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Sterbehilfe in Belgien
Staatsanwaltschaft prüft zum ersten Mal einen Euthanasie-Fall

Nach über 8.000 Fällen von Euthanasie in Belgien ist erstmals einer der Vorgänge der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Seit 13 Jahren hat Belgien eines der liberalsten Sterbehilfe-Gesetze Europas. Doch neben einer großen gesellschaftlichen Akzeptanz gibt es durchaus auch vehemente Kritik.

Von Annette Riedel |
    Zu sehen ist die Hand eines alten Menschen auf einer Bettdecke
    Die Staatsanwaltschaft in Belgien prüft den Fall einer alten Dame, die über den Tod ihrer Tochter in eine tiefe Depression gefallen war und der im Juni Sterbehilfe geleistet wurde. (picture-alliance / dpa / Sami Belloumi)
    Der Belgier Johann Braekman ist ein erklärter Befürworter des liberalen Sterbehilfe-Gesetzes in Belgien. Aber, nein, sagt der Philosoph und Bio-Ethiker an der Universität Gent, assistierter Selbstmord ist zu Recht nicht erlaubt.
    Euthanasie – in Belgien ist dieser Begriff nicht historisch belastet wie in Deutschland. Damit ein Arzt dem Wunsch nach Euthanasie eines Individuums, egal welchen Alters, entsprechen darf, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss jemand in der Lage sein, die Konsequenzen dieses Wunsches klar und bewusst zu erfassen und zu begreifen.
    "Es muss ein Bewusstsein für die Situation geben. Und es muss sich um eine unheilbare Krankheit handeln – eine psychische Krankheit, wie eine chronische Depression, oder eine physische Krankheit wie Krebs. Die andere Voraussetzung ist, dass der Betreffende sein Leiden selbst als unerträglich empfindet."
    Was letztlich natürlich sehr subjektiv ist. Zwei Gutachter, beziehungsweise bei psychischen Leiden drei, müssen prüfen, ob ein Wunsch auf Sterbehilfe mit den gesetzlichen Anforderungen dafür übereinstimmt. Für den Philosophen Braekman ist es eine Frage der Autonomie des Individuums, in letzter Konsequenz seinem Leiden würdevoll ein Ende setzen zu können, wenn keine denkbare Therapie mehr Linderung ermöglicht:
    "Das ist doch der Kern des Selbstbestimmungsrechts, dass nur man selbst tatsächlich entscheiden kann – und niemand anderer – wann das eigene Leiden unerträglich ist."
    Ausgelöst durch eine sehr starke, nicht zuletzt antireligiöse Emanzipationsbewegung in den 60er-Jahren, intensive, verhältnismäßig historisch unbelastete Diskussionen über Sterbehilfe in den folgenden Jahrzehnten und die politischen Konstellationen um die Jahrtausendwende führten zu liberalen Sterbehilfe-Gesetzen. Zuerst in den Niederlanden. Dann, auch inspiriert durch die Niederlande, in Belgien.
    Kritiker warnen vor "Kultur des Todes"
    "Ja, ich finde es richtig, die Wahl zu haben, selbst bewusst über sein Lebensende entscheiden zu können und nicht von anderen abhängig zu sein."
    "Ich persönlich finde das eine extrem schwere Entscheidung, aber ich verstehe Menschen, die sich entscheiden, sterben zu wollen, wie es ja häufiger passiert."
    Hört man sich in Belgien um, hört man zumeist Stimmen wie diese, die davon zeugen, dass es in dem Land grundsätzlich eine große Akzeptanz für den Gedanken der Sterbehilfe gibt. Aber es gibt auch durchaus vehemente Kritik. Von jenen, die warnen, dass sich die belgische Gesellschaft zu einer Kultur des Todes entwickelt.
    Carine Brochier vom Brüsseler Institut für Bioethik gehört zu den Mahnern. Die über den überraschenden Tod der Tochter nach einer missglückten Operation trauernde 85-Jährige; die taubstummen Zwillinge, die erblinden und denen damit die Möglichkeit verloren geht, im alltäglichen Zusammenleben zu kommunizieren; das Opfer einer fehlgeschlagenen Geschlechtsumwandlung; der Schriftsteller, der wusste, dass er dement werden würde - Belgier, denen Sterbehilfe geleistet wurde. Für Carine Brochier gibt es keine noch so extreme Leidenssituation, die Sterbehilfe rechtfertigen würde:
    "Für Menschen, die leiden, gibt es kompetente Ärzte, Schmerztherapien, Sterbebegleitung. Jemanden zu töten, ist niemals gerechtfertigt und verwundet zudem die ganze Gesellschaft."
    Experten-Kommission prüft Sterbehilfe-Fälle
    Wie gesagt, die belgische Gesellschaft sieht das mehrheitlich anders als Carine Brochier oder auch die Kirche etwa. Es gibt eine Experten-Kommission, die nach einem Fall von geleisteter Sterbehilfe prüft, ob sie rechtens war. Erstmals, nach über 8.000 Fällen von Euthanasie, ist jetzt ein Fall der Staatsanwaltschaft übergeben worden - im angesprochenen Falle jener alten Dame, die über den Tod ihrer Tochter in eine tiefe Depression gefallen war und im Juni medizinisch begleitet in den Tod gegangen ist.