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Stefan Zweig
Eindrucksvolle Briefwechsel

Stefan Zweig pflegte seine Freundschaften auch über Briefwechsel, von denen nun zwei veröffentlicht wurden. Im politisch schwierigen frühen 20. Jahrhundert diskutiert er mit dem Nobelpreisträger Romain Rolland, später auch mit dem "brillanten" Joseph Roth, und entwickelt sich weg von seinen jugendlich-idealistischen Wurzeln.

Von Richard Schrötter | 18.03.2015
    Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881−1942)
    Der Autor Stefan Zweig führte einen regen Schriftverkehr. (dpa / picture alliance / DB Ullstein)
    Wie kommen Künstlerfreundschaften zustande? Gewöhnlich durch gemeinsame Interessen, durch räumliche Nähe - Seelenverwandtschaft. Oft auch durch maßlose, ja übertriebene Bewunderung/Verehrung und schrankenloses Vertrauen. Und nicht zuletzt durch den Austausch von Briefen - durch intensive Vernetzung und fortwährende Kommunikation. "Es überrascht mich nicht, dass wir Sympathie füreinander empfinden", schreibt 1910 der französische Schriftsteller Romain Rolland an seinen fünfzehn Jahre jüngeren Kollegen Stefan Zweig. "Seit ich zum ersten Mal Verse von Ihnen gelesen habe, weiß ich, dass wir in mancherlei Hinsicht gleich fühlen [: in der Poesie der Glocken, des Wassers, der Musik und der Stille. Und] Sie sind ein Europäer. Ich bin es auch, aus vollem Herzen. Die Zeit ist nicht mehr fern, da selbst Europa das kleine Vaterland sein und uns nicht mehr genügen wird. Dann werden wir das Denken anderer Völker in den poetischen Chor aufnehmen, um den harmonischen Zusammenhang der Menschheitsseele wiederherzustellen."
    Hehre Worte, die sich bald als schöne Illusion herausstellen werden. Aber so waren sie und so wollten sie sein - gute Europäer und heroische Repräsentanten der Menschheitsseele - Weltgewissen. Der aus dem Burgund stammende Romain Rolland und der Wiener Jude Stefan Zweig. Zweig hatte Rollands gefeierten Großroman Jean Christophe gelesen und dem Verfasser begeistert nach Paris geschrieben und zugleich als Erkennungszeichen seiner Gesinnung eine eigene Publikation mitgeschickt.
    Zwei Idealisten
    Es verband sie ja viel. Beide lebten und schrieben im Banne großer Vorbilder, edler Menschen, die sie in ihren Büchern glorifizierten. Rolland über Beethoven, Tolstoi und Gandhi - Zweig über Erasmus, Dostojewski - und nicht zuletzt über den Freund Romain Rolland. Dass sich Rolland der deutschen Kultur tief verbunden fühlte, war kein Geheimnis und dürfte Zweig nicht entgangen sein. In Rom hatte er als Stipendiat Malwida von Meysenbug kennengelernt. Die weit gereiste hochherzige alte Dame, befreundet mit Herzen, Mazzini, Nietzsche, mit Ibsen und Wagner, war für ihn eine späte Repräsentantin des "deutschen Idealismus".
    Intensiven Kontakt pflegte Rolland auch über viele Jahre zu Richard Strauss. Den Skandalkomponisten der Wilhelminischen Ära beriet der Weltbürger der 3. Republik u. a. bei der französischen Bühnenfassung der Oper Salomé. Umgekehrt hatte sich der junge Zweig mit der französischen Kultur intensiv auseinandergesetzt. Er hatte Aufsätze über Rimbaud, Verlaine und eine Monografie über den "bewunderten" Dichter Emile Verhaeren verfasst, den er mehrfach besuchte und mit dem er auch brieflich verkehrte.
    Soviel zur idealistischen Vorgeschichte dieser Korrespondenz. 1911 findet zwischen den beiden Männern die erste persönliche Begegnung statt. Zweig ist die treibende Kraft, der Umwerbende. Dann kommt der 1. Weltkrieg. Er wird zu einer Belastungsprobe. Es gibt Missverständnisse - Differenzen. Zweig entpuppt sich dabei als der Naivere und gutgläubigere. Doch getragen von einer großen humanistischen Bildungsidee hält man sich die Treue. Zweig im Oktober 1914 an Rolland: "Nie habe ich öfter und herzlicher an Sie gedacht als in diesen Tagen, nie mehr gefühlt, dass nur die Gerechtigkeit, die letzte Aufrichtigkeit uns einander wichtig machen kann. Und wie seltsam: Wir haben beide fast zur gleichen Zeit von uns gesagt, wie wir gegen unseren Willen in die wilde Leidenschaftlichkeit geraten sind, und ich finde in Ihren Worten (und Sie hoffentlich auch in den meinen nicht) nie das Wort Hass oder dessen Schatten nur. Als ich gestern las, Charles Péguy sei gefallen, hatte ich nur Trauer, nur Bestürzung in mir, nirgendwo stand in meinem Herzen seinem Namen das Wort beigemengt: Feind! Wie schade um den edlen reinen Menschen ! ... Nie wird Europa wissen, was es in diesen Schlachten verloren hat, die Totenlisten sind ja nur Namen!"
    Rolland macht sich unbeliebt
    Während Romain Rolland mit Aufrufen, Gewissensermahnungen öffentlich auf die Kriegsereignisse reagiert und sich unbeliebt macht, hält sich Zweig vorsichtig zurück. Ein halbes Jahr vor Kriegsende, vier Jahre später, am 23. März 1918, auf die Nachricht vom Beginn der letzten deutschen Frühjahrsoffensive, schreibt schuldbewusst Zweig: "Ich will meine Hände nicht mehr in dieses scheußliche Gemisch aus Tinte, Blut und Geld besudeln, das sich Politik nennt. Erneute Blutbäder und die Verewigung des Hasses. Ich lese jetzt die Bände von Bertha von Suttner, das posthume Werk 'Der Kampf zur Vermeidung des Weltkrieges', und ich fühle mich schuldig, diese ganzen zehn Jahre bewusst erlebt und doch nichts gesehen, nichts gesagt, nichts getan zu haben."
    Das zeigt diese Korrespondenz auch, die Ohnmacht der Intellektuellen - gerade derjenigen, die es idealistisch gut meinten ... Und das verleiht ihm sein besonderes Gewicht. Wie hier in Zeiten äußerster politischer Gegnerschaft Brücken (der Menschlichkeit) geschlagen werden, wie Peter Handke in seinem Begleitwort betont.
    Ein anderer Tonfall, weniger repräsentativ und sehr viel privater, herrscht in dem Briefwechsel zwischen Stefan Zweig und Joseph Roth. Die Korrespondenz beginnt 1927 - also fast 10 Jahre nach dem 1. Weltkrieg.
    Roth gibt den Ton an
    Der 48-jährige Stefan Zweig ist inzwischen ein weltweit gelesener Bestsellerautor. Joseph Roth, 15 Jahre jünger, hat sich als "brillanter" Journalist etabliert und versucht sich allmählich als Romancier etablieren. Nicht eine um Ausgewogenheit bemühter Gedankenaustausch wird vorgeführt, sondern ein dramatischer Klagegesang (Schicksalslied - ein Rütteln, Faustschläge ins Nichts), eine Art Antifon über die Zeit im Exil zwischen Ziehvater und verlorenem Sohn... Und Joseph Roth ist es, der den Ton angibt.
    Er benimmt sich oft böse, bisweilen regelrecht "daneben", verzweifelt, drastisch als gehöre das zu einer echten Freundschaft. Der Weltbürger Zweig hingegen bemüht sich gewöhnlich (um Haltung), versucht, die Fassung zu bewahren. Wo ihm Roth den Glauben an die Menschheit als hohle Geste und sinnlos vorwirft, versucht er mit Goethischer Konzilianz und Disziplin, die Situation zu meistern. Und während Zweig - trotz Emigration und wachsender Ohnmacht an der politischen Situation - finanziell in wohlgeordneten Verhältnissen lebt, schreibt der langsam verwahrlosende Nomade Roth Bettelbriefe.
    "Paris, 18. Okt. 1935, Mein Tag: Ich arbeite jeden Nachmittag von 3-8h. Hierauf gehe ich in's andere Café. Um 12h komme ich heim. Ich lege mich hin. Ich habe fürchterliche Träume. Ich erwache zwischen 6-7. Ich breche Galle. Ich lege mich hin. Ich schlafe nicht. Mein Herz zittert. Ich sitze, wie ein Gelähmter, zwei Stunden, dumm und gedankenlos. Ich fange langsam an zu denken. Ich ziehe mich an. Ich gehe hinunter und vermeide den Hotel-Inhaber. Ist er weg, atme ich auf. Ich gehe ins Bistro. Ich trinke, um zu mir zu kommen. Ich fange langsam an, zu schreiben. So ist mein Leben. ... Ich erleide dabei wortwährend die Vorwürfe meiner Nächsten, bös, bös sind die Menschen zu mir. ... Unnachsichtig sind die Menschen. Bös sind sie zu mir. ... Alle Menschen, denen ich Gutes tun will."
    Wir können diese heroische Beziehungsgeschichte (künstlerischer Selbstpreisgabe) hier nur andeuten. Die Briefe sind nicht bloß ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument, sondern eine höchstpersönliche Passionsgeschichte. Sie sie besitzen eine eigene einzigartige Schubkraft und Dramaturgie. Denn Roth schreibt keine gewöhnlichen Briefe, um sein Gegenüber zu informieren. Er dichtet und inszeniert vielmehr sich selbst, als sei er der Protagonist in einer noch unveröffentlichten Erzählung auf dem Weg zur Legende vom Heiligen Trinker.
    Zwei frühe Todesfälle
    Roth starb völlig verarmt 1939 in Paris an den Folgen einer chronischen Alkoholvergiftung. Sein berühmterer Freund Zweig nahm sich in Brasilien im Februar 1942 das Leben. Die komplexe Beziehung dieser beiden ungleichen Freunde hat übrigens Weidermann in seinem kleinen Roman Ostende einfühlsam beschrieben. Er hat die ungleiche Freundschaft Roth und Zweig und den dramatischen politische Hintergrund quasi-dokumentarisch nacherzählt und die fehlenden biografischen Lücken (Leerstellen) fiktional rekonstruiert.
    Der eindrucksvolle Briefwechsel Roth/Zweig dürfte ihm dabei sehr geholfen haben. Er ist vorbildlich kommentiert und mit den notwendigen biografischen Informationen versehen, um dieses historische Freundes-Tableau besser nachvollziehen zu können. Das kann man leider von der Korrespondenz Zweig/Rolland nicht sagen. Auf die einfachsten historisch-biografischen Angaben wurde verzichtet. Die meisten Ereignisse, Namen, Taten und Werke, einst jedermann bekannt, sind heute Schall und Rauch und verlangen nach Erläuterung. Aber nichts dergleichen.
    Auch auf die nicht unerhebliche Tatsache, dass der Briefwechsel bis 1940 weitergeführt wurde und diese heikle Freundschaft keinesfalls schon 1918 abbricht, wie es der 'einfache Leser' annehmen könnte, sondern "wegen politischer Unstimmigkeiten" entfremdete, wird ärgerlicherweise nicht näher eingegangen. Das filigran-prätentiöse Begleitwort von Peter Handke, so gut gemeint und verwunderlich es auch ist, hilft einem auch nicht viel weiter, führt da eher in die Irre.
    Romain Rolland / Stefan Zweig: "Von Welt zu Welt. Briefe einer Freundschaft - 1914–1918."
    Mit einem Begleitwort von Peter Handke, aus dem Französischen von Eva und Gerhard Schewe sowie Christel Gersch, 462 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 24,95 Euro
    Joseph Roth / Stefan Zweig: "Jede Freundschaft ist mir verderblich. Briefwechsel 1927-1938."
    Diogenes [detebe 24279], 624 Seiten, 18.90 Euro