Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Steidl-Verlag weiht Grass-Archiv ein
"Das Einscannen aller Werke - das wird schon fünf bis zehn Jahre dauern"

Danzig, Bremen, Lübeck, Berlin: In diesen Städten wird der Nachlass von Günter Grass gehegt und gepflegt. Heute ist mit dem Günter-Grass-Archiv des Steidl-Verlags in Göttingen eine neue Pilgerstätte dazugekommen. Zur Einweihung gibt's Manuskripte und Illustrationen für den im August erscheinenden Prosa-Gedichtband "Vonne Endlichkait".

Gerhard Steidl im Gespräch mit Mascha Drost | 12.06.2015
    In Göttingen wurde das neue Günter-Grass-Archiv eröffnet.
    In Göttingen wurde das neue Günter-Grass-Archiv eröffnet. (dpa / picture alliance / Swen Pförtner)
    Mascha Drost: Danzig hat eins, Bremen auch, Lübeck natürlich, Berlin nicht zu vergessen, und jetzt auch noch Göttingen. Diese Städte hegen, horten und pflegen den Nachlass von Günter Grass in Archiven, in Grass-Häusern und Grass-Museen. Heute ist eine neue Pilgerstätte dazugekommen, in einer Stadt allerdings, in der Grass nie gelebt hat, dafür sein Verleger Gerhard Steidl, der die Weltrechte am grassschen Werk hält. Zur Einweihung in Göttingen werden Manuskripte und Illustrationen für den im August erscheinenden Prosa-Gedichtband "Vonne Endlichkait" gezeigt. Aber wozu braucht es eigentlich ein weiteres Grass-Archiv, wo es doch schon einige über ganz Deutschland beziehungsweise Polen verteilt gibt? Das habe ich Gerhard Steidl vor der Sendung gefragt.
    Gerhard Steidl: Unser Archiv ist ein Verlagsarchiv. Der Luchterhand-Verlag hat vom Erscheinen der Blechtrommel an bis zum Verkauf des Werkes von Günter Grass an uns im Jahr 1993 - da haben wir die Weltrechte an seinem Werk erworben - ein Verlagsarchiv geführt. Dieses Verlagsarchiv besteht aus Korrespondenzen, Buchumschlagentwürfen, die Grass gemacht hat, Manuskripten, die korrigiert sind in verschiedenen Zuständen. Dazu gibt es die eigentlichen Bücher in den verschiedenen Fassungen, Umschläge, Ausstattungen, die zeigen, wie die Bücher in anderen Ländern verkauft wurden, und dann das große Zeitungsausschnitt-Archiv. So hat man das ja früher gemacht, dass man Zeitungsausschnitte eingeklebt hat in dicke Alben, um später nachzulesen, wie die Rezensionen ausgefallen sind. Dieses Archiv haben wir übernommen und dann habe ich das natürlich fortgesetzt ab 1993 das gesamte Steidl-Archiv bis zum letzten Buch „Vonne Endlichkait", das nun fertig wird. All das ist dort verwahrt und es steht Forschung und Lehre offen. Das ist der große Unterschied zu den anderen Archiven.
    Forschung als Gegenstand der Arbeit
    Drost: Welche neuen Einblicke in das Schaffen von Grass soll oder kann denn Ihr Archiv ermöglichen?
    Steidl: Wir arbeiten ja hier in Göttingen mit der Universität zusammen und vor allen Dingen mit dem Germanisten Professor Detering, und die Idee ist sogar, ein Seminar ab Sommersemester 2016 einzurichten, das das Verhältnis von Wort und Bild im Werk von Günter Grass erforschen soll. Und ich denke, das ist auch etwas, was noch nicht systematisch gemacht worden ist. Grass hat ja von Beginn seiner Arbeit an Gedichte geschrieben, Prosa, gezeichnet, Skulpturen geschaffen und das alles zu einem Werkblock vermischt und eine Gattung bedingt die andere. Das ist das Werk von Günter Grass und das ist noch niemals erforscht worden und das soll Gegenstand unserer Arbeiten hier sein.
    Drost: Ich habe von 60 Containern gelesen, prall gefüllt mit solchen Archivalien. Was sich darunter befindet, haben Sie schon gerade erwähnt. Wer und wann soll das dann sichten oder gesichtet werden?
    Steidl: Man muss dazu sagen, ich bin kein Sammler, also habe ich auch kein gutes Verhältnis zum Aufbewahren von Sachen. Instinktiv habe ich alles, was in diesen 30 Jahren Arbeit entstanden ist, jeden Schnipsel Papier, jeden Ausdruck, jede Korrekturfahne, Andrucke auf verschiedenen Papieren, Buchumschlagentwürfe und Varianten davon, in Kartons getan, die beschriftet, und die sind dann in Archivcontainer gegangen. Sie dürfen auch nicht vergessen: Zum Beispiel das Zeitungsausschnitt-Archiv nach der Nobelpreis-Verleihung umfasst allein ungefähr drei Container. Da sind Lobeshymnen, aber auch Hasstiraden enthalten, die man wunderbar vergleichend nebeneinanderstellen kann.
    Drost: Und wie lange dauert das nun, das alles zu sichten?
    Steidl: Wir fangen jetzt an, im August alles einzubringen. Es wird dann in Schränke eingeräumt. Es wird alles sauber beschriftet und ich denke, das Sichten und die systematische Erfassung der Daten, das Einscannen aller Werke, das wird schon fünf bis zehn Jahre dauern. Wir machen das aber wie gesagt in Zusammenarbeit mit der Universität, sodass dort auch eine wissenschaftliche Begleitung garantiert ist.
    Wir arbeiten ja nicht gegeneinander
    Drost: Werden Sie auch mit anderen Archiven wie etwa dem in Berlin zusammenarbeiten?
    Steidl: Ja. In Berlin ist ja der Nachlass von Günter Grass bei der Akademie der Künste untergebracht. In Marbach beim Literaturarchiv liegen Sachen, im Grass-Haus in Lübeck, und natürlich sind wir befreundet schon seit Jahren, wir arbeiten ja nicht gegeneinander, und wir werden unsere Materialien für Ausstellungen zur Verfügung stellen, ebenso die anderen Häuser. Das ist ein Verbund und wir alle gemeinsam arbeiten daran, dass das Werk von Günter Grass erschlossen wird und lebendig bleibt.
    Drost: Sie sind ja nun von Haus aus Verleger, aber Sie designen mittlerweile auch große Ausstellungen wie etwa die Lagerfeld-Schau in der Bundeskunsthalle. Jetzt dieses riesenhafte Archiv. Können Sie all dem gleichermaßen gerecht werden?
    Steidl: Nein. Ich sagte eingangs, dass ich kein Sammler bin, und insofern habe ich auch kein richtiges Verhältnis dazu, die Sachen selbst systematisch aufzubereiten. Aber Sie hatten gesagt, wir sind ein Verlag, und natürlich ist es meine Aufgabe, diese Forschungsergebnisse, die andere bereitstellen, zu publizieren. Und wenn es dann publiziert ist, können Sie sicher sein, dass ich diese Bücher wie jedes andere, das in unserem Verlag ist, lese.
    Drost: Der Verleger Gerhard Steidl - heute wurde das Grass-Archiv in Göttingen eröffnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.