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Sterbehilfe
"Es braucht eine juristisch ganz einwandfreie Absicherung"

Er sei sich nicht sicher, ob Deutschland ein Gesetz zur Sterbehilfe brauche, sagte der Leiter des Hospizes St. Hedwig in Köln, Andreas Saraßa, im DLF. Es gebe als Alternative die Möglichkeiten der ambulanten und stationären Palliativversorgung. Falls es komme, müsse es aber juristisch einwandfrei sein.

Andreas Saraßa im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Wir leben heute länger, dank der modernen Medizin, besserer Ernährung und weniger Entbehrungen im Vergleich zu früher. Fast alle wollen wir möglichst lange leben und im Kreis der Familie aktiv sein. Aber bitte natürlich nicht angeschlossen an Geräte und Apparaturen und über Monate oder gar Jahre hinweg dem eigenen Tod entgegendämmern. In der Praxis kommen dem Wunsch nach einem humanen Tod viele Ärzte schon jetzt entgegen, aber sie befinden sich in einer rechtlichen Grauzone. Nächstes Jahr soll deswegen ein Gesetz die Sterbehilfe oder die Sterbebegleitung regeln. Heute eine große Debatte im Deutschen Bundestag.
    Nur ein paar Kilometer entfernt hier von unserem Funkhaus des Deutschlandfunks gibt es im Kölner Süden das Hospiz St. Hedwig. Knapp vor zehn Jahren gegründet, wird es von den katholischen Alexianern und Cellitinnen betrieben. Das Hospiz will schwerstkranken Sterbenden in ihrer letzten Lebensphase begleiten. Der Leiter, Andreas Saraßa, ist jetzt bei mir im Studio. Guten Tag, Herr Saraßa.
    Andreas Saraßa: Guten Tag.
    Meurer: Bei dem Satz eben in der Debatte, "Wir müssen doch Leben schützen und nicht beim Sterben helfen", haben Sie ein bisschen gezuckt. Was stört Sie an dem Satz?
    Saraßa: Wir helfen nicht beim Sterben, sondern wir helfen tatsächlich beim Leben. Und das muss man sich so vorstellen: Wir haben am Tag 10 bis 15 Anfragen. Einen großen Ordner haben wir angelegt, da sind 150 Anfragen drin, und zwar nicht nur von Gästen, sondern von Familien, die in der Not anrufen und bei uns einen Platz finden wollen, damit wie gesagt der sterbende Angehörige bei uns noch gut weiterversorgt wird. Und wir haben uns schon zum Motto gemacht: Die Leute kommen nicht zum Sterben zu uns, sondern zum Leben, weil dieser Abschnitt des Sterbens - die Leute sind ja nicht tot, wenn sie zu uns kommen.
    Meurer: Ist das wirklich so, dass sie nicht zum Sterben kommen?
    Saraßa: Ja.
    "Letztendlich wollen sie leben"
    Meurer: Kommen die nicht zu Ihnen, um in einer möglichst für sie angenehmen und familiären Phase dann zu sterben?
    Saraßa: Das ja. Es geht schon darum, über Liebe und Geborgenheit, über qualifizierte Betreuung, über medizinische und pflegerische gute palliative Versorgung bei uns sterben zu dürfen. Aber letztendlich wollen sie leben. Das ist ja unser täglich Brot, dass die Menschen noch Bedürfnisse haben wie ein gutes Essen zum Beispiel oder eine gute Pflege, einen intensivierten Alltag.
    Meurer: Gibt es für Sie Momente oder einen Moment, der Ihnen jetzt besonders präsent ist, wo Sie mit sich gerungen haben, was Sie jetzt tun sollen, beim Leben helfen oder beim Sterben?
    Saraßa: Wir helfen nicht beim Sterben in dem Sinne. Es ist ja begleitet durch gute Medikamente, und auch diese Diskussion zum Beispiel jetzt der Sterbehilfe, die stellt sich bei uns gar nicht, wobei man da sehr, sehr unterscheiden muss unter aktiver, indirekter, passiver Sterbehilfe. Natürlich gibt es Situationen auch im Hospiz, dass wir alle gemeinsam, auch mit den Gästen, auch mit den Angehörigen über Patientenverfügung und Vollmachten natürlich vorher abgesichert haben, was ist denn, wenn der Mensch nicht mehr ernährt werden möchte und jetzt wirklich nicht mehr will und nicht mehr kann. Das ist auch eine Form von Sterbehilfe.
    Meurer: Um was geht es dann konkret? Meistens um die Verabreichung von Schmerzmitteln?
    Saraßa: Nein. Die Verabreichung von Schmerzmitteln, das ist ja bis zum Schluss gewährleistet, weil palliative Medizin soll ja gewährleisten, dass der Sterbende oder der Schwerstkranke keine Schmerzen mehr erleidet.
    "Es geht um das Wie, wie die Menschen sterben"
    Meurer: Um was geht es dann, wenn Sie mit den Angehörigen diskutieren?
    Saraßa: Es geht um das Wie, wie die Menschen sterben, und darum geht es einfach schon im Verbund. Bei uns werden nicht die Gäste alleine gepflegt, sondern wir pflegen Familien und die gehören genauso dazu in dem Trauerprozess. Die werden ganz anders vorbereitet. Auch wenn ich so was höre, da bilden sich Organisationen, wo es um den assistierten Suizid geht. Da bekommen dann die Leute, die sich dafür entscheiden, im Ausland Tabletten, die natürlich dazu führen, dass jemand stirbt. Wir haben eine ganz andere Ausrichtung, nicht nur, weil wir einen katholischen Träger haben, sondern weil das aus unserer Sicht auch völlig unwürdig ist.
    Meurer: Werden Sie nach den Tabletten gefragt?
    Saraßa: Wir haben Situationen, wo es Menschen gibt, vor allem jüngere Menschen, die dann schon sagen, ach ja, ich hätte mir das vorstellen können, ich habe das überlegt für mich, nach Holland oder in die Schweiz zu fahren.
    Meurer: Was sagen Sie dann? Das gibt es bei uns nicht, machen wir nicht.
    Saraßa: Wir bei uns lehnen das ab und über Gespräche und so weiter lässt sich das auch ganz gut regeln. Das zeigt aber auch, dass da eine Auseinandersetzung passiert. Nur das ist für uns klar die Grenze: So was machen wir nicht.
    Meurer: Da wir eben die Debatte im Bundestag gehört haben, Herr Saraßa, brauchen wir ein Gesetz, ein neues Gesetz zur Sterbehilfe?
    Saraßa: Ich weiß nicht, ob wir das in Deutschland unbedingt so brauchen. Ich finde, dass zum Beispiel die Möglichkeiten gerade der ambulanten Palliativversorgung, auch der stationären gegeben sind. Aber wie ich vorhin schon gesagt habe: Wenn ich auf einer Warteliste 150 Menschen habe, das muss man sich wirklich bildlich vorstellen. Da kommt eine Tochter und die Mutter ist schwerstkrank, und es ist ihr im Krankenhaus gesagt worden, suchen Sie sich mal einen Hospizplatz, weil wir können hier nicht mehr helfen, das ist jetzt eine palliative Situation. Da muss ich als Leiter zum Beispiel sagen, wenn es darum geht, Menschen aufzunehmen in ihrer Not: Da ist es leichter, wenn ich einen Blinddarm habe. Da finde ich ein Krankenhaus, da kann mir operativ geholfen werden. Aber im palliativen Bereich zu sagen, ich helfe jetzt, das zu begleiten, beim Sterben, da gibt es viel zu wenig Plätze.
    "Da ist noch eine Lücke und Gesetze müssen natürlich da auch sein"
    Meurer: Brauchen wir das Gesetz vielleicht für die Ärzte, weil die doch sich überlegen müssen, gefährde ich hier nicht meine Approbation mit dem, was ich tue?
    Saraßa: Es braucht auf jeden Fall eine juristisch ganz einwandfreie, messerscharfe Absicherung, damit auch Ärzte, Pflegepersonal und so weiter und alles, was damit zusammenhängt, auch klar geregelt werden kann. Das ist für uns auch im Hospiz natürlich wichtig, dass es da einfach auch Möglichkeiten gibt, die klar benannt sind, was geht, was geht nicht, damit man auch die Angehörigen beraten kann, überhaupt Menschen beraten kann, dass Ärzte auch Menschen und kranke Menschen nicht nur behandeln und auch beraten können. Da ist noch eine Lücke und Gesetze müssen natürlich da auch sein.
    Meurer: Nehmen wir einmal an, der Hospizleiter Andreas Saraßa hätte heute Rederecht im Bundestag, ungefähr so wie Wolf Biermann letzte Woche, der es eigentlich nicht hatte, aber trotzdem geredet hat, was würden Sie den Abgeordneten sagen?
    Saraßa: Vieles klingt für mich wie aus dem Elfenbeinturm. Ich denke, dass darum geht vor Ort, was sind eigentlich wirklich die Bedürfnisse der Familien und der Menschen. Und ich sage das einfach: Es kommen viele, die einen schwerstkranken sterbenden Menschen zu betreuen haben, ob das Zuhause ist im Altenheim ist, im Krankenhaus ist. Das ist eine unglaubliche Herausforderung und nach wenigen Wochen und Monaten kommen diese Menschen an das Ende ihrer Kraft. Und da brauchen sie halt eine Institution, zum Beispiel eine stationäre Institution, wie es das Hospiz zum Beispiel bietet, um solche Familien dann auch zu entlasten.
    Meurer: Der Leiter des Hospizes St. Hedwig in Köln, Andreas Saraßa. Danke schön für Ihren Besuch hier im Studio. - Heute debattiert der Deutsche Bundestag das Thema Sterbehilfe. Nächstes Jahr soll es ein neues Gesetz geben. Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.