Heinlein: Ist denn Malta überhaupt ein europäisches Land? Geografisch liegt die Insel ja näher an Afrika.
Stenzel: Natürlich. Malta ist ein ganz wichtiges Brückenland. Es ist europäisch, christliches Abendland schlechthin, aber durch seine Lage eine Brücke zwischen Nordafrika und Europa, geostrategisch nach wie vor sehr wichtig. Wenn Malta nicht zu Europa gehört, wer gehört denn zu Europa? Die Malteser Ritter sind uns alle noch ein Begriff und diese wunderbare Kathedrale in der Hauptstadt Maltas, Valletta, wer die gesehen hat, weiß, dass Malta zum christlichen Abendland gehört, auch wenn wir unser christliches Erbe wahrscheinlich so klassisch nicht in den Verfassungsvertrag hineinkriegen werden.
Heinlein: Wie kann denn diese Brückenfunktion zwischen Europa und Nordafrika von Malta künftig aussehen?
Stenzel: Malta kann wichtige politische Initiativen setzen in Form von Gesprächsforen, in der Form, dass es sich einbringt als mediterranes Land, teilnehmen wird natürlich an den Hilfsprojekten, die den mediterranen Ländern hier zu Gute kommen und von denen wir uns natürlich auch einen Ausstrahlungseffekt auf die nordafrikanischen Randgebiete erwarten und erhoffen.
Heinlein. Malta ist ein europäisches Land, sagen Sie, dennoch war man sich in Malta lange Jahre nicht einig, ob man überhaupt nach Brüssel will. Wie hat man denn diese Auseinandersetzungen bei Ihnen, im Europaparlament und darüber hinaus wahrgenommen?
Stenzel: Mit großem Bedauern hat man die wahrgenommen und jetzt auch mit einer großen Erleichterung registriert, dass letztlich, nachdem das Referendum zum Beitritt positiv ausgegangen ist, die Labour Party, die hier immer eine Gegenposition eingenommen hat, eigentlich jetzt auf Europakurs umgeschwenkt ist. Aber diese Metamorphosen, diese wunderbaren, gibt es eben nur in der Politik.
Heinlein: Was waren denn die Ursachen dafür, dass diese EU-Mitgliedschaft in Malta lange so umstritten war?
Stenzel: Es waren innenpolitische Ursachen. In Malta herrscht das britische System, wenn man so will. Es gibt entweder Regierung oder Opposition. Man hat eben die Frage des Beitritts zu einem Innenpolitikum ersten Ranges erhoben. Die Labour Party hat sich davon eben mehr Wählerstimmen erhofft und hat daher einen Anti-EU-Kurs über Jahre gepflogen und einmal ja auch das Ansuchen auf Eis gelegt. Erst als die konservative Regierung, die jetzt an der Macht ist, gewonnen hat, wurde dieses Ansuchen wieder belebt. Dadurch ist man über diese Polarität nicht hinweggekommen während des Beitrittsprozesses. Wie es aber dann so weit war und zu Ende verhandelt wurde unter der nationalkonservativen Regierung und ein Referendum vorbereitet wurde, hat sich gezeigt, dass die maltesische Bevölkerung hier doch über die Parteigrenzen hinweg, dem Beitritt zur Europäischen Union ihre Zustimmung gegeben hat.
Heinlein: Sie haben die Briten angesprochen. Früher war Malta ja eine britische Kronkolonie, und auch lange davor gab es ja eine koloniale Tradition. Spielt das eine Rolle bei dem Unbehangen bei knapp der Hälfte der Bevölkerung gegenüber der Europäischen Union?
Stenzel: Ich habe das selbst erlebt, dass die Neinsager, die natürlich auch in Britain eine Minipartei haben, die für die Independence of Great Britain eintreten, also für die Unabhängigkeit Großbritanniens, die haben die Nein-Kampagne in Malta auch unterstützt. Es kam sozusagen der Nein-Impetus einerseits von der Labour Party aus innenpolitischen Gründen, andererseits wurde er hineingetragen von außen von wirklichen Europa- oder EU-Gegnern aus Großbritannien, die sich hier zu Wort gemeldet haben. In einer Demokratie muss das möglich sein, letztlich hat sich der richtige Kurs, den wir alle im Europaparlament, ob christlich-konservativ oder sozialdemokratisch, unterstützt haben, der hat sich durchgesetzt.
Heinlein: Haben die Gegner eines EU-Beitritts nicht Recht mit ihrer Sorge? Ist Malta mit seinen knapp 400.000 Einwohnern nicht zu klein, um doch in Brüssel an die Wand gespielt zu werden?
Stenzel: Malta wurde nicht an die Wand gespielt, das haben schon die Verhandlungen ergeben. Sie haben sehr geschickt verhandelt, sehr hart verhandelt. Sie haben in wesentlichen Fragen für sie lange Übergangsfristen bekommen und Ausnahmen de facto in der Frage der Mehrwertssteuer bei Nahrungsmitteln und pharmazeutischen Produkten. Das war für sie ganz wichtig. In der Frage der Übergangsfristen für die Umstrukturierung in den Werften und in den Schiffsyards, wo viele Menschen beschäftigt sind, die natürlich um ihre Arbeitsplätze hier fürchten, muss trotz allem umstrukturiert werden, weil es ungeheure Steuergelder der Malteser schluckt. Aber hier ist man ihnen entgegengekommen. Man ist ihnen auch natürlich in Fragen der Vogelschutzrichtlinie entgegengekommen, die für viele Naturschützer eine condition sine qua non ist, dass Malta überhaupt beitreten kann. Man hat hier solche Bedingungen geschaffen, dass Malta auch diese Vogelschutzrichtlinien annehmen konnte.
Heinlein: Wie sieht es denn mit Umweltschutz aus? Umweltschutz ist ein großes Problem auf dieser dicht besiedelten Insel. Kann die EU helfen bei der Bewältigung dieser Probleme?
Stenzel: Ich glaube, der Umweltschutz wird eine Aufwertung erfahren in Malta durch die EU Standards, die hier umzusetzen sind in der Müllentsorgung, in der Kanalisation und so weiter, das sind ja ganz wichtige Fragen. Malta bekommt ja auch viel Geld von der Europäischen Union für solche Projekte in Form von Strukturhilfen und so weiter.
Heinlein: Unter dem Strich, wie ist Ihr Eindruck: Wird sowohl die Europäische Union als auch die Insel selbst von diesem Beitritt profitieren?
Stenzel: Absolut. Ich würde Malta nur noch unterstützen. Ich verstehe den Wunsch der Malteser, dass sie einen Abgeordneten mehr haben wollen, als man ihnen zugestanden hat. Aber, ich glaube, auch wenn das nicht der Fall sein sollte, wird Malta gut vertreten sein. Und Sie müssen immer Fragen, was wäre die Alternative für diesen Inselstaat gewesen? Eine Orientierung hin zu Libyen, zu Tunesien, zu diesem Raum? Nein, Malta gehört zur Europäischen Union, es ist ein europäisches Land, hier hat es seine Chancen.
Heinlein: Malta und die Europäische Union. Das war Ursula Stenzel, die Maltaberichterstatterin für das Europäischen Parlament, vielen Dank für das Gespräch