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Starker Anstieg der Neuinfektionen
Corona in den USA außer Kontrolle

Noch immer sehen Millionen US-Bürger das Tragen von Masken als linke Ideologie. Ein Ergebnis: Die Zahl der Corona-Neuinfektionen und Todesfälle steigt stark an, Krankenhäuser sind überlastet. Doch US-Präsident Donald Trump ist vor allem mit sich und seiner Abwahl beschäftigt.

Von Doris Simon | 19.11.2020
Das Maskottchen der New York Mets trägt Mundschutz auf der Tribüne.
Maskottchen der New York Mets mit Mundschutz: Noch immer halten viele US-Amerikaner Corona für keine große Gefahr (www.imago-images.de)
Blaue Militäruniform, ernster Blick, deutliche Ansage: Admiral Brett Giroir fordert auf zum Maskentragen, Abstand halten, zum Verzicht auf unnötige Treffen. Es gehe es nicht um Panikmache, sagt Giroir, führendes Mitglied der Corona-Taskforce im Weißen Haus im Sender MSNBC. Alle müssten íhre Anstrengungen deutlich verstärken, man befinde sich am ernstesten und gefährlichsten Punkt der Pandemie bisher in den Vereinigten Staaten, so die Nummer zwei im US-Gesundheitsministerium.
Er schlafe derzeit schlecht, so Giroir. Alle müssten extrem besorgt sein, die steile Kurve der Infektionen müsse gedrückt werden, so wie das Frankreich und Großbritannien geschafft hätten. Solange, bis ein Impfstoff für alle zur Verfügung stehe. Moderatorin Andrea Mitchell dankte für die deutlichen Worte: "Ich verstehe, was sie sagen. Aber genau das müssen wir vom Präsidenten und vom Vizepräsidenten hören. Denn 73 Millionen US-Bürger hören nicht auf Sie oder mich oder auf irgendwen, sondern nur auf den Mann auf Twitter."
Aber Donald Trump ist mit sich beschäftigt, mit seiner Abwahl, seiner Wut. Immer wieder hat er verkündet, Corona werde bald verschwinden, zuletzt hat er sich dafür gelobt, dass Impfstoffe in einer Rekordzeit entwickelt wurden. Durchaus berechtigt, meinen Experten, weil Trump mit starker Förderung außerordentliche Fortschritte ermöglicht habe. Aber die brutale Realität von zuletzt 1.700 Toten täglich, die Überlastung von Krankenhäusern, Ärzten, Pflegepersonal, die Not der Betroffenen und Angehörigen – kein Thema für den Präsidenten.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Schärfere Vorschriften und Auflagen
Seit fünf Monaten hat er an keinem Treffen der Corona-Task Force teilgenommen. Er arbeite hart, rief seine Sprecherin gestern im Vorbeigehen Reportern zu, Trump werde mit seiner Frau ein wunderschönes Thanksgivings-Fest im Weißen Haus verbringen.
Für viele US-Bürger wird es voraussichtlich das traurigste Thanksgiving ihres Lebens werden: nicht das übliche größte Familienfest des Jahres, sondern ein Abend, an dem man nur virtuell über den Bildschirm mit den nächsten Verwandten verbunden ist. Landauf, landab machen immer mehr Gouverneure schärfere Vorschriften und Auflagen in ihren Bundesstaaten: Zu Hause bleiben, Restaurants dürfen nur noch Essen außer Haus verkaufen, Schulen schließen, es gibt Vorgaben, wie viele Menschen maximal zusammenkommen dürfen.
All das ist ein Fleckenteppich, es fehlt jede Koordination der Maßnahmen. Neu aber ist, dass auch republikanische Gouverneure strengere Vorgaben machen, oft angesichts der schieren Überlastung der medizinischen Infrastruktur. Aber längst nicht alle. Kristi Noem, die Gouverneurin von South Dakota, findet weiterhin: Wer Maske tragen wolle, der könne das machen. Aber wer es nicht tue, der solle nicht an den Pranger gestellt werden.
Millionen US-Bürgern sehen die Maske als linke Ideologie
Die Geringschätzung wissenschaftlicher Erkenntnisse von höchster Stelle gepaart mit gezielter Desinformation und falschen Versprechungen haben dazu geführt, dass Millionen von US-Bürgern den Schutz durch Maske bis heute für linke Ideologie halten, und nicht glauben, dass es Corona gibt und wie gefährlich die Seuche ist.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Jody Doering aus South Dakota erlebt die Realitätsverweigerung täglich bei ihren sterbenskranken Covid-Patienten. Es seien viele, die so sterben würden, berichtete die Intensivkrankenschwester zuerst auf Twitter, dann im Fernsehen:
"Wenn diese Menschen sterben, sind ihre letzten Worte, das könne alles nicht sein. Und statt sich über Videoanruf und Bildschirm von ihren Liebsten zu verabschieden, sind sie voller Hass und Wut. Das mache sie sehr traurig", sagt die Intensivkrankenschwester. Sie könne einfach nicht glauben, dass dies die letzten Worte und Gedanken dieser Covid-Patienten seien.
Es werden mehr Menschen sterben
Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, hat die Eindämmung der Corona-Pandemie schon vor Monaten zu seiner dringlichsten Aufgabe erklärt, und eine von ihm eingesetzte Expertengruppe plant Maßnahmen vom 20. Januar an aufwärts.
Doch solange Präsident Trump eine geordnete Übergabe verweigert und die Leiterin der zuständigen Verwaltungsbehörde kein grünes Licht gibt, gibt es keinen Informationsaustausch, nicht zu Corona-Maßnahmen, nicht zum Impfstoff oder zu dessen Auslieferung. Es werden mehr Menschen sterben, wenn wir uns nicht absprechen, warnte Joe Biden diese Woche. Das Weiße Haus hat darauf nicht reagiert.