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Steinerne Zeitzeugen
Einstürzende NS-Bauten

Gilt Denkmalschutz auch für NS-Bauten? Diese Frage stellt man sich derzeit unter anderem in Nürnberg. Denn um die Zeppelintribüne, "Hitlers Rednerkanzel" zu erhalten, wären grob geschätzt 70 Millionen Euro erforderlich. Andere argumentieren: Wenn die Zeitzeugen sterben, braucht es Orte, um an die Schrecken der NS-Zeit zu erinnern.

Von Philipp Schnee | 16.04.2015
    Die Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
    Die Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (dpa / picture alliance / Daniel Karmann)
    Für ein 1.000-jähriges Reich gebaut, bröselt sie nach 70 Jahre vor sich hin. Die Zeppelintribüne. Welch feine Ironie.
    "Ja also wir sitzen jetzt hier auf der jederzeit öffentlich zugänglichen Zeppelinhaupttribüne, die früher eine der wichtigsten Orte der Reichsparteitage war."
    Alexander Schmidt, ist Historiker am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Er steht auf den massiven, steinernen Stufen der Ehrentribüne.
    "Unter uns liegt jetzt eine große Aufmarschfläche für bis zu 200.000 Menschen."
    Heute eine banal betonierte Parkfläche, Lkw stehen hier, Leitplanken sind angebracht, dahinter Sportplätze, Bauzäune sperren die grasbewachsenen, baufälligen Tribünen ab.
    "Und ausgerichtet ist das alles auf den Platz, wo Hitler gesprochen hat, nämlich die Rednerkanzel, die sich genau zentral in der Mitte des ganzen Areals befindet, dahinter etwas erhöht die Tribüne für die Ehrengäste und das Ganze strahlt dann wirklich eine klare Hierarchie aus."
    Heute bröselt es und bröckelt, dazwischen wächst immer wieder Unkraut.
    "Hier treffen sich Menschen, da drüben sitzen zwei und trinken ihr Mittagsbier. Also das ist normaler Alltag hier auf dem Gelände und ich finde das auch nicht falsch, sondern eigentlich ganz gut, dass sich die Nürnberger ihr Gelände am Dutzendteich wieder zurückerobern und sich nicht dauerhaft dieses Gebiet von diesen Nazibauten sozusagen stehlen lassen."
    Sonnen statt erinnern
    Profanisierung und Trivialisierung, eine demokratische Eroberung des einstigen Propagandageländes: Das ist offizielles Konzept der Stadt Nürnberg. Warum kommen die Menschen hier her?
    "Wenn mer en bisschen Sonnen brauchen, dann komm mer hier her und schauen uns des an",
    sagt gleich der erste Befragte, ein Rentner. Vor Hitlers Rednerkanzel, ein einsamer Skateboarder. Und ein Jogger macht Treppenläufe an der Ehrentribüne, sprintet die Stufen hinauf, im lockeren Trab hinunter. Auf dem Parkplatz sind inzwischen zwei Busladungen amerikanischer Touristen angekommen, sie suchen Hitlers Stadion.
    Kaum fünf Minuten reichen hier aus, um die Bandbreite zwischen historischem Interesse, Sport und Mittagsbier zu sehen, mit der der einst so zentrale Ort der Nationalsozialisten heute genutzt wird. Was anfangen mit diesem Ort? Lässt man ihn weiter verfallen oder investiert man Geld für die Reparaturen? Die Stadt Nürnberg will die Anlagen erhalten.
    Siegfried Zelnhefer, der Pressesprecher, erklärt:
    "Je weniger Zeitzeugen die Geschichte weitertragen können, desto wichtiger werden authentische Orte, wo sich Geschichte manifestiert hat."
    Kontrollierter Verfall oder Millionen für die Erinnerung?
    Zelnhefer ist zugleich Historiker und hat zum Reichsparteitagsgelände promoviert. Die Stadt will die Tribüne als einen "authentischen Lernort" erhalten. Was die Propaganda des Nationalsozialismus bedeutete, soll am historischen Ort erfahrbar sein, das wirke viel besser als Bücher und Filme, betonen Zelnhefer und auch Schmidt. Aber um welchen Preis? 70 Millionen?
    "Das lässt sich nicht sagen, wie viel darf so etwas kosten. Die Gesellschaft muss sich darüber verständigen, was ihr die Erinnerung, was ihr die Geschichte, was ihr der Erhalt von sichtbarer Geschichte wert ist."
    Geht es aber nach Josef Reindl, Professor für Architektur in Nürnberg, nicht viel:
    "Ich bin generell dagegen auch nur eine Mark für das Regime zu investieren."
    Kein Geld zum Erhalt der "Brutalität in Stein", der in Stein gegossenen Ideologie. Er ist Mitglied im Nürnberger Verein "BauLust", der immer wieder kritisch die Auseinandersetzung mit dem Reichsparteitagsgelände vorangetrieben hat.
    Der Verein warnt vor einer "Disneyfizierung", jede Instandhaltung käme aufgrund des vorangeschrittenen Verfalls einer Rekonstruktion gleich. Gewaltige 11 Quadratkilometer umfasst das ehemalige Reichsparteitagsgelände. Der Verein bemängelt ein fehlendes Gesamtkonzept der Stadt für dieses riesige Areal, bemängelt eine einseitige Konzentration auf die Zeppelintribüne.
    "Man muss die Natur etwas zurückstutzen, man muss eigentlich die Sichtachsen wieder frei machen, dann kann man das Ausmaß des ganzen Geländes erleben, und dass ist eigentlich viel wichtiger als die Zeppelintribüne."
    Auch der Zeithistoriker Norbert Frei hatte kürzlich in einem Zeitungsartikel für einen "kontrollierten Verfall" plädiert, statt großer Millioneninvestitionen für "einstürzende NS-Bauten".
    Eine gute Lehre
    Auch Alexander Schmidt, auch die Stadt Nürnberg, wollen ein Bauwerk, dem das Scheitern des Nationalsozialismus anzusehen ist, sie wollen keine "aufgehübschte" Tribüne, allerdings:
    "Ruinös, unfertig, kaputt wirkt das Gebäude schon jetzt, dazu muss man es jetzt nicht noch über 70 Jahre nach Ende des Dritten Reiches verfallen lassen, so als große Geste. Es hätte was Logisches gehabt, wenn die Amerikaner, oder auch die Deutschen, 1945 gesagt hätten:
    Wir wollen das alles weg haben, wir sprengen nicht nur das Hakenkreuz, wir sprengen alles. Das wäre im Jahr 1945 vielleicht eine glaubwürdige Geste gewesen, jetzt im Jahr 2015 zu sagen, als Geste gegen den Nationalsozialismus, zu sagen, wir lassen das verfallen, kostet eigentlich gar nichts und ist eigentlich nicht wirklich durchdacht."
    Eine amerikanische Touristin, sieht für beides gute Gründe, sympathisiert schließlich aber mit Norbert Freis Ansatz:
    "Etwas, das für 1.000 Jahre errichtet wurde, dann am Ende nur ein paar Jahre hielt und heute verrottet, ist doch eigentlich eine gute Lehre!"
    Wie viel die Instandhaltung letztlich kosten könnte, da drückt sich die Stadt Nürnberg inzwischen vorsichtig aus. Auch was die Finanzierung angeht, heißt es nur vage, das Land Bayern und der Bund hätten Bereitschaft signalisiert, das Projekt zu fördern.
    Ab Frühjahr 2016 soll der Stadtrat entscheiden: steinerne Zeitzeugen oder "einstürzende NS-Bauten".