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Stephan vs. Nassehi
Politische Korrektheit – ein Fehler?

"Flüchtlinge", "Geflüchtete", "Menschen mit Fluchterfahrung"? Diskriminiert man alternative Geschlechteridentitäten, wenn man "Hörerinnen und Hörer" anspricht? Die Publizistin Cora Stephan sieht "Sprachpolizisten" am Werk. Der Soziologe Armin Nassehi hält den Grundimpuls hingegen für richtig.

Cora Stephan und Armin Nassehi im Gespräch mit Christiane Florin |
    Cora Stephan vs. Armin Nassehi
    "Liebe Mitglieder und Mitgliederinnen"? Publizistin Cora Stephan meint, die Forderungen von Sprachpolizisten seien oft nicht mehr als ein Feigenblatt. Soziologe Armin Nassehi meint hingegen: "Politische Korrektheit ist kein Fehler." (imago / Horst Galuschka / picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Cora Stephan: "Ja. Ich habe das Gefühl, da läuft etwas schräg. Was einmal gut gemeint war, was als Emanzipation, als Irritation, als Subversion gemeint war, das steht heute in Koalitionsvereinbarungen. Das ist eine merkwürdige Allianz. Was staatlich sanktioniert ist, hat seine Subversivität gründlich verloren. Zudem fehlt mir so etwas wie Selbstdistanz bei unseren Sprachpolizisten, wenn Sie völlig ironiefrei korrekte Sprechweisen einfordern. Wieso nennen wir eine allgemeine Benennung heute die "männliche Form"?
    Früher haben wir noch gelacht über Mitglieder und Mitgliederinnen, aber in der Politik hat man ziemlich schnell begriffen, dass diese rein symbolische Attitüde ziemlich kostengüstig ist. Wenn man, ohne zu stottern, Bürger und Bürgerinnen, Freunde und Freundinnen, Genossinnen und Genossen sagen kann, dann hat man seinen symbolischen Tribut bezahlt, obwohl sich an der Sache von Diskriminierung, von Verachtung von Minderheiten usw. nichts ändert. Wenn die sprachliche Inklusion wenigstens höflich gemeint wäre, aber ich empfinde sie als herablassend. Ich habe noch den Ruf aus den siebziger Jahren in den Ohren: Ich komme hier wieder mal nicht vor."
    Cora Stephan ist Autorin von Sachbüchern ("Angela Merkel. Ein Irrtum") und Romanen. Über das Meinungsklima in Deutschland schreibt sie unter anderem für die NZZ.
    Armin Nassehi: "Politische Korrektheit ist kein Fehler. Der Eigensinn dieser Geschichten treibt zwar manchmal Blüten, er ist ein Eigensinn, der nur sich selbst genügt, der mit einem heiligen Ernst formuliert wird. Aber prinzipiell finde ich, dass es ein interessanter Ausdruck eines Kulturwandels ist, zu sehen, dass vulnerable Gruppen - Gruppen, die vorher durch Bezeichnungen in einer unangemessenen Weise genannt worden sind - heute etwas sensibler bezeichnet werden. Das halte ich für einen kulturellen Fortschritt und für eine sehr sinnvolle Sache.
    Das Interessante ist, dass es oft gar nicht um die Sache selbst geht, sondern um ein Posing. Ich kenne Leute, die das Binnen-I mitsprechen. Wenn man jede Benennung bis ins Letzte durchbuchstabieren muss, findet man zum einen immer noch weitere Formen, die man dann benennen muss und zum anderen hat das einen bürokratischen Charakter. Ich sage gar nicht so viel Anderes als Frau Stephan, aber mein Ausgangspunkt ist ein anderer."
    Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Universität München und Herausgeber der Zeitschrift "Kursbuch".