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Steinmeier in Argentinien
Gedenken und Selbstkritik

Während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) starben in dem südamerikanischen Land rund 30.000 Menschen. Unter ihnen war auch die Deutsche Elisabeth Käsemann. Sie kam wie viele Argentinier in einem Folterlager um. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat in Buenos Aires an die Opfer von damals erinnert.

Von Julio Segador | 04.06.2016
    Deutsch Außenminister Frank-Walter Steinmeier besucht den Park der Erinnerung in Buenos Aires, Argentinien, den 03. Juni 2016. Der Park wurde im Gedenken an die 30.000 vermissten Personen während der argentinischen Militärdiktatur angelegt.
    Außenminister Frank-Walter Steinmeier gedenkt in Argentinien der Opfer der Militärdiktatur (1976-1983). (picture-alliance / dpa/EFE/Alberto Ortiz)
    "Sie kam nach Südamerika, nach Argentinien, und hat sich in das Land verliebt."
    Argentinien, das Land, in das sich Elisabeth Käsemann verliebte, sollte zu ihrer Todesfalle werden. Luiza Wettengel berichtet, wie die Studentin aus Tübingen Mitte der 1970er-Jahre in das südamerikanische Land kam. Und wie sie sich dort während der Militärdiktatur dem Widerstand anschloss.
    "Sie hat zum Beispiel Pässe verfälscht."
    Gespannt lauscht Außenminister Frank-Walter Steinmeier der Schilderung von Luiza Wettengel, deren Bruder selbst von den Schergen der Diktatur umgebracht wurde, und die nun in der Elisabeth-Käsemann-Stiftung aktiv mitarbeitet.
    Hat das Auswärtige Amt sich genug um Elisabeth Käsemann bemüht?
    Elisabeth Käsemann ist eine von geschätzt rund 30.000 Opfern der Militärdiktatur. Sie wurde 1977 in einem Folterlager umgebracht. Bis heute hält sich die Kritik, das Auswärtige Amt und die Deutsche Botschaft in Buenos Aires hätten damals nicht genügend Druck ausgeübt, um ihre Freilassung zu erzwingen. Außenminister Steinmeier sieht die Rolle der deutschen Diplomatie in dieser Zeit durchaus kritisch.
    "Sicherlich auch da lässt sich aus rückblickender Bewertung immer sagen, dass man noch intensiver diesen Fällen hätte nachgehen müssen. Aber das ist gleichzeitig auch der Grund, weshalb wir nicht nur Geschichtsaufklärung machen, sondern wir wollen diese Arbeit auch integrieren in die Ausbildung unserer Jungdiplomaten, um sie sensibel zu machen für Situationen, in denen man auf schwierigen Auslandsmissionen zwangsläufig gerät."
    Steinplaketten, auf denen die Namen eingraviert sind, erinnern heute in der Gedenkstätte "Parque de la Memoria" in Buenos Aires an das Schicksal von Elisabeth Käsemann und rund 8.000 weiteren Diktaturopfern. Der Linken-Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel - sie hat ihren Wahlkreis in Tübingen, der Heimatstadt von Elisabeth Käsemann - geht die Selbstkritik des Außenministers nicht weit genug.
    Heike Hänsel (Linke): "Es fehlt die aktive Aufarbeitung"
    "Der Fall Käsemann ist nach wie vor eine große Wunde, weil es von seiten des Auswärtigen Amtes selbst eigentlich keine aktive Aufarbeitung gab. Der Zugang zu den Akten ist weitgehend möglich, aber es fehlt ja die aktive Aufarbeitung, was war genau die Rolle des Auswärtigen Amtes, des damaligen deutschen Botschafters."
    Positiver dagegen die Einschätzung der argentinischen Menschenrechtsorganisationen. Sie begrüßen, wie intensiv sich Außenminister Steinmeier mit dieser dunklen Epoche aus der argentinischen Vergangenheit auseinandersetzt. Estela de Carlotto, die Vorsitzende der Großmütter des Maiplatzes, sieht in dem Besuch des deutschen Chefdiplomaten ein wichtiges Signal.
    "Das sind für uns Streicheleinheiten, und der Minister drückt damit aus: Deutschland steht an unserer Seite. Das Land geht diesen Weg mit uns. Ein Weg, den wir seit 40 Jahren gehen, ein Weg, auf der Suche nach Wahrheit, Erinnerung und Gerechtigkeit."
    Claudia Roth (Grüne): "Aufarbeitung macht das Auswärtige Amt stärker"
    Das Auswärtige Amt hinterfragt seine Vergangenheit. Vor wenigen Wochen erst gab es deutliche Selbstkritik mit Blick auf die unselige Vergangenheit der Colonia Dignidad in Chile, nun wird auch die Rolle der deutschen Diplomatie während der blutigen Militärdiktatur in Argentinien hinterfragt. Für Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth eine längst überfällige Entwicklung.
    "Das ist auch Teil unserer Geschichte, und die Frage, was ist die Rolle von Botschaften gewesen zum Beispiel im Fall Käsemann. Und es macht ein Auswärtiges Amt ja nur stärker, wenn es sich der eigenen Geschichte stellt, sei es im Nationalsozialismus oder im Umgang mit Diktaturen."