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Steinbrück: "Wir sind nicht in einer Rezession"

Trotz aller Abwärtsrisiken befindet sich Deutschland nicht in einer Rezession, urteilt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) vor dem informellen Treffen der EU-Finanzminister in Nizza. Steinbrück fordert angesichts der amerikanischen Hypothekenkrise eine stärkere Koordination der Bankenaufsichten und hält nichts von einer Halbierung der Mehrwertsteuer auf Energiepreise, wie sie Frankreich vorschlägt.

Peter Steinbrück im Interview mit Gerhard Irmler | 12.09.2008
    Gerhard Irmler: Herr Steinbrück, die EU-Kommission sieht Deutschland in einer Rezession und senkt die Wachstumsprognose für die Euro-Zone deutlich. Der spanische EU-Kommissar Almunia rechnet für dieses Jahr nur noch mit einem Wachstum von 1,3 Prozent in den 15 EU-Ländern und Sie haben ja stets widersprochen, wenn jemand behauptete, Deutschland sei auf dem Wege in eine Rezession. Werden Sie der EU-Kommission auch widersprechen, wenn es beim Finanzministertreffen, beim informellen Treffen der europäischen Finanzminister um Konjunktur und wirtschaftliche Entwicklung geht?

    Peer Steinbrück: Sie zitieren Herrn Almunia sehr verkürzt. Er weist aus, dass wir in Deutschland in diesem Jahr nach seiner Einschätzung eine Wachstumsrate von 1,8 Prozent haben werden, und das liegt um 0,1 Prozent über der eigenen Jahresprojektion der Bundesregierung. Wenn man den gesamten Text liest, dann kommt man insofern zu einem etwas anderen Bild. Ich halte daran fest: wir haben es mit einer ganzen Reihe von Abwärtsrisiken zu tun und in Übereinstimmung mit der deutschen Bundesbank, in Übereinstimmung mit den meisten wirtschaftswissenschaftlichen Instituten komme ich zu dem Ergebnis: Wir sind nicht in einer Rezession.

    Irmler: Wo steht denn Deutschland im Verhältnis zu den anderen europäischen Staaten? Stehen wir besser da, sind wir in einem Mittelfeld?

    Steinbrück: Ich will nicht angeben, aber wir stehen besser da. Man merkt, dass Deutschland sich in den letzten fünf Jahren sehr viel besser aufgestellt hat, sehr viel robuster aufgestellt ist. Man sollte in dem Zusammenhang zum Beispiel darauf hinweisen, dass der Arbeitsmarkt sich trotz der Abwärtsrisiken nach wie vor erfreulich entwickelt. Die deutschen Unternehmen haben größtenteils ihre Bilanzen in Ordnung gebracht. Die deutschen Banken sind bei allen Gefährdungen und Hindernissen durchaus stabiler aufgestellt als die Banken im anglo-amerikanischen Bereich und der deutsche Mittelstand ist nach wie vor hoch wettbewerbsfähig und trägt maßlos dazu bei, dass wir auch in diesem Jahr Exportweltmeister werden.

    Irmler: Nun konnte man ja bis vor kurzem noch hoffen, dass die Finanzmarktkrise, die Subprime-Krise einigermaßen ausgestanden und überwunden ist. Nun musste die amerikanische Regierung sozusagen in einer Notoperation Fannie Mae und Freddie Mac übernehmen. Kurzerhand 300 Milliarden Dollar, heißt es, seien an faulen Krediten zu befürchten. Gleichzeitig droht der viertgrößten amerikanischen Investitionsbank Lehman Brothers, in die Knie zu gehen. Müssen die Europäer eigentlich immer wie das Kaninchen auf die Schlange starren und warten, auf neue Katastrophenmeldungen aus Amerika, oder was können die Europäer dagegen tun?

    Steinbrück: Ich habe dort nie Entwarnung gegeben, sondern in allen meinen öffentlichen Verlautbarungen deutlich gemacht seit dem August des letzten Jahres, dass diese Finanzmarktkrise uns lange beschäftigen wird, tiefgreifende Furchen ziehen wird, in der Tat in den USA sehr viel stärker als in Europa, aber hier auch. Die Ursache ist in der Tat eindeutig in den USA und was dort passiert, ist wirklich alarmierend, wird eine zentrale Rolle spielen, wenn wir uns im G7-Kreis in wenigen Wochen in Washington treffen. Man muss sich vorstellen, dass mit Fannie Mae und Freddie Mac, ich glaube, zusammen eine Bilanz von ungefähr 12 Billionen US-Dollar eine Art Verstaatlichung stattgefunden hat. Ich versuche, mir hier immer vorzustellen, wie die öffentliche Debatte in Deutschland wäre, wenn ein sozialdemokratischer Finanzminister ein deutsches Kreditinstitut verstaatlichen würde. Das bitte ich gelegentlich mit zu vergleichen, wenn wir hier über Zahlen reden, was die Stabilisierung des deutschen Bankensektors betrifft, und dann fällt das Urteil etwas maßvoller, etwas balancierter aus als das, was wir in den letzten Wochen auch in der Debatte um die IKB erlebt haben.

    Irmler: Die Subprime-Krise habe gezeigt, dass es auf regulatorischer Ebene noch Nachholbedarf gibt. Was fehle sei ein effektives Compliance-System, ist aus Brüssel zu hören. Können Sie das für unsere Hörer mal übersetzen?

    Steinbrück: Wir brauchen eine stärkere internationale Abstimmung, was grenzüberschreitende Aktivitäten betrifft, von Kreditinstituten, aber auch von Versicherungsinstituten. Insofern geht es darum, dass wir dazu übergehen, die Bankenaufsicht, die Versicherungsaufsicht wirklich stärker zu koordinieren, gegebenenfalls sogar über so genannte Colleges of Supervisor, also wenn Sie so wollen Gruppenbildungen, worin die jeweiligen Aufsichtsbehörden, die Finanzministerien, die Zentralbanken enthalten sind, gemeinsame Aufsichts- und Kontrollaktivitäten zu entwickeln. Dies ist einer der Lerneffekte aus der jetzigen Finanzmarktkrise.

    Irmler: Die Wirtschaft, obwohl es der deutschen ja noch besser geht, wie Sie gerade sagten, als vielen anderen, lahmt. Die Inflation ist hoch, Herr Steinbrück. Energie ist teuer. Aus Frankreich ist zu hören, dass man zum Beispiel die Mehrwertsteuersätze auf Energie halbieren könnte. Wie stehen Sie denn dazu?

    Steinbrück: Das werde ich nicht befürworten. Das wird an dem guten Verhältnis zu meiner französischen Kollegin nichts ändern. Wir haben gestern miteinander telefoniert und wissen, dass wir in der Frage der reduzierten Mehrwertsteuersätze ausnahmsweise keinen Konsens haben. Ich glaube und bin davon überzeugt, dass man gegen weltweite Markt- und Preiseffekte in einem langfristigen Trend nicht gegen an subventionieren kann.

    Irmler: In der Tat ist ja die Halbierung der Mehrwertsteuersätze oder reduzierte Mehrwertsteuersätze ein Dauerthema auf den formellen wie informellen Treffen der Finanzminister, Herr Steinbrück. Deutschland hat bisher Änderungen abgelehnt mit Hinweis auf die Steuersystematik. Franzosen und Griechen und viele andere denken darüber ganz anders. Warum eigentlich keine Reduzierung beispielsweise der Mehrwertsteuersätze auf Ökoprodukte? Warum sind Sie so strikt dagegen?

    Steinbrück: Wie wollen Sie die abgrenzen? Wie verändert sich das im Zeitablauf? Wie kompliziert wird das für ein Steuersystem? Wo fängt es an, wo hört es auf? Und wir wissen doch, dass die EU-Kommission eine Liste vorgelegt hat, wo ich mich frage, welches Produkt oder welche Dienstleistung soll denn keinen halben Mehrwertsteuersatz haben. Das ist doch absolut uferlos und maßlos und diese Vorgehensweise der EU-Kommission werde ich auch nicht mit der Zustimmung Deutschlands ausstatten. Im Übrigen: man muss immer sehen. In den Sonntagsreden, die wir in Europa führen, reden wir alle von Steuerharmonisierung und von Montag bis Freitag machen wir nichts anderes, als dieses Steuersystem immer komplexer, immer differenzierter zu gestalten. Das ist einer der großen Widersprüche, die mich mehr denn je umtreiben.

    Hinweis: Gerhard Irmlers Gespräch mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat Folgen, genauer eine Fortsetzung, und zwar im "Interview der Woche" des Deutschlandfunk am kommenden Sonntag ab 11:05 Uhr.