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Steinmeier: Zu Guttenberg hat "Kern der Debatte" nicht verstanden

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Ablenkungsmanöver in der Kundus-Affäre vorgeworfen. Im Kern gehe es um die Frage, ob der Minister die Öffentlichkeit und das Parlament richtig informiert habe, sagte Steinmeier. Darüber müsse nun der Untersuchungsausschuss entscheiden.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Der Raketenbeschuss zweier Tanklastzüge, mit dem auch, oder sogar hauptsächlich Taliban getroffen werden sollte, hat ein parlamentarisches Nachspiel. Gestern konstituierte sich der Untersuchungsausschuss, während es im Plenum hoch herging. Verteidigungsminister zu Guttenberg kämpft, wie aber auch sein geschasster Generalinspekteur, um Glaubwürdigkeit und Ehre, und schon zuvor hatte zu Guttenberg versucht, den Spieß umzudrehen auf die Opposition:

    "Wer jetzt in Empörung ausbricht, nachdem seit dem 3. November spätestens sogar in deutscher Übersetzung der Com-ISAF-Bericht vorliegt, muss sich selbst davor hüten, sich dem Vorwurf nicht selbst auszusetzen."

    Meurer: Soweit der Verteidigungsminister und am Telefon begrüße ich den früheren Außenminister und heutigen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Guten Morgen, Herr Steinmeier.

    Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, Herr Meurer. Ich grüße Sie!

    Meurer: Zu Guttenberg verwahrt sich gegen wüstes Geschrei der Opposition. Brechen Sie zu Unrecht in Empörung aus, wie er Ihnen vorwirft?

    Steinmeier: Ich glaube, Herr zu Guttenberg versteht nicht ganz, warum die Öffentlichkeit nicht nur Fragen hat, sondern insbesondere nach seiner gestrigen Rede im Bundestag wirklich empört ist. Statt Argumente vorzutragen für seine Haltung, erneut Ausflüchte, erneut Ablenkungsmanöver. Er hat viermal in seiner Rede den Anstand der Opposition bemühen wollen. Das zeigt mir eher, dass er den Kern der Debatte noch nicht wirklich erkannt hat, und der Kern der Debatte ist der - und das wird der Untersuchungsausschuss zu klären haben -, wer recht hat: der entlassene Staatssekretär, der entlassene Generalinspekteur oder aber der Verteidigungsminister. Beides kann nicht gleichzeitig richtig sein. Entweder treffen die Entlassungsgründe, so wie sie Herr Guttenberg vorgetragen hat, zu, wonach nämlich ihm bewusst Berichte vorenthalten worden sind, oder aber der Staatssekretär und der General...

    Unterbrechung des Gesprächs durch Störung in der Telefonverbindung

    Meurer: Sie haben eben gesagt, was im Mittelpunkt des Untersuchungsausschusses stehen sollte. Sollte nicht Kundus selbst und der 4. September im Mittelpunkt stehen und nicht ein Verteidigungsminister, der damals ja gar nicht im Amt war?

    Steinmeier: Ja. Ich kann verstehen, dass Herr zu Guttenberg natürlich möglichst über den 4. September, möglichst über Auslandseinsätze insgesamt und über Afghanistan im Besonderen reden möchte. Darüber wird auch zu reden sein, auch im Untersuchungsausschuss natürlich. Nur ich habe natürlich beobachtet, dass Herr zu Guttenberg im Augenblick durch alle Talkshows dieser Republik zieht und versucht, genau die Frage zu vermeiden, die im Kern steht, ob er nämlich den Bundestag und die Öffentlichkeit richtig informiert hat bei der Entlassung seines Staatssekretärs und bei der Entlassung des Generalinspekteurs, und da stehen die Aussagen hart gegeneinander. Beide Seiten können nicht gleichzeitig recht haben.

    Meurer: Noch zu Ihrer Amtszeit, Herr Steinmeier, als Außenminister wurden, wie es heißt, die Einsatzregeln für die Bundeswehr in Afghanistan verschärft. Was ist da genau verschärft worden?

    Steinmeier: Die Frage ist mir häufiger gestellt worden: Hat ein Strategiewechsel stattgefunden? Und ich sage: Ja, und Gott sei Dank hat ein Strategiewechsel stattgefunden, allerdings nicht bei uns und nicht unter meiner Mitwirkung, sondern vor allen Dingen bei dem einen oder anderen Verbündeten. Ich selbst bin ja oft genug unterwegs gewesen in europäischen Außenministerräten, in NATO-Räten, habe geworben dafür, dass wir unsere Einsätze in Afghanistan so gestalten, dass zivile Opfer möglichst vermieden werden, weil wir natürlich alle wissen, dass zivile Opfer, die bei den Einsätzen zuhauf vorgekommen sind, unsere Glaubwürdigkeit, das Vertrauen in unsere Soldatinnen und Soldaten vermindern in Afghanistan. Das kann nicht Sinn und Zweck unseres Einsatzes sein. Dafür hat auch der frühere Verteidigungsminister - ich will ihn ausdrücklich einbeziehen -, Herr Minister Jung, im NATO-Rat geworben und ich freue mich darüber, dass nach dem Amtswechsel in den USA Präsident Obama mit seinem neuen Oberbefehlshaber in Afghanistan genau diesen Kurs, wie wir ihn bis dahin Gott sei Dank durchgehalten haben in Afghanistan, in derselben Weise durchführt.

    Meurer: Aber es gab eine Änderung in der sogenannten Taschenkarte, die jeder Bundeswehrsoldat in Afghanistan mit sich herumträgt. Wann ist beschlossen worden, dass Soldaten in Afghanistan schneller schießen dürfen auf Taliban?

    Steinmeier: Wir haben es doch gestern in der Debatte gehört. Die sogenannten Rules of Engagement, die Einsatzregeln, sind nicht verändert worden. Das, was verändert worden ist, ist eine sogenannte Taschenkarte, eine Klarstellung über das, was Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan tun dürfen. Aber das ist eine Debatte, die wir gerne auch im Untersuchungsausschuss führen dürfen. Nur: Ich plädiere dafür, dass wir jetzt nicht ablenken von der zentralen Frage, die zu beantworten ist: Hat Herr zu Guttenberg die Öffentlichkeit und hat er gegenüber Parlament und Öffentlichkeit die Wahrheit gesagt, ja oder nein, denn das liegt jetzt in seinem Verantwortungsbereich.

    Meurer: Aber jetzt sagen die Bundeswehrsoldaten, jetzt haben wir eine geänderte Taschenkarte und jetzt wird uns vorgeworfen, wenn wir uns daran halten.

    Steinmeier: Nein. Diesen Vorwurf kenne ich jedenfalls nicht und glauben Sie mir, ich bin oft genug in Afghanistan gewesen, ich kenne die Verhältnisse vor Ort ein bisschen.

    Meurer: Hatten zu Ihrer Zeit als Außenminister die Amerikaner diplomatischen Druck ausgeübt, dass die Bundeswehr härter vorgehen soll, mehr durchgreifen soll?

    Steinmeier: Es gab unterschiedliche Einsatzphilosophien. Das ist Teil dessen, was ich Ihnen vorhin berichtet habe über Diskussionen. Ich kann Ihnen auch sagen, ja, Auseinandersetzungen zum Beispiel in den NATO-Räten. Natürlich haben die einen, die im Süden stärker gefordert waren, für andere und robustere Einsätze gestritten, als wir im Norden, indem wir gesagt haben, hier steht ziviler Wiederaufbau im Vordergrund. Aber wir müssen gleichzeitig Sicherheit gewährleisten. Das können wir nur, wenn die örtliche Bevölkerung auch Vertrauen zu uns hat. Entscheidend ist doch eines, dass sich im Zuge dieser ganzen Diskussionen der letzten sechs bis sieben Jahre alle in Afghanistan engagierten Staaten dazu durchgerungen haben zu sagen, wir brauchen weiterhin militärisches Engagement, aber wir müssen den zivilen Wiederaufbau stärker in den Vordergrund rücken, und das haben mittlerweile auch die Briten und die Amerikaner getan, wie wir es von Anfang an getan haben.

    Meurer: Was tun Sie dagegen, dass die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan sich nicht im Stich gelassen fühlen jetzt?

    Steinmeier: Ich glaube, indem wir hier in Deutschland die Wahrheit sagen. Es geht nicht darum, großspurige Erklärungen über Afghanistan in die Öffentlichkeit zu senden, sondern es geht darum, dass wir das, was wir in der Vergangenheit gehabt haben, Konsens im Parlament und in weiten Teilen der Öffentlichkeit über die Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland, nicht gefährden.