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Steigende Kosten im Gesundheitssystem

Müller: In Berlin sind wir nun am Telefon verbunden mit dem Sozialdemokraten Klaus Kirschner, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Guten Morgen!

    Kirschner: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Kirschner, die Kosten im Gesundheitssystem, sie steigen weiter. Warum bekommt die Koalition das Budget nicht in den Griff?

    Kirschner: Ich nehme mal das gerade auch von Ihnen erwähnte Beispiel der Arzneimittel. Wir haben 2001, nachdem die Ministerin das Budget aufgehoben hat und gesagt hat, der Kollektivregress gilt nicht mehr, und die Ärzte gesagt haben, wir werden das selber steuern, Ausgabensteigerungen von 11,2 Prozent gehabt. Im Jahre 2002 lag dies nochmals auf einem hohen Niveau von fünf Prozent. Das heißt wir müssen hier offensichtlich wieder mit Regress arbeiten, wenn die Ärzte so unvernünftig verordnen, wie das der Fall ist.

    Müller: Warum haben Sie das denn damals aufgegeben, Herr Kirschner?

    Kirschner: Die Ministerin hat auf die Ärzteschaft vertraut, die gesagt hat, wenn wir das Budget aufheben, denn werden wir die Richtgrößen, verteilt auf den einzelnen Arzt, die Arztgruppe bezogenen Arzneimittel - und da gab es ja auch Vereinbarungen - entsprechend einhalten. - Es ist nicht eingehalten worden und dies zeigt - und da will ich auch in dem Zusammenhang sagen -, mit Selbstbeteiligung nützt es überhaupt nichts, sondern wir müssen dann eben zu anderen rigiden Instrumenten greifen.

    Müller: Herr Kirschner, um noch einmal dabei zu bleiben. Das heißt die Ärzte sind schlechte Ratgeber?

    Kirschner: Ja, in dem Fall auf jeden Fall, zumindest die Ärztefunktionäre. Ich will in dem Zusammenhang auch mal sagen: die kassenärztlichen Vereinigungen sind ja verantwortlich für die entsprechenden Sicherstellungen, das heißt auch für eine entsprechende Wirtschaftlichkeit. Offensichtlich hat man hier dies nicht gemacht und deshalb ist das eines unserer Probleme, warum die Beitragssätze steigen.

    Müller: Nun gibt es ja seit Jahrzehnten oder sagen wir in den letzten zehn Jahren immer Reformbedarf, Handlungsbedarf in der Gesundheitspolitik. Darum muss ich Sie noch mal fragen: warum hat die Koalition mehr als vier Jahre gewartet, um dann jetzt erst ein Reformgesetz vorzulegen?

    Kirschner: Herr Müller, ich glaube das verkennt zum einen, dass wir im Jahr 2000 ein Gesetz gemacht haben. Da sind viele Dinge im Fluss. Ich nenne beispielsweise die Fallpauschalen im Krankenhaus. Wer allerdings den Prozess beobachtet hat der weiß ja, wenn wir als Gesetzgeber ein Gesetz machen und es dann um die Umsetzung geht, dann sind natürlich immer Interessen betroffen, also beispielsweise im Krankenhaus die Krankenhausgesellschaft, die dort arbeitenden oder sagen wir der Marburger Bund, die ja zum Beispiel das Fallpauschalensystem zuerst einmal abgelehnt haben. Jetzt ist dies erst ein mühseliger Prozess und in diesem Jahr wird sich ein Teil der Krankenhäuser freiwillig beteiligen. Im kommenden Jahr gilt das dann für alle. Wer aber diesen Prozess beobachtet hat weiß, mit welchen Widerständen wir arbeiten. Wir haben im Gesetz einen Katalog stationsersetzender ambulanter Maßnahmen beschlossen. Das heißt, dass sowohl in den Praxen als auch im Krankenhaus ambulant operiert werden kann. Bis heute ist dieser Katalog nicht zu Stande gekommen. Er scheitert an der Selbstverwaltung. Das sind alles die Dinge, die man doch mal sehen muss. Wenn dann der Ärztetag von Staatsmedizin redet, da kann ich nur sagen, wenn einem die Argumente ausgehen, weil man selber nicht in der Lage ist oder auch nicht bereit ist, die vom Gesetzgeber aufgegebenen Aufgaben zu erfüllen, dann muss man etwas diffamieren. Es geht hier nicht um eine Staatsmedizin, sondern die Selbstverwaltung ist selber in einer Blockadefalle und da werden wir mit neuen Gesetzen versuchen müssen, diese Blockade aufzulösen.

    Müller: Sie sagen, Herr Kirschner, wenn ich Sie richtig verstanden habe, es geht nicht um staatliche Bevormundung, es geht nicht um Staatsmedizin. Dann heißt es, es geht auch aus Sicht der Sozialdemokraten um mehr Wettbewerb.

    Kirschner: Ja und bei der Gelegenheit möchte ich an folgendes erinnern: Damals in dieser All-Parteien-Koalition 1992 in Lahnstein haben wir damit begonnen, für einen Wettbewerb im Gesundheitssystem zu sorgen, und zwar einen Wettbewerb um Qualität in der Versorgung, nicht ein Wettbewerb um die Versicherten - das darf nicht sein; das ist fatal -, sondern ein Wettbewerb um die bestmögliche oder qualitativ höchstmögliche Versorgung der Versicherten. Das so angegriffene, von uns geplante Institut für Qualitätssicherung, das ist ja nicht etwas, was staatlicherseits etwas vorschreibt, sondern ein solches Institut soll beispielsweise Behandlungsleitlinien erstellen und die gehen dann an die Selbstverwaltung und die Selbstverwaltung hat die dann umzusetzen.

    Müller: Die damit dann die Freiheit der Ärzte doch einschränken würde?

    Kirschner: Ich bitte Sie, es geht doch hier nicht darum, die Freiheit der Ärzte einzuschränken. Es geht hier darum, dass wenn ich als Versicherter eine Krankheit erleide, eine schwere Krankheit, nehmen Sie mal Diabetes oder nehmen Sie mal eine Krebserkrankung, dass ich dann auch als Patient sicher sein kann - und um nichts anderes geht es -, dass der behandelnde Arzt oder die behandelnden Ärzte eine Behandlung oder Behandlungsschritte machen, die wissenschaftlich abgesichert sind. Wir haben eine gute Medizin, aber wir haben in vielen Fällen - und das hat der Sachverständigenrat für die konstatierte Aktion im Gesundheitswesen ja wiederholt festgestellt, auch in seinem jüngsten Gutachten - die Situation, dass wir Über-, Unter- und Fehlversorgung haben. Das heißt wir können und wir müssen in der Medizin besser werden, dort wo wir offensichtlich Fehlversorgung haben, und nichts anderes ist geplant mit einem solchen Institut. Das ist keine Staatsmedizin; das ist eine Diffamierung von solchen Vorstellungen.

    Müller: Herr Kirschner, wir müssen noch über einen Punkt reden, nämlich über die Finanzierung. Das war auch Ausgangspunkt der Diskussion.

    Kirschner: Ja, aber lassen Sie mich nur eine Bemerkung machen. Dass der Patient sicher ist, dass er die höchstmögliche Qualität in der Versorgung erhält, um nichts anderes geht es.

    Müller: Paritätische Finanzierung, unser Stichwort, Herr Kirschner. Da gibt es unterschiedliche Stimmen in der Koalition. Die Grünen haben gesagt, wir müssen über die paritätische Finanzierung sprechen, sprich: der Arbeitgeberanteil sollte, könnte möglicherweise eingefroren werden. Stimmen Sie da zu?

    Kirschner: Dem stimme ich überhaupt nicht zu, denn dann haben auch die Arbeitgeber ein geringeres Interesse, dass überhaupt Wirtschaftlichkeit in diesem System noch zum Tragen kommt. Wissen Sie wenn ich jetzt umgekehrt den Vorschlag machen würde, dann frieren wir auch den Arbeitnehmeranteil ein, dann würden alle sagen, der Kirschner spinnt.

    Müller: Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gudrun Schaich-Walch hat das auch in die Debatte gebracht. Fällt die Ihnen in den Rücken?

    Kirschner: Sie fällt damit der Gesundheitsministerin in den Rücken. Das ist meine Überzeugung. Im übrigen, das gilt für die SPD: Wenn wir hier einen solchen Paradigmenwechsel vollziehen, wenn das gemacht wird, dann würde ich auch empfehlen, wie es in einer demokratischen Partei üblich ist, dann muss ein solcher Paradigmenwechsel auch auf einem Parteitag mal diskutiert werden. Ich halte es für falsch, weil damit auch - ich sage das noch einmal - eine gesellschaftlich wichtige Gruppe wie die Arbeitgeber aus der Verantwortung mehr oder weniger entlassen werden, selbst ihren Teil dazu beizutragen, dass dieses System so wirtschaftlich wie möglich arbeitet, und zwar mit höchster Qualität was die Versorgung angeht.

    Müller: Letzte Frage, Herr Kirschner: Was ist für Sie der wichtigste entscheidende Schritt, um möglichst schnell zu sparen?

    Kirschner: Der wichtigste Schritt ist der, dass wir dort, wo wir Fehlversorgung oder Überversorgung haben, diese Dinge in den Griff bekommen. Im Krankenhaus sind wir mit den Fallpauschalen denke ich auf einem guten Weg. Bei den Arzneimitteln, wo die Ausgaben am stärksten steigen, müssen wir was die Richtgrößen angeht - das ist ein Gesetz - zu Instrumenten kommen, dass wenn Ärzte unwirtschaftlich verordnen dann eben ein Regress greift. Ich mache das sehr ungern, aber die Erfahrung zeigt, dass offensichtlich ohne finanziellen Regress hier solche Steuerungen nicht möglich sind.

    Müller: Klaus Kirschner war das, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses (SPD). - Vielen Dank für das Gespräch Herr Kirschner und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio