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Startschuss am CERN

Rund eine Stunde lang haben die Physiker des CERN an den Knöpfen gedreht und geschraubt, bis der erste Protonenstrahl im Large Hadron Collider, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt, stabil im Kreis flog. Doch was ist schon eine Stunde für einen Moment, auf den man 20 Jahre lang hingearbeitet hat und der am Beginn einer viel längeren Entdeckungsreise steht.

Frank Grotelüschen im Gespräch mit Gerd Pasch |
    Gerd Pasch: Am Deutschen Elektronensynchrotron, kurz Desy, in Hamburg verfolgte Frank Grotelüschen den Start des Riesenbeschleunigers in Genf per Videokonferenz. Ihn begrüße ich jetzt im Studio in Hamburg. Lief alles wie geplant?

    Frank Grotelüschen: Letztendlich schon, Gerd Pasch. Obwohl es war eine spannende Angelegenheit, denn die Physiker haben diese Teilchen jetzt nicht mit einem Schwung sozusagen in diesen 27 Kilometer großen, unterirdischen Ring eingeschossen, sondern sozusagen sich schrittweise genähert und Kreisabschnitt für Kreisabschnitt ausprobiert und wieder nachgestellt. Das ganze dauerte dann doch eine Stunde bis die Teilchen einmal im Kreis herum waren und dann wirklich stabil kreisten. Und es war den Physikern auch anzumerken, dass sie wirklich erleichtert waren. Sie haben 20 Jahre auf den Augenblick gearbeitet. Also die waren wirklich sehr erleichtert.

    Pasch: Was ist denn das Besondere an der Maschine?

    Grotelüschen: Das Besondere ist, dass es die Maschine ist mit der höchsten Kollisionsenergie. Also dieser Beschleuniger schießt kleine Wasserstoffkerne mit voller Wucht aufeinander. Diese Wasserstoffkerne prallen aufeinander und dabei können neue elementare Teilchen entstehen, die bislang unbekannt sind. Das misst man mit großen Detektoren, so einer Art Teilchenkameras. Die Kollisionsenergie ist etwa sieben Mal größer als beim bisherigen Rekordhalter, dem Tevatron in Chikago, und damit lassen sich halt, so hoffen die Physiker, völlig neue Teilchen erzeugen und nachweisen.

    Pasch: Was hat denn die Maschine gekostet und wie lange hat man daran gebaut?

    Grotelüschen: Alles in allem etwa vier Milliarden. Drei Milliarden Euro für den Beschleuniger und dann noch mal etwa eine Milliarde Euro für diese Teilchenkameras, die Detektoren. Vier Stück davon sind um den Ring verteilt. Die ersten Ideen gehen auf die Achtzigerjahre zurück. 1994 gab es dann die Bewilligung, das Okay, und seitdem hat man die Maschine gebaut und im Jahr 2000 in den Tunnel eingebaut. Jetzt erst ist sie - nach einigen Pannen, muss man auch sagen - wirklich fertig.

    Pasch: Der LHC soll das Higgs-Teilchen entdecken, seit Jahrzehnten das meistgesuchte Teilchen in der Physik. Vereinfacht gesagt soll es klären, wie die uns umgebende Materie überhaupt zu unserer Masse kommt. Es sind noch andere Forschergruppen auf diesem Felde unterwegs. Wer kann das Higgs-Teilchen finden?

    Grotelüschen: Da gibt es dieses erwähnte Tevatron in Chikago. Die sind, wie man hört, an dieser Entdeckung auch dran. Die könnten das theoretisch auch finden, zumindest erste Hinweise. Und der LHC könnte das dann bestätigen, niet- und nagelfest machen. Womöglich muss man sich die Entdeckung dann teilen, und das würde die europäischen Physiker dann schon ein bisschen nerven.

    Pasch: Ist dieses Higgs-Teilchen der einzige Grund für die Drei-Milliarden-Beschleunigeranlage, oder soll sie noch andere Rätsel lösen?

    Grotelüschen: Es gibt noch andere Sachen zu entdecken, die ich eigentlich spannender finde. Ich will nur mal das Geheimnis der dunklen Materie herausgreifen. Die Wissenschaftler wissen, dass es im Universum jede Menge dunkle Materie geben muss. Das ist so eine Art Klebstoff, der die Galaxien zusammenhält. Man weiß aber nicht, woraus diese dunkle Materie besteht. Beim LHC erhofft man sich, dass er sogenannte supersymmetrische Teilchen findet, und die könnten dann der Grund sein hinter dieser dunklen Materie. Das wäre so ein richtiger Knaller.

    Pasch: Wie geht es denn jetzt weiter? Der erste Strahl läuft, wann sollen die ersten Teilchenkollisionen stattfinden?

    Grotelüschen: Das wir noch eine Weile dauern. Man muss die Maschine noch einstellen, man muss die Energie dieser Teilchen langsam steigern, auch die Intensität dieser Teilchen. Wenn man da nicht aufpasst, dann macht man sich die eigene Maschine kaputt. So ein Strahl hat unter Umständen die Energie einer Herde galoppierender Elefanten. Da kann man sich vorstellen, dass man sich dann die Magneten zum Beispiel kaputt schießt. Da muss man sehr vorsichtig sein. Und man will die ersten Kollisionen haben zum 21. Oktober. Dann nämlich kommen die Staatspräsidenten Europas nach Genf, das Ding offiziell einzuweihen. Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse wird es frühestens im nächsten Jahr geben.

    Pasch: Wissenschaftliche Ergebnisse. Das Experiment gehört zur Grundlagenforschung. Wie sieht denn der praktische Nutzen aus?

    Grotelüschen: Na ja, der Beschleuniger selber wird jetzt keinen praktischen Nutzen haben, aber zum Beispiel weiß man ja, dass am CERN vor etwa 15 Jahren das World Wide Web erfunden wurde. Jetzt im Zusammenhang mit dem LHC arbeiten die Informatiker am CERN an einer neuen Sache. Das nennt sich World Wide Grid, so eine Art Supercomputer verschaltet übers Internet. Das ist eine Geschichte, die eines Tages wirklich sehr interessant sein könnte für die Wirtschaft, für die Informatik, zum Beispiel wenn es darum geht, Flugzeugströmungen zu simulieren, oder beim Autobau, und vielleicht wird so etwas eines Tages sogar auf unserem Schreibtisch landen - man weiß nie.