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Steinbrück verlangt Vorbildfunktion von Topmanagern

Dirk Müller: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Peer Steinbrück, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, SPD. Guten Morgen.

Moderation: Dirk Müller |
    Peer Steinbrück: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Steinbrück, wir werden regelrecht erpresst, sagen die Beschäftigten in Sindelfingen. Würden Sie als Betroffener in Stuttgart auch protestieren?

    Steinbrück: Ich kenne die Situation in Stuttgart nicht, es ist ein ganz guter Rat, dass ein Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen nicht den pädagogischen Zeigefinger schwenkt mit Blick auf Verhältnisse, die er nicht kennt. Wir haben ein Beispiel in Nordrhein-Westfalen mit Blick auf Siemens, die Handyproduktion in Bocholt und Kamp-Lintfort, wo eine solche Lösung innerhalb des Tarifsystems gelungen ist.

    Müller: Aber Sie kennen die Verhältnisse in Stuttgart zumindest auch aus der politischen Auseinandersetzung. Haben Sie Verständnis für die Arbeitnehmer?

    Steinbrück: Nein, ich habe Verständnis für die Interessen des Standortes, es macht keinen Sinn, dass ich mich auf die eine oder andere Seite schlage, ich bitte da wirklich um Verständnis. Sondern ich plädiere dafür, dass unter den Bedingungen, die wir haben und bei der Wettbewerbssituation, die wir haben international, gegebenenfalls vor Ort betriebs- oder unternehmensspezifisch sich ein Betriebsrat mit einer Unternehmensführung auch unter Beteiligung der jeweiligen Gewerkschaft sich hinsetzt und versucht, herauszufinden, was ist im Interesse des Standortes und seiner Beschäftigten am besten und das kann gelingen, wie wir wissen.

    Müller: Wir reden, Herr Steinbrück, über Globalisierung, über den internationalen Wettbewerb. Nun hat uns der nationale, der föderale Wettbewerb in dieser Auseinandersetzung erwischt. Ist das gut, wenn sich Bundesländer sozusagen gegenseitig, beziehungsweise die Unternehmen, die in verschiedenen Bundesländern sitzen, sich gegenseitig die Arbeitnehmer abwerben?

    Steinbrück: Nein, insbesondere wenn es ein Nullsummenspiel ist. Also, wenn in einem Standort in Nordrhein-Westfalen, Hagen, 30 Arbeitsplätze darüber abgezogen werden oder abgebaut werden und die selben 30 Arbeitsplätze werden dann in Thüringen wieder aufgebaut, weil es entsprechende Förderpräferenzen gibt, das ist ein Beispiel, dagegen wehre ich mich. Wir haben eine solche Situation gelegentlich zu beklagen, das ist richtig.

    Müller: Viele Kritiker sagen ja, es geht auch um Gewinne auf Kosten der Arbeitnehmer. Gehört dies zu den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft?

    Steinbrück: Nein, ich glaube, ein Unternehmen muss natürlich im internationalen Wettbewerb seine Kostenstrukturen verbessern und da werden wir nicht drum herum kommen, uns diesem internationalen Wettbewerb zu stellen. Wir werden an den Grenzen der Bundesrepublik oder der einzelnen Länder ja nicht das Rollo herunterlassen können und uns protektionistisch abschotten können. Ich glaube umgekehrt, dass wir einen Lohnwettbewerb niemals gewinnen können, wir konnten ihn früher nicht gegen Portugal, dann gegen die Tschechei und eines Tages gegen die Ukraine und dann gegen Vietnam wird man den nicht gewinnen können. Dass man versuchen muss, bestimmte Anpassungen vorzunehmen ist richtig, aber ich glaube, das einzige Feld, wo wir Wettbewerb gewinnen, ist natürlich Produktivität, Technologie, wissensbasierte Dienstleistungen, Produktionsverfahren, Produkte, das ist die einzige Chance, die wir als ja noch immer erfreuliches Hochlohnland haben.

    Müller: Wir blicken auf die Konjunktur, Herr Steinbrück, kann die Politik ein Interesse daran haben, dass Arbeitnehmer weniger verdienen?

    Steinbrück: Nein, weil das dann natürlich automatisch in die Absenkung der Nachfrage hineingeht. Auf der anderen Seite, durch eine solche Absenkung, jedenfalls durch eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich ist es durchaus denkbar, dass darüber ein Wirtschaftsprozess in Gang kommt, auch mit entsprechenden Wachstumsraten und über diese Wachstumsraten natürlich auch die binnenländische Nachfrage so angekurbelt wird, dass die Produkte und die Dienstleistungen, die mehr erzeugt werden, dann auch abgenommen werden und wir damit eine Spiralbewegung nach oben haben.

    Müller: Es geht ja auch um die soziale Verantwortung von Unternehmen. Das ist in den vergangenen Jahren, in Zeiten der Krise immer wieder debattiert und diskutiert worden. Ist Daimler-Chrysler in der jetzigen Situation ein Beispiel dafür, dass Unternehmen mehr Gewinne machen wollen, als ihre Arbeitnehmer zufrieden zu stellen?

    Steinbrück: Halten Sie sich mal nicht so fest an den Gewinnen. Ich wünsche mir, dass die Unternehmen in Deutschland, egal ob groß oder klein, viele Gewinne machen. Das ist so ein Begriff, den Sie da immer in die Debatte hinwerfen, als ob der etwas Unanständiges ist. Es ist besser als Verluste, um das mal ganz deutlich zu sagen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ja, ich bin dafür und mehr denn je, dass Unternehmensführungen, insbesondere auch, dass das Management in Deutschland eine Vorbildfunktion übernimmt. Ich habe größte Schwierigkeiten, einer allein erziehenden Verkäuferin, die mit 900 Euro netto nach Hause kommt, Zumutungen zu erklären, auch aufgrund der derzeitigen Situation, in der wir sind, wenn sie darauf verweist, dass insbesondere die oberen Etagen, die so genannten Eliten in Politik, in Wirtschaft, in Gesellschaft erkennbar sehr viel mehr Löcher im Gürtel haben, den sie enger schnallen können. Das ist eine Frage, die zunehmend hier aufgegriffen wird, wenn ich auch an die Diskussion im VW-Vorstand denke. Ich glaube, dies ist ein Thema, dem wir uns sehr viel intensiver stellen müssen.

    Müller: Und die Manager ziehen da mit?

    Steinbrück: Ja, ich merke eine gewisse Bewegung, nicht zuletzt auch bei Daimler-Chrysler, wenn ich Herrn Schrempp richtig verstanden habe. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Ein wirtschaftwissenschaftliches Institut in Hamburg hat ermittelt, dass das Verhältnis zwischen durchschnittlichem Arbeitnehmereinkommen im Verhältnis zu den Einkommen der Führungsetagen vor 30 Jahren 1:30 war und jetzt ist es auf 1:240 hochgegangen. Da ist eine Entwicklung drin, wo diejenigen, die wirklich nicht zu leiden haben unter der derzeitigen wirtschaftlichen Lage, die ich glaube, die von mir zitierte Vorbildfunktion sehr viel stärker wahrnehmen müssen. Dies ist auch wichtig, um andere Menschen mitzunehmen auf einem Reformprozess, der in der Tat auch schmerzhaft ist und Zumutungen enthält.

    Müller: Nun bleiben wir doch einmal bei der von Ihnen vorgeschlagenen positiven Interpretation von Gewinnen, da sind sicherlich die meisten auch einverstanden, wie sie es eben ausgedrückt haben. Aber, wenn wir dann auf die Managerebene kommen, da gibt es natürlich auch viele, die da sagen, im internationalen Vergleich geht das durchaus in Ordnung, mit dem, was die deutschen Manager hier verdienen. Ist das eine soziale Neiddiskussion?

    Steinbrück: Nein, ich bin auch dagegen, dass wir einfach Vergleiche ziehen zu einem angloamerikanischen Bereich, der völlig andere Traditionen, auch einer völlig anderen Geschichte verpflichtet ist. Dies ist in Deutschland immer ein anderes Modell gewesen, das ist die vielberufenen Soziale Marktwirtschaft gewesen und da halte ich daran fest, dass Eliten in Deutschland gerade bei einem schwierigen Anpassungsprozess Menschen mitnehmen müssen, die erkennbar schwächere Schultern haben als sie. Das drückt sich nicht unbedingt materiell in riesigen Summen aus, aber ich glaube, dass solche Vorbilder gefragt sind, mehr denn je.

    Müller: Sie haben ja eben das Beispiel einer Verkäuferin gesagt, wenn wir in diesem Rahmen einmal bleiben, wie schwierig ist es denn für Arbeitnehmer heutzutage noch zu erkennen, dass Gewinne der Unternehmen auch für sie, für diese positiv sind?

    Steinbrück: Weil ihr Unternehmen sonst dicht machen würde, ganz einfach. Weil ihr Unternehmen sonst von der Bildfläche verschwinden würde, kein Unternehmen hält es aus, über drei oder vier Jahre Verluste zu machen und dann einen Standort in Deutschland zu halten, weil ihre Unternehmen in der Lage sein müssen, in Forschung und Entwicklung oder in Produktivitätssteigerung zu investieren oder Erweiterungsinvestitionen vorzunehmen oder auch Markterschließungsinvestitionen übrigens in den neuen Ländern der Europäischen Union.

    Müller: Es sind nicht nur Gewinne für die Aktionäre?

    Steinbrück: Nein, es ist ganz erstaunlich wie provokativ Sie diesen Begriff Gewinn nehmen, ich bin da völlig anderer Auffassung. Ich möchte, dass die Unternehmen bei mir im Land dicke schwarze Zahlen schreiben.

    Müller: Und das heißt DaimlerChrysler macht nicht genug Gewinn?

    Steinbrück: Das kann ich nicht beurteilen, ich kennen die Bilanz von DaimlerChrysler nicht, um Himmels Willen. Ich sitze da auch nicht im Aufsichtsrat.

    Müller: Peer Steinbrück war das, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Steinbrück: Danke.