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Stellenabbau bei Enercon
"Es fehlt ein Signal aus Berlin"

Der Windkraftanlagen-Bauer Enercon will 3.000 Stellen in Deutschland streichen - knapp die Hälfte davon in Sachsen-Anhalt. Für die betroffene Region ein Riesen-Problem. Helfen könnte nur Berlin, kritisiert der Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig und fordert ein klares Bekenntnis zur Energiewende.

Von Christoph Richter | 18.11.2019
Der Propeller eines Windrades wird am 31.03.2014 nahe Visselhövede (Niedersachsen) montiert.
Windkraft-Anlagenbauer Enercon will 3.000 Stellen in Deutschland streichen (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
"Gerechnet haben wir schon damit. Da kann man nichts machen. Vielleicht betrifft uns ja nicht, mal sehen." Die Stimmung unter den Mitarbeiter am Werktor von Enercon am Magdeburger August-Bebel-Damm kann man mit den Worten mies am Besten beschreiben. Denn bei Enercon in Magdeburg werden bis zu 1.500 Arbeitsplätze wegfallen, bundesweit – also mit dem Betriebssitz Aurich – seien derzeit 3.000 Mitarbeiter betroffen, bestätigt Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig beim Krisengespräch heute in Magdeburg.
Rotorblatt-Fertigung geht ins Ausland
Es gehe um die Rotorblatt-Fertigung, die Enercon komplett ins Ausland verlagern wolle, das sei alternativlos. Generell wolle man am Standort Deutschland festhalten. Garantien könne er aber nicht geben, so Enercon-Chef Kettwig weiter.
"Wir haben vor zwei Jahren noch gut 2000 Megawatt in Deutschland installieren können. In diesem Jahr sind es man gerade 300 Megawatt. Und alle, die sich so ein bisschen mit Zahlen auskennen, wissen auch, was es bedeutet, wenn man da an die Umsätze, die Gewinnzahlen denkt. Wir sehen Deutschland in Zukunft als Markt, wie viele andere auch. Wir werden uns international ausrichten müssen. Und das bedeutet, sodass bestimmte Tätigkeiten an einigen Standorten nicht mehr gemacht werden können."
Die ersten Entlassungen seien für das Frühjahr 2020 geplant. Betroffen von den Stellenstreichungen sind auch Leiharbeiter und Zuliefererbetriebe, die Enercon in der Unendlich erneuerbare Energien - kurz UEE-Holding – exklusiv an sich gebunden hat.
Verschachtelte Firmenkonstruktion
Insgesamt sollen dort mehr als 370 Firmen versammelt sein. Chef des verschachtelten Konzerns ist Hans-Dieter Kettwig, bekannt für seinen mitunter rauen Tonfall. Er kritisiert die Bundesregierung und die strengen Vorgaben beim Windenergie-Ausbau.
"Was uns auf zum Beispiele heute so ganz klar fehlt, ist ein ganz klares Signal auch aus Berlin, das wir alle gemeinsam die Energiewende nicht fallen lassen. Sondern, dass wir diese Onshore Krise zum Anlass nehmen. Und uns alle noch mal ein bisschen besinnen, was ist das wirklich Wichtige für die nächsten Jahre. Um auch der Onshore Windindustrie wieder frischen Wind zu geben."
Kettwig weist Vorwürfe zurück, er wolle mit den Betriebsentlassungen die Bundesregierung unter Druck setzen, damit sie von den – wie er sagt – "starren Vorgaben" Abstand nehme. Gemeint sind Auflagen, wie die Abstandsregeln von 1.000 Metern zu Wohnsiedlungen ab fünf Häusern. Die Genehmigungsverfahren müssten deutlich vereinfacht werden, ein weiteres Thema seien strenge Naturschutzkriterien.
Jetzt wolle man neue Strukturen im Unternehmen etablieren, müsse sich neue Geschäftsfelder erarbeiten, erläutert Enercon Chef Kettwig beim Krisengespräch in Magdeburg. Er könne sich vorstellen, mit Enercon künftig auch im Recycling-Bereich oder der Instandsetzung von Windanlagen tätig zu werden.
Kritik an der 1000-Meter-Abstandsregel
Mit dem Stellenabbau bei Enercon befürchtet Oberbürgermeister Lutz Trümper, SPD, einen massiven Attraktivitätsverlust für den Standort Magdeburg. Nach der Wiedervereinigung hatte man einen gewaltigen Transformationsprozess, einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen zu verkraften, den man erfolgreich bewältigt habe. Mit den aktuellen Stellenstreichungen im Ökostrom-Sektor werde Magdeburg – und damit auch der Osten – als Industriestandort erneut zur Disposition bzw. aufs Abstellgleis gestellt, so Trümper weiter.
"Wenn wir in Deutschland beschließen: Raus aus Atom, raus aus der Kohle und parallel beschließen, tausend Meter Abstand, damit Windräder nicht mehr gebaut werden können, da verstehe ich die Welt nicht mehr. Wie soll das zusammenpassen? Wo ist da die politische Logik? Das entzieht sich meinem Verständnis. Warum kann man nicht im Vorfeld strategisch planen? Da gibt es nur Hemmungen und Hindernisse."
Sachsen-Anhalts Energieministerin Claudia Dalbert von den Grünen fordert einen sofortigen Stopp der Pläne von CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Die Einführung der Abstandsregelung von 1.000 Metern zu Wohnsiedlungen sei ein eklatanter Fehler, werfe den Ausbau der Windenergie um drei bis fünf Jahre zurück und dürfe nicht kommen, so Dalbert weiter.
"Es gibt Gutachten, die davon sprechen, dass damit 25 bis 50 Prozent der Fläche für den Windkraftausbau entfallen. Das würde den Ausbau der Windenergie natürlich stoppen."