Durak: Für den Beobachter von außen sieht es ja so aus, als bewegten sich beide Seiten doch nicht, trotz entsprechender Signale. Die Union will unbedingt eine Flexibilisierung des Tarifrechts, die SPD will das unbedingt nicht. Gehören Sie auch zu diesen SPD-Politikern, die keinesfalls das Tarifrecht aufbrechen wollen?
Steinbrück: Nein, ich glaube, die Tarifautonomie sollten wir respektieren, zumal sie ja eine der tragenden Säulen unserer Sozialpartnerschaft in der Nachkriegsgeschichte ist. Aber das schließt ja nicht aus, dass man sich mit den Tarifpartnern, allerdings die Tarifpartner zuerst untereinander, darüber unterhalten, wie man in Rahmen des gegebenen Tarifvertragsrechtes zu Öffnungsklauseln und zu mehr Flexibilität für die Betriebe und ihre jeweilige einzelne Problemlage kommt. Das gibt es übrigens schon. Die wenigsten Kritiker wissen, dass es bereits eine Reihe von Tarifverträgen gibt, wo Öffnungsklauseln verabredet worden sind, und wo längst das Praxis ist, was jetzt eingefordert wird.
Durak: Helfen Sie uns auch weiter bei der Interpretation der anderen Kanzlerworte? Privatisierungserlöse, Subventionsabbau und Neuverschuldung, das sind ja die drei Säulen, mit denen finanziert werden soll. Aber man könnte in sich umgruppieren, sagt Herr Schröder. Was sagen Sie, Herr Steinbrück?
Steinbrück: Ja, selbstverständlich. Das, was der Kollege Koch aus Hessen und ich angeboten haben, ist ein Handwerkszeug. Viele wissen, drei mal vier Prozent Subventionsabbau in den nächste drei Jahren, kann auch einmal zwölf Prozent sein. Wir bieten und haben immer angeboten, dass sich dieses Handwerkszeug auch auf andere Größenordnungen erstrecken kann. Was die Privatisierungserlöse betrifft, muss man unterscheiden, da sind die Möglichkeiten des Bundes sehr viel größer als die der Länder. Da haben die Länder sehr viel weniger Spielräume. Ja, und was die Frage der Steuererleichterung betrifft, da liegen die Vorschläge der SPD auf dem Tisch. Ich glaube, man wird in dieser Konjunkturlage für große Unterstützung werben müssen, dass es zur vorgezogenen Steuerreform zum 1. Januar kommt. Es würde bedeuten, dass insgesamt 22 Milliarden Euro den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft belassen werden. Das sind in der alten Währung 44 Milliarden DM. Das hat es so häufig in der Geschichte der Bundesrepublik nicht gegeben.
Durak: Herr Steinbrück, der Bundeswirtschaftsminister Clement ist auf Ihren Vorschlag, Ihren heißt Steinbrück-Koch, zurückgekommen und überrascht mit einem viel größeren Subventionsabbau-Vorschlag. Zwei bis drei Mal so viel, sagt Herr Clement heute Morgen in der Berliner Zeitung, und er sagt, im Gegenzug könnte das Vorziehen der Steuerreform kurzfristig zu deutlich mehr als 25 Prozent über Kredite finanziert werden. Ist das ein realistischer Vorschlag?
Steinbrück: Ja, erstens: Ich bin dafür, dass ein überwiegender Teil der vorgezogenen Steuerreform kreditfinanziert wird. Warum? Weil sonst der Nettoimpuls für unsere Wirtschaft natürlich geringer wird. Es macht keinen Sinn, auf der einen Seite Geld in den Kreislauf weiter hinein zu pumpen und ihn aus der anderen Seite heraus zu ziehen. Ich bin allerdings dafür, dass die damit verbundene zusätzliche Kreditaufnahme vorzeitig getilgt wird und dass sich die Gesetzgeber von Bund und Ländern dort auch binden in ihren jeweiligen Haushaltsgesetzen. Insofern ist das alles richtig. Zweitens ja, es ist mehr Subventionsabbau denkbar, wenn es einen Konsens gibt. Das ist exakt, was Herr Koch und ich auch gesagt haben. Wenn alle Beteiligten sagen, ja, wir gehen weiter bei der Eigenheimzulage, ja, bei der Pendlerpauschale gehen wir weiter hinein und bei anderen steuerlichen Tatbeständen auch, dann ist durchaus ein Konsens denkbar, der darauf hinaus läuft, dass mehr Subventionen abgebaut werden, als Herr Koch und ich bisher vorgeschlagen haben.
Durak: Mit Herrn Koch wollen wir in einer Stunde in etwa auch noch einmal über den Vermittlungsausschuss reden, Herr Steinbrück. Aber aus der Union und insbesondere auch von Herrn Koch war ja bisher zu hören, vorgezogene Steuerreform nicht und schon gar nicht, das ist die CSU, Eigenheimzulage kürzen und Entfernungspauschale. Es sieht so aus, als könnten beide Seiten nicht aufeinander zu kommen. Wo sehen Sie denn da noch Verhandlungsspielraum?
Steinbrück: Ja, da muss man abwarten. Ich gehöre zu den Kritikern des derzeitigen Theaterdonners, der da auch täglich inszeniert wird, oder tägliche Wasserstandsmeldungen. Ich finde, dass diese Art der Öffentlichkeitsarbeit nicht angemessen ist bezogen auf die Probleme, die wir zu lösen haben. Aber alle wissen, dass das offenbar zu Vermittlungsausschussverfahren auch dieser Güteklasse dazu gehört. Es wird ernsthaft ab Mittwoch, und ich vermute mal, von Mittwoch bis über das Wochenende hinaus. Wichtig ist, dass die Politik auf allen Seiten weiß, wir müssen diese Probleme lösen. Tun wir das nicht, gehen wir mit wenig Rückenwind in das Jahr 2004 hinein, dann unterstützen wir den konjunkturellen Aufstieg nicht. Insofern glaube ich, dass die Politik sowohl bei der SPD, wie bei der Union, wie bei der FDP und bei den Grünen verpflichtet ist, diese Probleme zu lösen.
Durak: Das heißt, Deutschland fällt kollektiv nicht tot um, wenn am 1. Januar 2004 diese Reformen, diese Reformgesetze nicht in Kraft treten können?
Steinbrück: Nein, niemand fällt tot um und die Apokalypse setzt auch nicht ein, das ist keine Frage. Nur, wir wissen, wir sind im dritten Jahr und das ist schon lange genug. Wir sind im dritten Jahr an der Flaute, um nicht zu sagen, an der Rezension. Wir wissen, wir müssen den Arbeitsmarkt modernisieren, wir müssen das Steuersystem modernisieren, und wenn es nicht zu Ergebnissen kommt, dann muss man wissen, ja, dann haben wir 16 Milliarden Euro aus der vierten Stufe der Steuerreform weniger nächstes Jahr zur Verfügung. Die Kommunen haben keine stetige und stabile Finanzierungsgrundlage zur Verfügung, weil es nicht zu einer Gemeindefinanzreform kommt und drittens, den Kommunen werden die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger nicht abgenommen. Das ist schon ein ziemliches Manko, mit dem wir dann in dieses Jahr 2004 hinein gehen.
Durak: Das heißt, Sie lehnen auch den Kompromissvorschlag von Herrn Koch ab, was das Arbeitslosengeld II betrifft, also die Ländern und die Kommunen übernehmen die Verantwortung für Langzeitarbeitslose und nicht die Bundesanstalt für Arbeit?
Steinbrück: Ja, wir müssen das gleich so zuspitzen, das wollen die Kommunen selber nicht. Herr Koch ist ziemlich isoliert mit diesem Vorstoß. Insofern interessiert mich mehr, was die Bundestagsfraktion der CDU/CSU dazu sagt und was CDU/CSU-Kommunalpolitiker dazu sagen. Die Vorstellung, dass die Kommunen die Zuständigkeit für diese arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger im Rahmen des Arbeitslosengeldes II haben wollen, ist eine Illusion. Also, das weiß, wie ich glaube, Herr Koch selber auch.
Durak: Herr Steinbrück, Unions- und SPD-Länder haben sich wohl geeinigt, dass Subventionen für den regionalen Schienen- und lokalen Straßenausbau gar nicht gekürzt werden sollen, stimmt das?
Steinbrück: Ja gut, da gibt es Hinweise darauf, man sollte in diesem Bereich nicht kürzen, Sie wissen, dass das quasi in der Bemessungsgrundlage des Vorschlages von Herrn Koch und mir dabei ist. Auch darüber wird man reden können. Nur wenn man die Bemessungsgrundlage an der einen Seite kürzt, dann bin ich dafür, dass sie an der anderen Seite erweitert wird, so ein bisschen dem Omnibusprinzip folgend. Wenn man einen Anhänger abhängt, muss man einen anderen Anhänger wieder dazu hängen.
Durak: Das heißt mehr Geld für die Steinkohle?
Steinbrück: Ja, die Steinkohle geht hinunter, also, ich rede mir den Mund fusselig darüber. Die Steinkohle hat von 1997 bis 2005 ihre Subventionen um 45 Prozent gekürzt. Nennen Sie mir einen anderen Bereich in Deutschland, der das tut. Steuervergünstigung, Landwirtschaft, Schiffsbau, was immer Sie wollen. Wenn die anderen sich ein Beispiel nehmen würden an der Steinkohle, dann stünden wir sehr viel besser da.
Durak: Also, Fazit von Ihnen, Herr Steinbrück, Mitte nächste Woche haben wir eine Einigung?
Steinbrück: Ich bin gebremst optimistisch. Ich weiß, dass das schwierig ist. Ich selber würde im Vermittlungsausschuss die Kraft von Nordrhein-Westfalen und auch meiner Person als Ministerpräsident voll darauf einwirken lassen, dass wir zu einer Lösung kommen, ja.
Durak: Peer Steinbrück, SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, vielen Dank für das Gespräch.