das wissenschaftliche Arbeiten gerade in derart spezifischen Fachbereichen ein Muss. Das gelte auch generell:
    "Kontinental-Europa ist sehr populär, den dort kosten die Universitäten kaum etwas. In Großbritannien aber sind die Preise sehr hoch und das hält viele Studentinnen und Studenten in der Türkei davon ab, nach Großbritannien zu gehen. Hinzu kommt, dass zum Beispiel in Deutschland und einigen anderen Ländern in Zentral-Europa die Studiengänge jetzt auch in englischer Sprache angeboten werden. Daher die Popularität."
    Englisch ist die dominante Unterrichtssprache – angefangen von den großen, renommierten staatlichen Hochschulen, wie der Middle East University in Ankara bis hin zu kleineren Privatuniversitäten - werden Seminare, Vorlesungen und Übungen ausschließlich in Englisch gehalten. Birim Yamanlar, eine 23-jährige Studentin im Fach "internationale Beziehungen", verfügt bereits über Auslandserfahrung – und ihr Vergleich zu den Verhältnissen daheim fällt überwiegend nicht positiv aus:
    "Unter den türkischen Universitäten gibt es keinen Qualitätsstandard. Die Qualität ändert sich von Uni zu Uni doch sehr. Ich habe ein Austausch-Programm wahrgenommen und war in den Vereinigten Staaten. Es gibt ein gewisses Grundniveau zwischen den Universitäten. In der Türkei sind die Unterschiede krasser. Die Studienqualität, die Qualifikationen der Lehrkräfte, das für wissenschaftliches Arbeiten bereitgestellte Budget alles ist sehr unterschiedlich. Deswegen glaube ich nicht, dass wir (in der Türkei) - abgesehen einiger weniger Unis - konkurrenzfähig sind."
    Richtig sei, so bestätigt Dimitrios Triantaphyllou, Direktor des Center for International and European Studies an der Kadir Has Universität Istanbul, dass sich viele türkischen Hochschulen darum bemühten, ihre Studenten auf akzeptables Englisch-Niveau zu bringen. Der Politik-Professor, der aus Griechenland stammt, hebt dabei vor allem die Rolle von internationalen Austausch-Programmen wie dem Erasmus-Programm hervor - diese seien für Bachelor-Studenten Ansporn und zugleich Belohnung:
    "Das Erasmus-Programm ist sehr populär. Das streben sie an - aber ich glaube nicht, aus den richtigen Gründen. Es geht um die Erfahrung, für sechs Monate rauszukommen, Spaß zu haben, in einem europäischen Land, in Deutschland oder woanders. Aber darüber hinaus: Einige von denen, die das Erasmus-Programm durchlaufen haben, wollen weitermachen. Das sage ich immer meinen Studenten, ob früher in Griechenland, oder jetzt hier: Versucht immer, Euren Horizont zu erweitern. Das braucht man, die Erfahrung, im Ausland zu studieren, ist wichtig; vor allem in meinem Fach, internationale Beziehungen."
    Gökce Gezer hat diesen Ratschlag befolgt. Die 27-Jährige hat bereits ihren Master-Abschluss in internationale Beziehungen und sitzt derzeit an ihrer Promotion:
    "Über das Ausland habe ich lange nachgedacht. Als Erasmus-Student war ich auch schon im Ausland. Aber als ich dann mit dem Magisterstudium begann, habe ich mich aufgrund der Lehrkräfte für diese Uni entschieden, an der ich jetzt meine Doktorarbeit schreibe. Aber für meine weitere akademische Karriere schließe ich das Ausland nicht aus."
    Wer in der Türkei die akademische Karriereleiter erklimmen will, für den ist der Weg ins Ausland unerlässlich. So lautet jedenfalls abschließend das Fazit von Dimitrios Triantaphyllou, dem Direktor des Center for International and European Studies:
    "Wenn man hier unterrichten will, braucht man eine Promotion von einer ausländischen Universität, allein um berücksichtigt zu werden. In jedem Fachbereich. Wir laden niemanden für ein Bewerbungsgespräch als neues Fakultätsmitglied ein, der ein PhD von einer türkischen Universität hat. Das ist eine Entscheidung von höchster Ebene, um die Qualität zu verbessern."