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Sterbehilfe
"Das Gesetz ist paternalistisch und auch feige"

"Das ist ein ganz klarer Rückschritt im Vergleich zu dem, was wir hatten", erklärte die Philosophin und Autorin des Buches "Mein Tod gehört mir" im DLF. Die Entscheidung sei feige, da sie "existenziellen Problemen und Fragen" aus dem Weg gehe, sagte sie weiter.

Svenja Flaßpöhler im Gespräch mit Mascha Drost | 07.11.2015
    Zwei Hände halten sich umschlossen auf einem Laken. Die Linke Hand trägt einen Ehering.
    Eine Mitarbeiterin des Hospiz des Ordens der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vincenz von Paul in Paderborn hält am 26.09.07 einem Patienten die Hand. (imago stock & people)
    Mascha Drost: Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Mit diesem Satz beginnt eines der bedeutendsten Bücher des 20. Jahrhunderts, der Mythos des Sisyphos. Dieses ernste Problem beschäftigt die Philosophie aber nicht nur seit Zeiten des Existenzialismus, sondern von Beginn an und bis heute. Gestern hat der Deutsche Bundestag das Problem gegen Volkes Willen gelöst oder auch nicht gelöst.
    Die Mehrzahl der Deutschen ist für die Sterbehilfe, die nun verboten werden soll, wenn sie geschäftsmäßig erfolgt, wobei niemand genau weiß, was geschäftsmäßig nun genau bedeuten soll. Was sagt eine Philosophin und Autorin des Buches "Mein Tod gehört mir"? Was sagt Svenja Flaßpöhler zu diesem Gesetz?
    Svenja Flaßpöhler: Ich halte dieses Gesetz für grundfalsch. Ich finde, das ist ein ganz klarer Rückschritt im Vergleich zu dem, was wir hatten. Ich finde, das Gesetz ist paternalistisch und es ist auch feige, weil es existenziellen Problemen und Fragen, die nun einmal da sind, aus dem Weg geht, sich diese Fragen ganz offensichtlich nicht stellen möchte.
    Es gibt einfach Menschen, die sehr, sehr krank sind, terminal krank sind, deren Schmerzen man nicht lindern kann, auch wenn Palliativmediziner das gerne hätten. Ich habe aber das Gefühl, da ist eher der Wunsch der Vater des Gedankens.
    Es ist einfach so: Es gibt leidende Menschen mit Schmerzen, die nur noch sehr, sehr kurz, zumindest nicht mehr sehr, sehr lange zu leben haben, die das auch wissen, und ich verstehe nicht, warum diese Menschen in diesem Land nicht das Recht bekommen auf eine Suizidassistenz.
    Diese Möglichkeit ist durch das Gesetz, so wie es jetzt verabschiedet wurde, weitgehend verstellt. Warum? ... , weil das Gesetz geschäftsmäßige Suizidassistenz unter Strafe stellt, und geschäftsmäßig ist ein etwas komplexer Begriff. Im Kern meint er aber, dass jede Suizidassistenz, die auf Wiederholung angelegt ist, verboten ist.
    Das heißt, wenn ein Arzt potenziell mehr als einmal einem Menschen hilft, oder auch ein Angehöriger, dann kann er dafür ins Gefängnis kommen, und das ist einfach eine Kriminalisierung. Das ist eine Situation, in der vermutlich kein Arzt mehr sich diesem Risiko aussetzt.
    Drost: Paternalistisch, haben Sie gerade gesagt. Ist diese Entscheidung vielleicht auch ein Relikt, könnte man sagen, aus jenen Zeiten, da die Kirche über das Leben und das Sterben gerichtet hat und der Suizid als Sakrileg galt?
    Flaßpöhler: Ich denke schon. Das meine ich damit, wenn ich sage, dieses Gesetz oder die Abgeordneten, die für dieses Gesetz gestimmt haben, gehen existenziellen Problemen aus dem Weg. Es ist ja einfach falsch und auch blauäugig zu meinen, dass Ärzte sich nur mit dem Leben beschäftigen sollten und brav auf den hippokratischen Eid schwören sollten und sich damit begnügen können, denn dieser hippokratische Eid sieht ja vor, dass ein Arzt niemals jemandem ein tödliches Mittel reichen darf, sich also nur im Dienste des Lebens versteht.
    Das ist aber blauäugig insofern, als dass wir einfach in Zeiten einer Hochleistungsmedizin leben, in Zeiten von Prognosen und Diagnosen und Prognosen, die sehr präzise sind. Das heißt: Menschen wissen heute, wenn sie eine tödliche Diagnose bekommen, wie lange sie noch zu leben haben. Das war einfach vor 2000 Jahren, als Hippokrates lebte, ganz offensichtlich nicht der Fall. Und mit diesen Situationen müssen wir doch heute umgehen.
    Ich denke da zum Beispiel an den Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sich 2012 eine Kugel in den Kopf gejagt hat, weil er an einem tödlichen Tumor litt, und ich finde, für diese Fälle - Herrndorf wusste ganz genau, dass er nicht mehr lange zu leben hat; er wusste, dass er an diesem Tumor stirbt -, ich finde, für diese Fälle muss es eine Regelung geben, dass diese Menschen das Recht haben auf Suizidassistenz.
    Und es ist ja auch so: Keiner der Gesetzentwürfe, die heute besprochen wurden, sehen ja in irgendeiner Form eine Verpflichtung für Ärzte vor. Das heißt, jeder Arzt hat natürlich das Recht, eine solche Hilfe auch aus Gewissensgründen abzulehnen. Aber ich finde, dass Ärzten das Recht eingeräumt werden muss, und zwar Rechtssicherheit geschaffen werden muss, um in diesen Fällen zu helfen.
    "Gesetze wirken normierend"
    Drost: Sie haben gerade ein Gesetz gefordert, das das regelt. Aber kann es denn in einer solchen Frage, in der es auch um philosophisch ganz hochkomplexe Begrifflichkeiten geht wie Menschenwürde, wie Selbstbestimmung, kann es da überhaupt ein Gesetz geben, das diese Dinge abschließend regelt?
    Flaßpöhler: Gesetze sind natürlich gerade bei solchen, wie Sie schon sagten, komplexen Fragestellungen und Phänomenen immer schwierig, weil sie wirken natürlich normierend und sie müssen bestimmte Grenzen ziehen. Das ist insofern schwierig, als dass ich natürlich in ganz, ganz vielen Fällen nachvollziehen kann, wenn ein Mensch nicht mehr leben will. Zum Beispiel kann ich nachvollziehen erst einmal, dass auch ein schwer depressiver Mensch sich den Tod wünscht.
    Das heißt aber noch lange nicht, dass man diesen Wunsch auch in ein Gesetz gießen kann. Eine Gesellschaft, die allumfassend jeden Suizidwunsch bewilligt und ihn erfüllt, ist eine Gesellschaft, die ganz bestimmt auf eine schiefe Ebene gerät. Das geht nicht, weil das innerste Funktionsgesetz einer jeden Gesellschaft zunächst einmal ist, dass wir uns am Leben erhalten wollen, dass wir uns wechselseitig am Leben erhalten. Ich denke aber trotzdem, dass es ganz bestimmte wenige Fälle gibt - und wir reden ja hier wirklich nur über wenige Fälle -, wo eine Suizidassistenz tatsächlich human wäre.
    Drost: Das sagt die Philosophin und Autorin Svenja Flaßpöhler.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.