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Steinbrück "muss vielleicht ein bisschen weniger vorsichtig sein"

Franz Müntefering hat mit seiner Kritik am SPD-Wahlkampf unrecht, sagt der Bundestagsabgeordnete und Parteigenosse Johannes Kahrs. Er rät jedoch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, authentisch zu sein und nicht jeden Kommentar auf die Goldwaage zu legen.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Peter Kapern | 15.08.2013
    Peter Kapern: 39 Tage noch bis zur Bundestagswahl, den heutigen mitgerechnet. Gestern hat eine Umfrage Schwarz-Gelb einen hauchdünnen Vorsprung vor der rot-rot-grünen Opposition prognostiziert. Nimmt man die Forsa-Zahlen zum Nennwert, dann sieht es schlecht aus für das Ziel, das sich SPD und Grüne gesetzt haben, eine rot-grüne Koalition nämlich. Aber wenn man der SPD-Spitze so beim Politikmachen zuschaut, kann man den Eindruck gewinnen, dass sie sich damit schon abgefunden hat. Da werden die Weichen gestellt für die Generalabrechnung am Tag danach und der alte Fahrensmann Franz Müntefering betätigt sich als Heckenschütze. Mitgehört hat Johannes Kahrs, der Sprecher des Seeheimer Kreises, also des rechten Flügels der Sozialdemokraten. Guten Morgen, Herr Kahrs!

    Johannes Kahrs: Moin!

    Kapern: Herr Kahrs, wir haben eben die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles gehört. Die hat gesagt, man muss jetzt die Stimmung in Stimmungen verwandeln. Wenn die Generalsekretärin dabei die derzeitige Stimmung in der SPD im Sinne gehabt haben sollte, dann können dabei aber nicht viele Stimmen für die Partei herauskommen?

    Kahrs: Na ja, Sie haben jetzt hier auf die Ausführungen von Franz Müntefering angespielt. Ich erlebe diesen Wahlkampf anders. Wir haben hier jedenfalls in den Wahlkreisen, die ich besucht habe – und das waren alleine in den letzten vier Wochen über, ich glaube, acht oder neun bundesweit -, eine gute Stimmung. Es läuft auch der Wahlkampf, die Resonanz ist positiv. Ich würde das mal abhaken unter "da hat sich einer zum falschen Zeitpunkt geäußert". Wir machen Wahlkampf bis zum 22. September und ich halte das auch nicht für ganz so dramatisch. Vielfach wird in solche Äußerungen was reingeheimst, was da gar nicht ist.

    Kapern: Franz Müntefering hat den Wahlkampfstart von Peer Steinbrück als völlig misslungen bezeichnet. Wer ist dafür verantwortlich?

    Kahrs: Ach wissen Sie, darüber werde ich mir, wenn überhaupt, Gedanken machen nach dem 22. September 18 Uhr. Im Moment stehen wir alle da, wollen Frau Merkel ablösen, die mit ihrer etwas seltsamen Regierung vier Jahre nichts hinbekommen hat. Das ist ein Ziel, wo wir alle hinter stehen, was wir alle für richtig halten, und deswegen ist das das, wofür wir auch so richtig motiviert sind. Deswegen geht man – ich glaube, ich habe jetzt fünf oder sechstausend Hausbesuche hinter mir -, deswegen plakatieren wir und machen wir Wahlkampf.

    Kapern: War der Wahlkampfeinstieg von Peer Steinbrück gelungen?

    Kahrs: Gott, ich glaube, dass Peer Steinbrück ein hervorragender Kanzlerkandidat ist. Er macht einen Superwahlkampf. Ich glaube, bei dem Einstieg waren wir alle etwas überrascht, wie das gelaufen ist. Es hätte auch eine Sekunde so oder so laufen können. Aber das war nach zwei Sekunden vorbei, weil wir haben einen Kanzlerkandidaten, der es kann, und das ist für mich das wesentliche, der überzeugend die Punkte rüberbringt. Der hat dann einige Zeit ein schwieriges Auftreten gehabt, weil die Presse und andere, ich würde einfach mal sagen, Kleinigkeiten hochgespielt haben. Berlusconi ist in meinen Augen kein Clown, sondern ein Verbrecher. Das ist ja nun gerichtlich auch festgestellt worden. Da hat man sich an Kleinigkeiten festgehalten, statt sich mal die Dinge anzugucken, die wirklich wichtig sind. Da ist die Frage, wie Politik gestaltet wird, welche Inhalte da sind, was die Regierung vorzuweisen hat, die Leistungsbilanz, und das ist das, was die Sozialdemokraten beflügelt, von Tür zu Tür zu gehen, und auch die Motivation, diese Wahl zu reißen.

    Kapern: Wenn man sich die derzeitigen Umfragedaten der SPD anschaut, Herr Kahrs, dann ist Ihre Feststellung, die Sie gerade getroffen haben, dass der Fehleinstieg in den Wahlkampf nach zwei Sekunden, haben Sie eben gesagt, vorbei sei, wirklich überraschend.

    Kahrs: Für uns ist das so. Sie reden ja von der Motivation der SPD, Wahlkampf zu machen, und das erlebe ich täglich an der Basis. Wir machen es selber, es läuft gut und das ist das Wesentliche. Ich habe Wahlkämpfe gesehen, die sind in der letzten Woche gekippt 2002, 2005, und nicht umsonst ist es so, dass die CDU nicht sich genüsslich zurücklehnt und sicher ist, dass sie gewinnt. Das ist sie überhaupt nicht, und wir wissen, dass man das machen kann, weil die Leistungsbilanz von Frau Merkel ist erbärmlich. Wir wissen, dass sie ein Kabinett hat von Leuten ernsthafterweise, die keiner wieder haben möchte, und das ist das, was die Leute motiviert, was unsere Genossen von Tür zu Tür treibt, und wir wollen diese Wahl gewinnen. Und ich glaube auch, wir können sie gewinnen.

    Kapern: Franz Müntefering bezeichnet es als falsch, den authentischen Peer Steinbrück umzuschminken. Wer hat ihn umgeschminkt?

    Kahrs: Peer Steinbrück kann man nicht umschminken.

    Kapern: Also Franz Müntefering hat unrecht?

    Kahrs: Ich glaube, dass Franz Müntefering unrecht hat. Peer Steinbrück kann man nicht umschminken, der ist, wie er ist. Er hat halt nur das Problem, dass ihm jedes Wort im Mund umgedreht wurde über viele Wochen und dass er deswegen eine Zeit lang angefangen hat, jedes Wort zu wägen, dreimal abzuwägen, noch mal zu überlegen, und dann ist es eben so, dann kriegen Sie nicht den authentischen Peer Steinbrück. Ich glaube, dass da Franz Müntefering recht hat: Der authentische Peer Steinbrück ist das, was man braucht. Er muss vielleicht ein bisschen weniger vorsichtig sein und nicht jeden Kommentar, den er hört, auf die Goldwaage legen.

    Kapern: Warum hat Franz Müntefering dieses Interview jetzt gegeben, was denken Sie?

    Kahrs: Fragen Sie ihn! Ich verstehe das nicht, ich weiß es nicht und ehrlicherweise es interessiert mich auch nicht. Franz Müntefering kandidiert nicht mehr, wir haben eine Wahl vor uns, wir sind mitten im Wahlkampf, solche Interviews und solche Spekulationen finde ich ab dem 22. September 18 Uhr ganz unterhaltend, vorher finde ich sie überflüssig.

    Kapern: Wie bewerten Sie denn die Tatsache, dass Parteichef Gabriel für den 24. September einen Parteitag angesetzt hat?

    Kahrs: Alles in Ordnung. Das ist immer nach Wahlen so, dass man sich überlegt, wie man sich aufstellt, wie es weitergeht. Ich organisiere auch mitten im Bundestagswahlkampf, formiere die Organisationswahl meiner Partei, die ansteht, die Kandidatenaufstellung zur Kommunalwahl. Das müssen Sie immer gleichzeitig takten, sonst kriegen Sie es überhaupt nicht hin.

    Kapern: Franz Müntefering hat gesagt, wenn Rot-Grün gewinnt, ist dieser Parteitag entbehrlich. Das heißt doch im Umkehrschluss, Gabriel glaubt nicht mehr an einen rot-grünen Wahlsieg?

    Kahrs: Jede Partei hat irgendwie nach einer Wahl immer ständig Gremien, die sich treffen und überlegen, was man aus einem Wahlsieg macht, wie man es hinbekommt. Das finde ich alles in Ordnung. Das sind ja auch alles erwachsene Leute, die sich zusammensetzen und überlegen, wie man klarkommt. Eine Partei wie die SPD ist eine, die weiß und die gelernt hat, dass man am Ende nur gemeinsam klarkommt. Das heißt, all das, was da jetzt reinspekuliert wird, da will die eine Seite der anderen Seite irgendwas machen, da wollen Leute ihre Macht sichern, halte ich für vollkommen abstrus, weil das ist etwas, das kriegen Sie nur gemeinschaftlich in der Partei hin. Da müssen die Gruppierungen, die Leute, die Fraktion und die Partei zusammenstehen, und das werden sie dann auch tun.

    Kapern: Bislang war ja die Reihenfolge nach Wahlen immer so, dass zuerst die neu gewählte Fraktion zusammentritt und dann erst die Parteigremien. Warum ist das dieses Mal anders?

    Kahrs: Ich glaube, das ist immer noch so. Soweit ich das weiß, tagen Fraktion und Parteigremien am Dienstag und am Mittwoch.

    Kapern: Parteigremien, der Vorstand, das Präsidium vielleicht, aber keine Parteitage.

    Kahrs: Na wir haben ja auch keinen Parteitag. Wir haben dann einen Konvent und da ist es halt so, dass die dann über das Ergebnis sprechen und über mögliche Ergebnisse, die auch Schlüsse haben werden auf das, was die Partei dann tut. Aber das ist vollkommen in Ordnung! Ehrlicherweise haben wir bei der Großen Koalition gesehen, dass das, was da stattfindet, für die Partei nicht gut und bekömmlich war, und viele Sozialdemokraten haben seit Jahren gesagt, sie wollen da mitreden, und das finde ich vollkommen in Ordnung, dass Fraktion und Partei da mitreden, weil wir am Ende gemeinsam ein vernünftiges Ergebnis einfahren werden und dann in diesen Gremien diese Ergebnisse beschließen und umsetzen werden. Das wird immer gemeinsam passieren.

    Kapern: Das heißt, Herr Kahrs, Sigmar Gabriel hat sich damit abgefunden, dass dieser Parteitag über den Einstieg der SPD in eine Große Koalition befinden muss?

    Kahrs: Ehrlich gesagt, das glaube ich nicht. Ich glaube eher, dass wir alle keine Große Koalition wollen. Wir haben alle gesehen, was in der Bewertung der Bürger beim letzten Mal aus der Großen Koalition rausgekommen ist: 23 Prozent für die SPD.

    Kapern: Schließen Sie damit eine Große Koalition aus?

    Kahrs: Wissen Sie, diese und ähnliche Fragen halte ich für ausgesprochen dämlich.

    Kapern: Danke schön!

    Kahrs: Ja, ist so. Ich glaube, der Wähler hat das Wort, und etwas Respekt vor dem Votum der Wähler halte ich für angebracht. Die SPD macht einen Wahlkampf, um mit Rot-Grün gewählt zu werden und zu regieren. Das ist das Ziel und das tun wir, und ich glaube, dass wir eine gute Chance haben. Und dann wartet man doch einfach ab, was der Wähler entscheidet. Und diejenigen, die jetzt schon rumspekulieren und nichts anderes zu tun haben, als alle Was-wäre-wenn-Fragen zu diskutieren, tragen weder zum Wahlergebnis bei, noch bringt es in der Substanz irgendetwas, weil sie gar nicht wissen, was rauskommt, weil die Wähler entscheiden, und was man neuerdings ja hört, auch zu 40 Prozent erst in der Woche vor der Wahl.

    Kapern: Aber ich glaube nicht, Herr Kahrs, dass es meine Aufgabe ist, zum Wahlergebnis der SPD beizutragen. – Johannes Kahrs war das, der Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Kahrs: Frohes Schaffen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD
    Johannes Kahrs ist Sprecher des Seeheimer Kreises, dem rechten Flügel der SPD. (Wahlkreisbüro Johannes Kahrs)