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Archiv


Stasi-Akten ins Bundesarchiv?

Mit anderen zusammen habe da in der Tat nachts am 4. Dezember 1989 die Staatssicherheit mit besetzen können, also mit anderen zusammen, und bin da von der ersten Stunde an bei der Auflösung dann auch dabei gewesen.

Von Otto Langels | 12.02.2005
    Irmtraud Holitzer war unter denen, die Anfang Dezember 1989 Dienststellen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, abgekürzt: Stasi, in Leipzig, Erfurt und anderswo besetzten, um die Vernichtung von Akten zu verhindern. Am 15. Januar 1990 stürmten schließlich Tausende von Demonstranten die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Bürgerproteste brachten einen Geheimdienst zu Fall. Ohne dieses Ereignis wäre es kaum möglich gewesen, tiefere Einblicke in den Terror- und Unterdrückungsapparat der DDR zu gewinnen; und es gäbe nicht die Behörde der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, in der die Hinterlassenschaft des DDR-Geheimdienstes seitdem verwahrt wird.
    15 Jahre nach der Wende ist jetzt eine Diskussion um die Bundesbeauftragte und die Zukunft der Stasi-Akten entbrannt. Kritiker fragen, ob eine teure Einrichtung wie die nach ihren Leitern benannte Gauck- beziehungsweise Birthler-Behörde überhaupt noch notwendig sei? Könnten nicht auch andere Institutionen die Aufgaben übernehmen, und wären die Stasi-Akten zum Beispiel im Bundesarchiv nicht besser aufgehoben? Auf diese Fragen versucht der Kulturausschuss des Bundestags am kommenden Mittwoch in einer Anhörung Antworten zu finden.
    Ausgelöst wurde die Debatte Ende vergangenen Jahres durch den Beschluss von Bundesinnenminister Otto Schily, die Zuständigkeit für die Stasi-Unterlagen an Kulturstaatsministerin Christina Weiss abzugeben. - Die Bundesbeauftragte Marianne Birthler:

    Seit dem 1. Januar gehören wir in den anderen Geschäftsbereich, und jetzt wird sich erst im Verlauf der nächsten Zeit herausstellen, wie sich diese Zusammenarbeit gestaltet. Mit diesem Ressortwechsel, das hat erst mal auf unsere Arbeit wenig Einfluss, weil bei der Beauftragten für Kultur und Medien liegt jetzt die Dienstaufsicht, die lag vorher beim Innenminister. Aber von dort geht ja kein Einfluss auf die Gestaltung unseres gesetzlichen Auftrags aus.

    In Berlin ist es kein Geheimnis, dass der sozialdemokratische Bundesinnenminister und die grüne Bundesbeauftragte nicht die engsten politischen Freunde sind. Vielleicht hat Otto Schily deshalb die Zuständigkeit für die Stasi-Unterlagen schließlich überraschend abgegeben, ohne Marianne Birthler vorher darüber zu informieren.
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel ist Ratsvorsitzender der Stiftung "Aufarbeitung der SED-Diktatur". Die Stiftung gehört nun ebenfalls wie die Birthler-Behörde seit dem 1. Januar dieses Jahres zum Ressort der Kulturstaatsministerin. Zum Stil dieser Umorganisation meint Meckel:

    Ich halte diesen Ablauf für nicht gut, weil er einmal natürlich das Parlament brüskiert, zum anderen aber auch bei den Akteuren in der Gesellschaft zu Misstrauen führt. Bisher hatte die Bundesregierung diesem Thema gegenüber nicht gerade die größte Aufmerksamkeit, um es vorsichtig zu formulieren. Und mit dieser Veränderung ist gerade der Wille verbunden, sich diesem Thema neu zuzuwenden, und das kann man begrüßen.

    Die Verlagerung brachte der Bundeskanzler durch einen so genannten Organisationserlass auf den Weg. Berliner Regierungs- und Oppositionskreise debattieren jetzt darüber, ob dies eigentlich ausreiche oder ob nicht der Bundestag dem Wechsel hätte zustimmen müssen. Denn das Parlament hatte Ende 1991 mit dem so genannten Stasi-Unterlagengesetz die Anbindung der Bundesbeauftragten an das Innenministerium beschlossen.
    Unabhängig von der Kontroverse um den organisatorischen Ablauf begrüßt aber auch die Opposition das Dekret, die politische Verantwortung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur an Kulturstaatsministerin Weiss zu übertragen. Günter Nooke, kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

    Ich denke schon, dass ein Organisationserlass des Bundeskanzlers jetzt akzeptiert werden sollte und damit die Birthler-Behörde im Grunde im Bereich des Bundeskanzleramtes ist. Man kann ja auch sagen, es ist nicht die Abwertung zur Kulturstaatsministerin, sondern die Aufwertung ins Kanzleramt.
    Nahezu zeitgleich mit dem Verschieben der Zuständigkeit wurde ein internes Papier aus dem Haus der Kulturstaatsministerin bekannt, worin Staatssekretär Knut Nevermann vorgeschlagen hatte, die Birthler-Behörde bis spätestens 2010 abzuwickeln. Christina Weiss bezeichnet entsprechende Überlegungen jedoch als gegenstandslos:

    Materiell bleibt alles zunächst auf dem Status, auf dem es war. Ich habe nicht weniger Geld, ich habe auch nicht mehr Geld, als Otto Schily hatte. Für uns fängt die Arbeit jetzt auf dem Stand an, auf dem sie war. Und es ist auch keine Planung, irgendetwas zu verändern.

    Über ein Ende der Birthler-Behörde wurde und wird nachgedacht, weil 15 Jahre nach dem Untergang der Stasi die juristische und politische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit an Bedeutung verliert. Denn: Ab 2007 werden Bewerber für den öffentlichen Dienst nicht mehr - so wie bisher - auf eine frühere Stasi-Tätigkeit überprüft.

    Hubertus Knabe, ehemaliger Mitarbeiter der Gauck-Behörde, leitet die Gedenkstätte Hohenschönhausen, einst die zentrale Haftanstalt des MfS, des Ministeriums für Staatssicherheit. Für ihn haben die Stasi-Akten nicht mehr den Stellenwert wie noch vor zehn Jahren.

    Hier ist ja auch in Anschlag zu bringen, dass die Relevanz dieser persönlichen Akteneinsicht in den nächsten Jahren weiter abfallen wird, eine ganze Generation ist inzwischen nachgewachsen, die damit keine persönliche Berührung mehr hatte.
    Dagegen verweist Behörden-Chefin Birthler auf das anhaltend hohe Interesse von Einzelpersonen, die ihre Stasi-Akte sehen wollen. Die Zahl der Antragsteller sei in den letzten drei Jahren nahezu konstant geblieben.

    Der Schwerpunkt nach wie vor unserer Arbeit, wenn ich es mal quantitativ sehe, sind die großen Mengen von Antragszahlen bei der persönlichen Akteneinsicht. Da haben wir gerade im Jahr 2004 wieder 94.000 Anträge gehabt, und manche davon sind sehr aufwändig.
    Das Bürgerkomitee Leipzig informiert unter anderem mit einer Ausstellung in der so genannten Roten Ecke, der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung, über Einschüchterung und Verfolgung in der DDR. Irmtraud Holitzer gehört zu den Gründern des Bürgerkomitees. Sie beobachtet eine zunehmend sachliche Auseinandersetzung mit den Stasi-Akten; nicht mehr die emotionale, von Enthüllungen und Verdächtigungen begleitete Beschäftigung mit diesem Thema wie noch vor ein paar Jahren:

    Die Leute brauchen einfach diese Behörde, weil sie ihre Akten sehen wollen. Und der Prozess ist überhaupt noch nicht abgeschlossen. Also das merken wir auch in Leipzig, dass das Interesse ungebrochen ist, und das wird eigentlich noch mehr. Viele haben einfach ganz großen Bedarf, auch aus einem gewissen Abstand jetzt ihre Akten zu sehen. Da darf überhaupt kein Ende in Sicht sein, das wäre auch ein ganz falsches politisches Signal.
    "Braucht man aber, um diese Aufgaben zu bewältigen, einen so kostspieligen und aufwändigen Apparat?" hält Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dagegen und meint dann:

    Wenn Sie bedenken, dass man aus dem Etat der Stasi-Akten-Behörde 100 Gedenkstätten Berlin-Hohenschönhausen finanzieren könnte, muss man schon fragen, ob hier die Gewichte richtig austariert sind.
    Dem Stasi-Experten Knabe wiederum widerspricht der Bundestagsabgeordnete Eckehard Barthel. Die Birthler-Behörde arbeite keineswegs ineffizient, betont Barthel, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

    Ich habe bisher noch nicht gehört, dass in der Birthler-Behörde die Leute, die dort beschäftigt sind, nicht eine sinnvolle Arbeit machen und auch ausgelastet sind. Dieses Thema Personalstärke ist kein Thema im Zusammenhang mit der Frage, wie strukturieren wir hier gerade in Berlin die Erinnerungsstätten an das DDR-Regime. Das spielt da keine Rolle.


    Zu den wesentlichen Aufgaben der Birthler-Behörde zählen laut Stasi-Unterlagengesetz die Bereiche "Bildung und Forschung". Eine eigene Abteilung untersucht Struktur, Tätigkeit und Methoden des Staatssicherheitsdienstes und unterrichtet die Öffentlichkeit durch Publikationen, Vorträge und Ausstellungen.
    Private wie öffentliche Einrichtungen, die auch auf diesem Gebiet tätig sind, beklagen allerdings, dass die Birthler-Behörde ihren Bildungs- und Forschungsauftrag zu weit fasse. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel:

    Da gibt es den Trend, weit über den Auftrag, der im Gesetz formuliert ist, hinauszugehen und sich zu der gewissermaßen Superbehörde der politischen Bildung zu machen. Das ist vom Gesetzgeber so nicht gedacht gewesen, und da ist die Frage, ob das wirklich angemessen ist.
    Historiker, die sich mit der SED-Diktatur beschäftigen, sehen sich gegenüber den Forschern der Birthler-Behörde benachteiligt. Diese könnten die kompletten Stasi-Akten einsehen, während sie nur Fragmente vorgelegt bekämen. Manfred Wilke, Leiter des "Forschungsverbundes SED-Staat" an der Freien Universität Berlin:

    Die Außenforscher, die bekommen nicht die Originale in die Hand, sondern sie bekommen geschwärzte Unterlagen, wo die berühmten Dritten und nicht Betroffenen gnadenlos geschwärzt sind, so dass Zusammenhänge, in denen das Papier entstanden ist, manches Mal nur erraten werden können.
    Manche Experten berufen sich auf die Forschungsethik und erinnern an das Grundgesetz. Die in Artikel 5 verbriefte Wissenschaftsfreiheit sei bei den Stasi-Akten nicht gewahrt. Externe Forscher könnten die Veröffentlichungen der Birthler-Behörde nicht überprüfen.
    Im Archivbereich gelten allerdings Gesetze, die eine allgemeine Sperrfrist von 30 Jahren vorschreiben. Hätte man das Bundesarchivgesetz auf die Stasi-Unterlagen angewandt, wäre eine sofortige Erforschung der MfS-Tätigkeit ebensowenig möglich gewesen wie die Akteneinsicht Betroffener und die Enttarnung von Stasi-Spitzeln. Der ehemalige Bundesbeauftragte Joachim Gauck, Amtsvorgänger von Marianne Birthler:

    Deshalb hat ja der Gesetzgeber diese spezialgesetzliche Regelung getroffen und auch den Zugang, dass nicht alle Wissenschaftler gleichmäßig Zugang nehmen können wie zu einem Normalarchiv.
    Bislang war unter anderem auch die Weitergabe von Akten bereits Verstorbener verboten. Doch jetzt will die Birthler-Behörde die Unterlagen von toten Amtsträgern und Prominenten bereits nach einer Schonfrist von mehreren Jahren an Wissenschaftler herausgeben.
    Die Probleme im Umgang mit den Stasi-Akten führen viele Historiker auf das Stasi-Unterlagengesetz zurück. Wenn die Dokumente dagegen in die Obhut des Bundesarchivs kämen, so hofft z.B. Hubertus Knabe, würden solche Einschränkungen wegfallen.
    Eine ganz einfache Lösung wäre, dass man das Gesetz außer Kraft setzt, dann würde automatisch dieser Aktenbestand zu den anderen Staatsakten der DDR ins Bundesarchiv nach Berlin-Lichterfelde kommen, rechtlich dem Archivrecht unterstellt werden.

    Im Bundesarchiv verwahren zur Zeit über 800 Mitarbeiter ungefähr 300 Kilometer Akten. Auf dessen Gelände in Berlin-Lichterfelde, wo früher preußische Kadetten, zur Nazi-Zeit die "Leibstandarte SS Adolf Hitler" und danach amerikanische Besatzungssoldaten exerzierten, sind bereits Erweiterungsbauten für bis zu 500 Kilometer Akten geplant. Platz genug, um dort die Stasi-Akten unterzubringen, meint der Präsident des Bundesarchivs, Hartmut Weber.

    Man muss sich ja das nicht vorstellen, dass wir hier mit unseren 800 Mitarbeitern diese ganze Sache schultern und bewältigen müssen, sondern ich gehe davon aus, dass mit diesen Unterlagen dann auch die notwendigen Archivare aus dem Bereich der Stasi-Unterlagenbehörde mit ins Bundesarchiv kommen.
    Im Bundesarchiv lagern bereits die Akten der DDR-Parteien und Massenorganisationen, unter anderen der SED, der Jugendorganisation FDJ und des Gewerkschaftsbundes FDGB. Kämen die Akten der Stasi hinzu, würde dies zu Synergieeffekten führen. Nahezu alle die DDR betreffenden Unterlagen befänden sich dann nämlich unter einem Dach, erklärt Manfred Wilke.

    Als Historiker würde ich sagen, spricht auch dafür, dass endlich die Aktenüberlieferung von Parteien und MfS zusammen gesehen werden müssen, weil alle Leute, die mit diesen Aktenüberlieferungen arbeiten, wissen, dass, wenn sie politische Prozesse in der DDR verstehen wollen, dann reichen die MfS-Akten hinten und vorne nicht, denn das letzte Wort hatte die Partei.
    Bei den Stasi-Akten handelt es sich andererseits aber nicht um schriftliche Überlieferungen von Staats- und Parteiorganisationen wie dem DDR-Ministerrat oder der SED, sondern zum großen Teil um rechtswidrig gewonnene Unterlagen eines Geheimdienstes.
    Sind diese Akten genauso zu behandeln wie anderes Archivgut? Marianne Birthler verweist auf den Fall des Altbundeskanzlers Helmut Kohl, der vor Gericht erfolgreich gegen die Herausgabe von Stasi-Unterlagen geklagt hatte.

    Ich halte nur die Hoffnung, dass dieses Problem gelöst wäre, wenn die Akten ins Bundesarchiv kommen, für ausgesprochen irrig, denn es gibt dieses Stasi-Unterlagengesetz, und es gibt vor allem eine aktuelle Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit Helmut Kohl. Der bindet diejenigen, die die Akten betreuen, ganz egal wo die nun sitzen, in der Stasi-Unterlagen-Behörde oder im Bundesarchiv.
    Die kontroverse Diskussion um die "Endlagerung" der Stasi-Akten hat gerade erst begonnen. Angesichts der schwierigen Probleme ist Kulturstaatsministerin Christina Weiss zu einer schnellen Lösung nicht bereit. Sie will vielmehr in Arbeitsgruppen und Kommissionen ein Konzept entwickeln.

    Wir haben uns Zeit gegeben. Wir fangen nicht, wie einige gesagt haben, miteinander an, um alles zu verändern. Wir fangen miteinander an, mit allen Beteiligten in großer Geduld und Zielstrebigkeit auch eine Konzeption gemeinsam zu entwickeln. Was ist unsere Zukunftsaufgabe und wie können wir die mit all den Institutionen, die es gibt, die vielleicht verändert werden sollen, die mit Sicherheit enger miteinander arbeiten sollen, wie können wir eine solche Konzeption sinnvoll entwickeln.
    Christina Weiss plant ein Gesamtkonzept für den Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Dabei möchte sie - außer der Birthler-Behörde und der Stiftung "Aufarbeitung" - auch noch weitere Einrichtungen in die Überlegungen einbeziehen:
    Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, das Dokumentationszentrum Berliner Mauer in der Bernauer Straße, das Notaufnahmelager Marienfelde, einst erste Anlaufstation für DDR-Flüchtlinge in West-Berlin, sowie "Haus 1" in der Berliner Normannenstraße, bis Spätherbst 1989 Amtssitz von Stasi-Chef Erich Mielke.
    Der Birthler-Behörde soll in diesem Geschichtsverbund allerdings eine herausgehobene Bedeutung zukommen.

    Ich will die Behörde inhaltlich aufwerten, ich will die Behörde und die Arbeit, die hier gemacht wird, zusammen mit der Arbeit, die andere wie die Stiftung Aufarbeitung, wie alle diese Gedenkinstitutionen, dass wir einfach ein Konzept haben in Deutschland, wo erfahren die Menschen über welche Ereignisse welche Information.
    Völlig unklar ist bislang jedoch, wie die verschiedenen, zum Teil miteinander konkurrierenden Einrichtungen in solch einem Geschichtsverbund konkret zusammenarbeiten sollen. Gedenk- und Erinnerungsstätten wie "Hohenschönhausen" oder "Haus 1" sind authentische Orte. Sie wollen die Öffentlichkeit mit Ausstellungen aufklären, während die Birthler-Behörde sich vorwiegend um die Verwaltung von Akten kümmert und die Stiftung "Aufarbeitung" historisch-politische Projekte fördert.
    Marianne Birthler plädiert durchaus für einen engen Kontakt der unterschiedlichen Institutionen, will aber an der Autonomie ihrer Behörde festhalten.

    Das ist eine interessante Diskussion, wie sich die verschiedenen Institutionen zueinander verhalten, wie man bei aller Pluralität, die ich für eine sehr schützenswerte Angelegenheit halte, trotzdem zuschaut, dass Synergieeffekte möglich werden, dass man also Doppeltes versucht besser abzusprechen. Das lohnt sich allemal, wenn damit nicht der Gedanke verbunden ist, alles so unter ein Dach zusammen zu holen und aufeinander abzustimmen, das kann man ja auch übertreiben.
    Während die Bundesbeauftragte vorsichtig von möglichen Synergieeffekten spricht, formuliert der Historiker Manfred Wilke bereits konkrete Vorschläge. Sie laufen auf eine weitgehende Auflösung der Birthler-Behörde hinaus. Wilke sitzt im Beirat der Stasi-Unterlagenbehörde und der Stiftung Aufarbeitung.

    Wir nehmen diesen Teil der Behörde, die sich mit der Aktenverwaltung beschäftigt, und machen daraus, wie es manche schon vorgeschlagen haben, eine neue Stiftung zur Aufarbeitung und Bewahrung der Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv. Die Forschungsabteilung und die Abteilung für Bildung werden integriert in die Ausgestaltung der Ausstellung über die SED-Diktatur im Haus 1.
    Das "Haus 1" in der Normannenstraße ist als Dienstsitz von Stasi-Chef Mielke das Zentrum des DDR-Terror- und Unterdrückungsapparates gewesen. Bürgerrechtler haben dort nach der Wende mit bescheidenen Mitteln eine kleine Ausstellung aufgebaut, um über den ostdeutschen Spionage- und Spitzelapparat zu informieren. Eine Expertenkommission empfahl bereits vor Jahren, in "Haus 1" ein nationales Dokumentationszentrum zur SED-Diktatur zu errichten. Denn bislang fehlt ein Ort, der die Täter und ihr Handeln in den Mittelpunkt stellt, eine Art "Anatomie der SED-Diktatur".
    Aber allein die Sanierung des maroden Gebäudes würde um die 20 Millionen Euro kosten. Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Stiftung Aufarbeitung:

    Das soll und muss ein wichtiger Ort des Gedenkens und Erinnerns in der Zukunft auch sein, das wird im Augenblick privat betrieben. Aber das ist keine tragfähige Struktur für die Zukunft, und es muss eine Struktur sein, die in Bundesverantwortung ist, denn das ist ein nationales Interesse, dass hier dieses Gedenken und Erinnern organisiert und gestaltet wird.
    Bürgerrechtler fürchten allerdings, dass sie durch eine Professionalisierung der Erinnerungskultur an den Rand gedrängt werden. Sie fordern, in den Diskussionsprozess einbezogen zu werden. Irmtraud Holitzer vom Bürgerforum Leipzig:

    Die Aufarbeitung darf auch nicht so ein ganz komplexes Werk von dem Bund werden. Das darf nicht passieren. Es muss gewährleistet sein, dass die regionalen Initiativen und die aus dem bürgerschaftlichen Engagement entstanden sind, dass die ihre Wertigkeit haben und ihre Wichtigkeit, und dass die unbedingt gefördert werden müssen und erhalten werden müssen.
    Ein Jahr will sich Kulturstaatsministerin Christina Weiss Zeit lassen, ein Konzept zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vorzulegen. Entscheiden wird darüber der Bundestag. Fest steht bislang offenbar nur, dass die Stasi-Akten irgendwann in die Obhut des Bundesarchivs übergehen werden.
    Ob und in welcher Form die Birthler-Behörde dann noch weiter existieren wird, darüber gehen die Prognosen auseinander. Hubertus Knabe:
    Beim Endzustand bin ich mir ziemlich sicher, dass wir in 20 Jahren keine Stasi-Aktenbehörde mehr haben werden, so wie wir auch keine Gestapo-Aktenbehörde haben. Das ist sicherlich eine Sondersituation jetzt nach dem Untergang der DDR gewesen, die irgendwann ausläuft.
    Dagegen warnt der erste Bundesbeauftragte Joachim Gauck, die aktuelle Debatte zum Anlass zu nehmen, die Analyse der SED-Diktatur künftig buchstäblich zu den Akten zu legen und abzuschließen, denn:

    Die große Gefahr bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur besteht darin, dass nur ein Fünftel der Deutschen existenzielle Erfahrungen mit dem Kommunismus als Diktatur haben und vier Fünftel nicht. Bei den Mehrheitsdeutschen gibt es einen weit gefestigten common sense, dass wir nie vergessen dürfen den Kulturbruch der Nazis. Aber dieser Konsens besteht so nicht bezogen auf die kommunistische Diktatur. Und da habe ich die Sorge, dass wir im Grunde genommen so mit der Aufarbeitung der Nazi-Diktatur dann das Gefühl haben, na ja, das genügt eigentlich, aber es genügt nie.