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Stein: Rechnungskontrolle auch durch neutraler Stelle möglich

Rainer Stein von der AOK Nordrhein sagt, dass Zahnarztrechnungen häufig von den Kostenvoranschlägen abweichen würden. Diese Abweichungen müssten geprüft werden. Stein betont, dass eine Prüfung nicht zwingend durch die Krankenkassen standfinden müsse.

Rainer Stein im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.04.2012
    Sandra Schulz: Kunststofffüllungen, Kronen oder gar eine Brücke - ein Besuch beim Zahnarzt ist oft nicht nur schmerzhaft, sondern wegen privater Zuzahlungen auch teuer. Die gesetzlichen Krankenkassen wollen jetzt diesen privaten Teil der Zahnarztabrechnung stärker kontrollieren und damit verhindern, dass die Ärzte beim Eigenanteil der Patienten zu deren Lasten tricksen. Die Zahnärzte sperren sich aber gegen diese Pläne. So heißt es bei der Bundeszahnärztekammer, die Zuzahlungen kämen dadurch zu Stande, dass die Leistungen der Krankenkassen so knapp bemessen seien. Darüber haben wir hier im Deutschlandfunk gestern mit Rainer Stein gesprochen. Er ist bei der AOK Rheinland-Hamburg in Nordrhein zuständig für die ambulante zahnärztliche Versorgung. Als erstes hat ihn mein Kollege Tobias Armbrüster gefragt, warum die Krankenkassen denn jetzt ihr Interesse an den Zahnarztrechnungen entdeckt hätten.

    Rainer Stein: Man kann es nicht pauschal sagen, weil es gewiss eine gewisse Dunkelziffer gibt. Wir haben das Problem, dass wir letztendlich nur bei einem Kostenvoranschlag über die Höhe der Kosten informiert sind, später aber, was die Endabrechnung nach Erfüllung der Leistung die Gesamtkosten angeht, keinen Blick mehr auf die Gesamtsituation werfen können. Es passiert also so, dass die Kunden schon hin und wieder auch bei uns in Gesprächen reklamieren, dass die vom Zahnarzt im Vorfeld kalkulierte Kostensituation nach Fertigstellung doch in der Höhe nach oben erheblich abweicht.

    Tobias Armbrüster: Aber diese privaten Geschäfte zwischen Zahnärzten und Patienten, die boomen doch nur deshalb, weil die Krankenkassen sich immer mehr aus der Zahnarztbehandlung zurückziehen.

    Stein: Die Zahnarztbehandlung an sich würde ich jetzt gerne mal trennen wollen zwischen der konservativen Behandlung - ich nenne es pauschal mal das Bohren bei einem Zahnarzt, die Erhaltung der Zahnsubstanz - und auf der anderen Seite den Zahnersatz. Das sind so zwei schwere Arbeitsfelder, die man sehr gut voneinander unterscheiden kann. Wir haben in der konservierend-chirurgischen Behandlung sehr wohl einen voll umfänglichen Vertragsanspruch. In den seltensten Fällen wird hier eine Privatleistung liquidiert. Bei der Zahnersatz-Situation sieht da die Welt schon ein bisschen anders aus. Es war immer schon so, dass Zahnersatz mit einem Eigenanteil versehen war, aber das hat sich halt in den letzten gesetzlichen Entwicklungen verschoben.

    Armbrüster: Das heißt aber jetzt, zahlen wollen die Krankenkassen beim Zahnersatz nicht oder zumindest nicht so viel, aber mitreden möchten sie doch?

    Stein: Ich würde das pauschal auch nicht wieder so stehen lassen wollen. Die Regelversorgung, die heute den Festzuschuss für den Zahnersatz auslöst, ist, solange man im Regelbereich bleibt, in etwa bei einer Größenordnung von 50 Prozent der Kosten. Das ist in der Kalkulation die gleiche Größenordnung wie vor der gesetzlichen Novellierung im Jahre 2005. Inzwischen hat aber auch die Zahnmedizin entwicklungstechnisch einiges an Fortschritten erfahren. Jeder weiß heute, wenn man von einem Implantat spricht, im Grunde genommen, was damit gemeint ist. Und diese Implantatversorgungen sind juristisch betrachtet andersartige Versorgungen und lösen nur den Festzuschuss aus, den auch die Regelversorgung ausgelöst hätte, und da treten natürlich exorbitante Differenzen zu Tage, die da sich auftun, ...

    Armbrüster: ... , und die dann letztendlich der Patient aus eigener Tasche zahlt?

    Stein: ... der Patient aus eigener Tasche zahlen muss. Genau so ist es.

    Armbrüster: Und die soll er aus eigener Tasche zahlen, aber trotzdem wollen Sie als gesetzliche Krankenkasse dieses Geschäft kontrollieren. Warum?

    Stein: Ich würde nicht sagen, dass wir das kontrollieren wollen. Wir haben die Situation, dass der Kunde sehr oft sagt, ich fühle mich in der Situation alleine gelassen, ich hätte gerne jemanden, der mir zur Seite steht. Da es sich aber außerhalb der Regelversorgung um ein privates Geschäft zwischen Patient und Zahnarzt handelt, dürfen wir nur bis zu einem gewissen Grat informieren, aufklären und auch gegebenenfalls unterstützend tätig sein.

    Armbrüster: Das würde ich gerne mal wissen. Wenn ein gesetzlich Versicherter heute eine Zahnarztrechnung bekommt oder einen Kostenvoranschlag bekommt von seinem Zahnarzt und er den nicht ganz genau versteht, dann kann er doch sicher auch jetzt schon zur Krankenkasse gehen und dort um Rat fragen.

    Stein: Ja, das tun wir auch. Es ist tägliches Geschäft in jeder Krankenkasse, dass Kunden, die mit einem Zahnersatzplan von ihrem Zahnarzt kommen, fragen, was macht der Zahnarzt da, wieso sind die Kosten so hoch und was verbirgt sich hinter den Positionen. Also das sind Dinge, die im täglichen Alltag immer wieder vorkommen.

    Armbrüster: Aber dann ist doch diese Forderung der gesetzlichen Krankenkassen eigentlich Schnee von gestern.

    Stein: Wenn Sie das an diesem Punkt festmachen wollen, könnte man sagen, okay, ja, stimmt. Aber der Zug fährt ja weiter. Ein Kostenvoranschlag ist ja noch nicht das Ende vom Lied, sondern die Endstation, die endgültige Eingliederung eines Zahnersatzes und die dann in Rechnung gestellten Beträge weichen oft von denen ab, die vorher im Kostenvoranschlag benannt worden sind. Das hören wir in Kundengesprächen sehr oft, dass die Unterscheidungen sehr groß sind. Jetzt haben sie Zahnärzte, die ihr Geschäft verstehen, die lieber bei einem Kostenvoranschlag einige hundert Euro mehr auf der Kostenseite veranschlagen, auch mit den Gründen, die es immer wieder gilt zu hinterfragen, aber die immer wieder sagen, korrekterweise sagen, ich kann es im Vorfeld nicht in Gänze abschätzen, deshalb lieber etwas höher kalkuliert, und kann nachher die Rechnung niedriger ausstellen. Aber das tun leider nicht alle Vertragszahnärzte.

    Armbrüster: Und Sie meinen, wenn das nicht passiert, dann wären die Krankenkassen die richtige Stelle, um Druck auf die Zahnärzte auszuüben, bei den Rechnungen sauberer zu arbeiten?

    Stein: Ich muss nicht unbedingt als Krankenkasse das tun. Das kann auch eine Ombudsstelle sein, das kann neutraler gestaltet werden, wenn das der Grund ist, dass man sagt, die Krankenkassen sollen es nicht machen. Ich glaube, es wird ein Schuh daraus, wenn man sagt, wenn irgendwann noch eine Clearing-Stelle oder wie auch immer man sie bezeichnet würde existent wäre, dass der eine oder andere Zahnarzt bei seiner Gestaltung der Kosten von vornherein sorgfältiger damit umgehen würde, mit dieser Problematik.

    Schulz: Rainer Stein war das, bei der AOK Rheinland-Hamburg in Nordrhein zuständig für die ambulante zahnärztliche Versorgung. Die Fragen stellte Tobias Armbrüster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.