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Stephen Crane: "Die rote Tapferkeitsmedaille"
Die angstvolle Seite des Krieges

Der amerikanische Schriftsteller Stephen Crane war erst 23 Jahre alt, als er 1894 seinen Bürgerkriegsroman "Die rote Tapferkeitsmedaille" schrieb - ein großer Erfolg. Zum ersten Mal wurde der Krieg aus der Sicht eines einfachen Soldaten beschrieben - Vorbild für Joseph Conrad und Ernest Hemingway.

Von Armin Grzimek | 30.04.2021
Der US-amerikanische Schriftsteller Stephen Crane und sein Buch "Die rote Tapferkeitsmedaille"
Der US-amerikanische Schriftsteller Stephen Crane und sein Buch "Die rote Tapferkeitsmedaille" (©︎Literaturmuseum Badenweiler/Pendragon Verlag)
"Er hatte sein ganzes Leben lang von Schlachten geträumt – von vagen, aber stets blutigen Kämpfen, die ihn mit ihrem Getümmel und den krachenden Salven stets fasziniert hatten. Er hatte sich selbst in vielen dieser Schlachten kämpfen sehen (...). Doch wenn er sich im Wachzustand befand, waren die Schlachten nicht mehr als blutrote Tropfen in den Annalen der Geschichte."
Der junge Soldat, der hier noch voller Begeisterung von abenteuerlichen Schlachten träumt und ernüchtert in der Realität eines blutigen Krieges erwacht, ist der Rekrut Henry Fleming. Er ist der tragische Held in dem 1895 erschienen Roman "Die rote Tapferkeitsmedaille" von Stephen Crane über den amerikanischen Bürgerkrieg.
Gleich nach seiner Schulzeit hat sich Henry voller Tatendrang bei der Nordstaaten-Armee verpflichtet. Doch schon im ersten Scharmützel mit den verhassten Südstaatlern wird er von Angst und Schrecken gepackt. Er flieht Hals über Kopf hinter die Front, irrt im Wald umher und zerbricht fast an der Schmach, ein jämmerlicher Feigling zu sein. In seiner Verzweiflung schließt er sich einem Trupp Verwunderter auf dem Rückzug ins Lager an.
Und dabei passiert ihm etwas Ungeheuerliches. Ein Kamerad, an den er sich klammert, stößt ihn mit dem Gewehrkolben von sich und trifft ihn dabei am Kopf. Nun ist auch Henry verwundet. Benommen und blutend erreicht er das Lager und wird dort zu seinem Erstaunen als tapferer Kämpfer empfangen. Die rote Binde um seinen Kopf leuchtet fortan wie eine vermeintliche Tapferkeitsmedaille. In seinem Innern aber wird Henry weiter von Zweifeln gequält, die alle seine ideellen Vorstellungen in Frage stellen.

Authentisch wirkende Bilder vom Krieg

"In seinem überbordenden Weltschmerz kam er zu der folgerichtigen Erkenntnis, anders zu sein als die anderen. Was wiederum bedeutete, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, jemals ein Held werden zu können. Er war nichts weiter als ein Feigling, der im Kopf nicht sauber tickte. Diese ganzen heldenhaften Fantastereien waren ein schlechter Scherz."
Stephen Crane war erst 23 Jahre alt, als er seinen Roman niederschrieb. Er verfasste damals für New Yorker Zeitschriften sozialkritische Reportagen, las andererseits aber auch mit großem Interesse in einschlägigen patriotischen Journalen Berichte aus dem Krieg von Bürgerkriegsveteranen. Als Schüler hatte er selbst gern Soldat werden wollen. Doch nun ärgerte ihn, wie er einem Freund mitteilt, dass die Veteranen "ständig nur sagen, was sie getan haben, aber sie sagen nie, was sie fühlten".
Um solche unterdrückten Empfindungen zu ihrem Recht kommen zu lassen, schrieb Crane seinen Roman. Dabei schildert er aus der Sicht Henry Flemings das Kriegsgeschehen mit allen seinen Aspekten vom ermüdenden Warten, von kräftezehrenden Märschen bis zum wütenden Aufeinandertreffen der verfeindeten Truppen so authentisch, dass viele seiner ersten Leser glaubten, der Autor müsse selbst am Bürgerkrieg teilgenommen haben.
Der US-amerikanische Schriftsteller (u.a. "Das Blutmal") an seinem Schreibtisch. Er wurde am 1. November 1871 in Newark geboren und ist am 5. Juni 1900 nur 28-jährig in Badenweiler an Tuberkulose gestorben.
Der US-amerikanische Schriftsteller Stephen Crane an seinem Schreibtisch (picture-alliance / dpa | UPI)
Schriftsteller aber wie H.G. Wells, Joseph Conrad oder Jack London erkannten in Cranes Roman das Potential einer neuen, modernen Literatur. An die Stelle einer sentimentalen Romantik und heroischer Abenteuergeschichten tritt eine differenzierte Darstellung des Alltagslebens. Gefühle, Empathie, Ängste, innere Dialoge und die feinsinnige Darstellung von Natur und Stimmungen bilden den naturalistischen Grundton des Erzählens.
"Der Junge hatte den Eindruck, inzwischen absolut alles sehen zu können. Jeder einzelne Halm des grünen Grases buhlte um seine Aufmerksamkeit. Selbst minimale Nuancen in den Luftschichten über ihm glaubte er wahrnehmen zu können. (...) Und auch mit den Männern seines Regiments fühlte er sich plötzlich auf magische Weise verbunden, egal, ob sie nun mit stieren Augen vorwärtsrannten oder getroffen zu Boden gingen und als aufgetürmte Leichenberge liegenblieben: Er verstand sie alle."

Das verzweifelte Festhalten am Heldentum

Trotz solcher düsteren Empfindungen blendet Crane das Idol eines heldenhaften amerikanischen Kriegers nicht gänzlich aus. Er zeigt es allerdings voller innerer Konflikte. Das mag den berühmten Regisseur John Huston dazu bewegt haben, die "rote Tapferkeitsmedaille" 1951 für den Film zu adaptieren. Dort heißt es jedoch unüberhörbar patriotisch in dem einführenden Kommentar, Henrys Geschichte sei die "vieler furchterfüllter Jugendlicher, die in einen großen Bürgerkrieg zogen und aus ihm als eine Nation vereinter, starker und freier Männer hervorgingen."
Tatsächlich ist es so, dass Cranes Protagonist Henry, als er mit seiner blutgetränkten Kopfbinde in die nächste Schlacht ziehen muss, dem Feind wie von Sinnen in vorderster Front entgegenstürmt. Er kämpft sich, quasi zur Tapferkeit verurteilt, in eine Art Rausch des Siegenmüssens hinein. Die Offiziere bewundern ihn deswegen aus der Ferne. Er aber richtet seine blindwütigen Aktionen vor allem gegen sich selbst und gegen die Sinnlosigkeit des Gemetzels. Diese doppelte, widersprüchliche Perspektive des bloßen distanzierten Zuschauens und des schmerzvollen Blicks auf das innere leidvolle Geschehen macht Stephen Cranes Buch zu einem so außerordentlichen Stück moderner Literatur und zu einem tiefgründigen Anti-Kriegsroman.
Leider hat der Verlag die Chance verpasst, uns eine Neuübersetzung vorzulegen, die der stilistischen Qualität des Originals gerecht wird. Cranes knappe Sätze, die Atemlosigkeit vieler Passagen, der flapsige, dialektreiche Umgangston der Soldaten – das alles kommt in der Übertragung von Bernd Gockel nur selten zur Geltung. Gleichwohl ist es lobenswert, dass 120 Jahre nach dem Tod Stephen Cranes, der mit nur 28 Jahren an Tuberkulose starb, "Die rote Tapferkeitsmedaille" endlich wieder in ihrer künstlerischen und zeitgeschichtlichen Bedeutung wahrgenommen werden kann.
Stephen Crane: "Die rote Tapferkeitsmedaille"
aus dem amerikanischen Englisch von Bernd Gockel
mit einem Nachwort von Thomas Schneider und einem Crane-Portrait von Rüdiger Barth
Pendragon Verlag, Bielefeld. 318 Seiten, 24 Euro.