Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Stasi statt Spreewaldgurke

Rainer Eppelmann plädiert für eine umfassende Erinnerung an das SED-Regime in der DDR. Den Jüngeren müsse eine Chance gegeben werden, aus den Erfahrungen in der Diktatur zu lernen, sagte Eppelmann. Vor 25 Jahren hatte er zusammen mit Robert Havemann den Berliner Appell veröffentlicht, der vielfach als Gründungsdokument der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR angesehen wird.

Moderation: Doris Simon | 09.02.2007
    Doris Simon: Es war die heiße Spätphase des Kalten Krieges. In der Bundesrepublik tobte die Nachrüstungsdebatte. Helmut Schmidt war Bundeskanzler, und Erich Honecker regierte die DDR noch nach Belieben, als heute vor 25 Jahren in der "Frankfurter Rundschau" ein Aufruf unter dem Titel erschien "Frieden schaffen ohne Waffen". Im Westen war das zu der Zeit eine beliebte Losung der Friedensbewegung, aber diesen Appell hatten zwei DDR-Bürger verfasst: Robert Havemann, Physiker und bekanntester Dissident Ostdeutschlands, und Rainer Eppelmann, damals Kreisjugendpfarrer in Berlin-Friedrichshain, wegen seiner offenen Kritik und den beliebten Blues-Messen in der Samariter-Kirche ebenfalls dauerbeschattet von der Staatssicherheit.

    Rainer Eppelmann ist jetzt am Telefon. Guten Morgen Herr Eppelmann!

    Rainer Eppelmann: Schönen guten Morgen, Frau Simon!

    Simon: Herr Eppelmann, was Sie und Herr Havemann im Berliner Appell forderten, das war der Rückzug der Besatzungsmächte aus Europa. Die USA sollten Westdeutschland verlassen, die Sowjetunion sich aus ganz Mittel- und Osteuropa zurückziehen. Vor allem aber, forderten Sie, müsse es zu Verhandlungen zwischen den beiden Deutschlands kommen mit dem Ziel der Beseitigung der Teilung, die Voraussetzung für das Ende des Kalten Krieges, die große Aussprache über den Frieden führen. Das waren Ihre Forderungen. Das war mehr als mutig für die Zeit und ganz besonders für die DDR. Was war Ihr Ziel?

    Eppelmann: Einmal den Menschen in der DDR deutlich zu machen angesichts der von Ihnen soeben beschriebenen Situation damals in Europa und in der Welt, dass es tatsächlich eine ungeheuer hohe Gefahr gab, dass der Gedanke der Siegermächte von Potsdam, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen könne, sich inzwischen in sein Gegenteil gekehrt hatte. In Deutschland standen sich zwei Militärbündnisse hoch gerüstet gegenüber, und mit den atomaren Vernichtungswaffen der Amerikaner und der Sowjetunion waren wir alle in einer Situation, dass der Erdball fünf-, sechs-, siebenmal vernichtet werden konnte. Dem wollten wir, wenn irgend möglich, ein deutliches Ausrufezeichen entgegensetzen, wollten deutlich machen, die Argumentation in der DDR "schrecklich diese Pershings der Amerikaner und wie herrlich die Friedenstauben SS20 der Sowjetunion". Das war scheinheilig und hat zu nichts geführt. Und wir sind der Meinung gewesen, an der Stelle muss es zu einer Wende kommen. Die SS20 sind genauso schreckliche Waffen wie die Pershings. Beide sind auf Vernichtung von Gütern und von Menschenleben angelegt.

    Und zum Zweiten wollten wir deutlich machen - das hätte man ja nur den Amerikanern und den Russen sagen können und müssen -, dass die DDR, die von sich jeden Tag behauptete, sie würde überzeugende Friedenspolitik machen, sei ein Friedensstaat, dass sie selber Dinge dazu beitragen könnte, um das Vertrauen zwischen den Blöcken wachsen zu lassen: also kein Kriegsspielzeug herstellen, auf militärische Demonstrationen verzichten, um bloß zwei Beispiele zu nennen, Abschaffung des Wehrkundeunterrichts.

    Simon: Wenn Sie sagen "ein Ausrufezeichen setzen", das heißt also, eigentlich wollten Sie mit diesem Papier mal abgesehen von den ganz weit reichenden Forderungen eine Diskussion in Gang bringen?

    Eppelmann: Wir wollten eine Diskussion innerhalb der DDR in Gang bringen, und zwar nicht nur innerhalb der inzwischen im Entstehen begriffenen Friedenskreise im Bereich der evangelischen Kirche, sondern in der Gesamtgesellschaft. Darum also das Gehen in die Öffentlichkeit. Das sollte ein politischer Appell werden, der eine allgemeine Bedeutung und eine allgemeine Kenntnis in der DDR erlangen sollte, deswegen also auch die Unterschriftensammlung und deswegen, weil die evangelische Kirche in der DDR sich auf meine Frage hin für eine Transportleistung nicht zur Verfügung stellen wollte und konnte, ging das das erste Mal mit einem solchen Text über die westlichen Medien, um möglichst rasch und möglichst weit die Bürger in der DDR zu informieren.

    Simon: Das heißt, das war nicht sozusagen ein Nebenprodukt die Veröffentlichung in einem Westmedium, sondern das war ganz wichtig, um das Ding publik zu machen?

    Eppelmann: Richtig! Das war eine entscheidende strategische Frage. Diesen Umgang habe ich als ein damals noch, was das anging, relativ unbedarfter evangelischer Pfarrer bei Robert Havemann gelernt, dass die Regierenden in der DDR, wenn es darauf ankam, in der Lage waren, ihnen wichtige Informationen innerhalb von wenigen Minuten in die ganze DDR zu bringen. Und wir brauchten mit unseren nur kirchlichen oder persönlichen Kontakten Monate, um so etwas zu erreichen. Dann hat mir Robert deutlich gemacht, das einzige, was uns da helfen kann, ist ein bewusstes Zusammenarbeiten an dieser Stelle mit den westlichen Medien.

    Simon: Sie sprachen es an, Herr Eppelmann. Auch Ihnen als Kreisjugendpfarrer hat die evangelische Kirche in der DDR damals die Zusammenarbeit verweigert. Die wollte eben nicht das Ganz publik machen, den Berliner Appell. Wie war denn insgesamt in der damals 17 Millionen Menschen umfassenden DDR der Rückhalt für Ihre Forderung? Auf wie viele konnten Sie de facto zählen?

    Eppelmann: Diejenigen, die bereit gewesen sind zu einer Zeit, als man das noch für wahnwitzig halten musste, waren natürlich eine ganz geringe Zahl. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Gerd Poppe, hat mal eine Zahl gesagt von ein paar Hundert, knapp Tausend in der ganzen DDR, von denen man sagen kann, dass sie über Jahre in solchen Kreisen engagiert waren und Briefe geschrieben haben, Resolutionen verfasst haben, Petitionen abgegeben haben. Das, was wir nachher und hoffentlich auch heute noch ein Stück in Erinnerung behalten haben, was wir als die Herbstrevolution bezeichnen, dass da Hunderttausende in verschiedenen Ecken, insgesamt also mehr als eine Million auf der Straße waren, das ist ja tatsächlich erst in den allerallerletzten Wochen der DDR Erich Honeckers und Egon Krenz' gewesen. Aber die Zeit, von der wir jetzt reden, das ist 1982 gewesen. Da hat noch keiner, auch keiner von uns gewusst, was 1989 in der DDR möglich sein wird.

    Simon: Sind Sie damals, als das ganze via Westmedien publik wurde, in der DDR auf Unverständnis auch gestoßen?

    Eppelmann: Ja, natürlich. Leute, die Angst hatten und damit nichts zu tun haben wollten, Leute die uns massiv kritisiert haben auch innerhalb der evangelischen Kirche, die gesagt haben, das hat mit dem Tun und dem Auftrag eines Pfarrers überhaupt nichts zu tun, bis hin zu dem Vorwurf, Du bringst unsere ganze Arbeit damit in Gefahr. Ich weiß noch, dass Manfred Stolpe, der damals Konsistorialpräsident in Berlin war, nicht bloß gesagt hat wir können das nicht transportieren, sondern dass der gesagt hat, wenn ich gewusst hätte, wie die darauf reagieren, auf diesen Text von euch beiden, dann hätte ich versucht, ihnen den sehr, sehr nachdrücklich auszureden.

    Simon: Um das Bild weiterzuspinnen, Sie sind ja sofort dann auch in die Zange genommen worden, nach der Veröffentlichung dieses Artikels festgenommen worden. Herr Havemann, der sowieso schon in strengem Hausarrest lebte, wurde dann noch weiter bespitzelt. Er ist kurz nach, zwei Monate später, gestorben an einer langen Krankheit. Das alles ist erst 25 Jahre her und das ist auch nur ein Beispiel für einen Staat, der seine Bürger bespitzelt hat und die Opposition, wenn sie sich so zeigte wie in Ihrem Berliner Appell, im Keim zu ersticken versucht hat. Sie, Herr Eppelmann, erleben ja als Vorstandsmitglied der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur heute, wie fern vielen Deutschen das Thema ist, auch wie viel Desinteresse es daran gibt. Ist daran eigentlich noch etwas zu ändern?

    Eppelmann: Da bin ich ganz überzeugt, weil ich feststelle, dass unsere Veranstaltungen seit etwa zwei Jahren erheblich besser besucht werden, als sie das in den Jahren davor wurden. Und die Interessenten haben sich ein Stück gewandelt. Das sind nicht mehr nur die Alten, die das alles miterlebt haben, sondern da sind inzwischen erfreulicherweise auch junge Leute dabei, wenn Sie so wollen die Wiedervereinigungsgeneration, und die jetzt anfangen zu fragen wie in der alten Bundesrepublik meinetwegen die 68er, wie ist denn das eigentlich damals gewesen. Das sehe ich schon als etwas ausgesprochen Mut-Machendes an. Wenn ich etwa an einen Film wie "Das Leben der Anderen" denke, dann habe ich den Eindruck, da passiert das erste Mal auch qualitätsvolle Auseinandersetzung mit der DDR, wie sie tatsächlich war, und nicht bloß eine Verharmlosung so wie Spreewaldgurke, die Goldmedaille im Eistanzen, oder mit dem Trabant. Die DDR war nicht zum Lachen, auch nichts Lächerliches. Sie war aber auch keine ganz kommode Diktatur am Ende des 20. Jahrhunderts, die man relativ normal nennen konnte. Das war sie nicht.

    Vier Millionen Menschen sind abgehauen. Die haben es nicht ausgehalten. Davon sind eine ganze Reihe auch gestorben. Das alles haben heute leider sehr, sehr viele vergessen, und von daher ist es glaube ich ganz, ganz wichtig. Jeden Tag gibt es Menschen, Zeitzeugen die sterben, und die Neugeborenen, für die das alles Geschichte und Vergangenheit ist. Wir müssen ihnen eine Chance geben, dass sie das erinnern können, dass sie das zur Kenntnis nehmen können, um aus den Erfahrungen von uns zu lernen. Das ist ein Stück Erbe, das wir weiterzugeben haben.

    Simon: Heute vor 25 Jahren erschien in der "Frankfurter Rundschau" der Berliner Appell, ein Aufruf unter dem Titel "Frieden schaffen ohne Waffen" von Robert Havemann und Rainer Eppelmann. Mit Rainer Eppelmann haben wir eben gesprochen. Vielen Dank, Herr Eppelmann, für das Gespräch.

    Eppelmann: Wiederhören.