Die Task Force des Auswärtigen Dienstes der EU listet nahezu täglich Beispiele dafür auf, worum es geht. Wie etwa diese Narrative, die von Pro-Kreml Medien im Fall Nawalny in Umlauf gebracht werden: "Alexej Nawalny wurde durch einen MI6-Agenten vergiftet" oder "Der Zweck der Fälle Skripal und Navalny ist es, Putin zu dämonisieren" oder "Die Attacke auf Nawalny ist eine Spezialoperation gegen Nord Stream 2".
Aber dann: "Die Vergiftung ist Fake". Es geht also nicht nur einfach darum, Falschinformationen in die Welt zu setzen, die man durch Fakten oder Gegendarstellungen leicht ausräumen könnte, sondern durch verschiedene, teils einander widersprechende Erklärungen die Öffentlichkeit zu verwirren.
"Das Kriterium, das wir ansetzen, das ist die ganz bewusste und gezielte Irreführung eigentlich, die mit diesen Desinformations-Aktivitäten erreicht werden soll", sagt Lutz Güllner, Leiter der Abteilung Strategische Kommunikation im Auswärtigen Dienst der EU.
"Ziel ist hier, dieser Desinformation, von der Verantwortung der russischen Seite, vielleicht auch der russischen staatlichen Seite, abzulenken. Und da geht es dann um gezielte Irreführung mit einer Reihe von sehr unterschiedlichen Erklärungsmustern, warum das also nichts mit Russland zu tun hat", so Güllner.
Das Ziel: Kompetenzen bündeln
Die Task Force des Auswärtigen Dienstes wurde auf Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs 2015 eingesetzt, als nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Ukraine-Krieges plötzlich nie gekannte Mengen falscher Informationen und gefälschter Absender, sogenannte Trolle, das Internet und die E-Mail-Postfächer fluteten. Inzwischen nimmt das Thema breiteren Raum ein. Auch andere staatlich gesteuerte Akteure, wie etwa aus China, betreiben gezielte Desinformation.
Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie beklagte die EU geradezu eine "Infodemie". Mehrere Parlamentsausschüsse befassen sich inzwischen damit. Der Sonderausschuss soll nun Kompetenzen aus verschiedenen Fachbereichen wie der Außenpolitik, der Justiz und der Medienpolitik bündeln.
"Massiver Einfluss auf Gesellschaften"
"Ganz grundsätzlich ist es wichtig, eine politische Bewertung und vor allen Dingen eine Bewusstseinserweiterung in den Mitgliedstaaten zu erreichen: Wer nimmt mit welchen Interessen wo Einfluss, mit welcher Strategie und wie können wir das möglicherweise bekämpfen?", sagt Viola von Cramon. Sie wird dem Ausschuss für die Grünen angehören.
"Weil es in der letzten Zeit – und das relativ eindeutig – Einflussnahme von Dritten, von auswärtigen Akteuren auf Wahlprozesse in der Europäischen Union gegeben hat. Und gerade in den Corona-Zeiten wir natürlich gesehen haben, welchen massiven Einfluss auch eine Desinformations-Kampagne oder verschiedene Desinformations-Strategien haben können – und auch was das für uns in demokratisch regierten Gesellschaften bedeuten kann."
Empfehlungen nach einem Jahr geplant
Gesteuerte Desinformation in traditionellen Medien oder im Internet sind nur ein Aspekt. Es geht um diverse Formen der Einflussname, sei es bei Wahlen oder durch Druck auf die Zivilgesellschaft. Mit dem Ziel jeweils, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und die liberalen Demokratien zu schwächen. Der Ausschuss soll all dies unter die Lupe nehmen und nach einem Jahr Handlungsempfehlungen vorlegen.
Die CDU-Europaabgeordnete Sabine Verheyen hofft auf die Stärke des Parlaments. "Das Parlament hat natürlich andere Möglichkeiten, auch ganz klar Position zu beziehen. Und ich hoffe, dass wir am Ende mit einem Abschlussbericht auch Handlungsempfehlungen geben können, die eine sehr klare Sprache sprechen, die sehr deutlich sind. Das Parlament kann hier natürlich ganz andere Schritte ergreifen und deutlicher Dinge womöglich formulieren als jemand in Regierungsverantwortung. Oder auch die Kommission das teilweise kann."
Der Sonderausschuss, der sich heute konstituiert, wird eine wichtige Rolle spielen, glaubt Lutz Güllner vom Auswärtigen Dienst. "Da geht es eben nicht nur um Desinformation, sondern um alle Formen von Beeinflussung. Das kann sein im Medienbereich, das kann aber auch im akademischen Bereich sein. Was werden da für Strategien gefahren, was für Akteure gibt es da? Und natürlich ganz wichtig: Welche Instrumente haben wir zur Verfügung? Und welche Instrumente müssen wir noch schaffen, um uns dagegen zu wappnen."