Archiv


Steuer-Experte: Milde Strafe mit großem Nutzen

Manuel René Theisen, Steuerfachmann der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht in dem Urteil gegen einen früheren Siemens-Manager eine "Steilvorlage" für künftige Schmiergeldprozesse gegen Mitarbeiter des Unternehmens. Für Theisen ist es darüber hinaus undenkbar, dass die Konzern-Spitze nichts von den Vorgängen gewusst habe. Die Höhe der Summe und das "systemhafte Vorgehen" sprächen unzweifelhaft dagegen.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Mitgehört hat Manuel René Theisen von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Als Professor für Steuerlehre und Steuerrecht hat er sich mit dem Fall Siemens auseinandergesetzt. Guten Morgen, Herr Theisen!

    Manuel René Theisen: Guten Morgen, Herr Schütte!

    Schütte: Gestern das erste Urteil im ersten Strafprozess, der Angeklagte, ehemaliger Manager, kommt mit Bewährungsstrafe und einer Geldbuße davon. Können Sie dieses vergleichsweise milde Urteil nachvollziehen? Immerhin soll er ja 50 Millionen Euro veruntreut haben.

    Theisen: Das Urteil ist sicher mild, aber es entspricht natürlich dem Nutzen, den das ganze Verfahren und insbesondere die Mitarbeit durch den Angeklagten gestiftet hat. Er hat praktisch eine Steilvorlage geliefert für alle folgenden Prozesse und da ist nicht nur die Staatsanwaltschaft dankbar, sondern ich denke, das ist von so großem Nutzen, dass man nachvollziehen kann, dass hier sicherlich an der alleruntersten Grenze des möglichen Strafrahmens gehandelt wurde.

    Schütte: Sie sprechen von Nutzen. Der gestern Verurteilte wird in der Tat als eine Art Kronzeuge für künftige Prozesse gehandelt, das hat auch die Staatsanwaltschaft dem Vorsitzenden Richter deutlich gemacht. Hat sich das Gericht also auf eine Art Deal, ein Tauschgeschäft, eingelassen?

    Theisen: Ja, das Gericht hat das zwar abgelehnt und streng juristisch war es wohl kein Deal, aber trotzdem ist klar erkennbar auch an den Bemerkungen des Richters, auf die Sie schon hingewiesen haben, dass er hier, man muss fast sagen, wohl glücklich ist, das Strickmuster erkannt zu haben, das System sozusagen eröffnet worden und belegt worden ist. Und das ist ja gerade der Hintergrund, der ihn jetzt doch deutlich zügiger und schneller und sicher auch erfolgreich in den weiteren Schritten vorgehen lassen wird.

    Schütte: Wer also Reue zeigt und der Staatsanwaltschaft hilft, wird mit einem milden Urteil belohnt. Andererseits - wo bleibt die Abschreckung, wenn die Botschaft lautet: Wer erwischt wird bei Schwarzgeld, kommt möglicherweise mit einem blauen Auge davon?

    Theisen: Es ist immer etwas zweifelhaft, mit einer solchen Art Kronzeugenregelung zu arbeiten. Andererseits müssen Sie auch sehen: In diesen Verfahren ist es extrem schwierig, denn hier stehen sehr unterschiedliche Kräfte sozusagen vor dem Gericht und eine Staatsanwaltschaft ist mehr oder weniger angewiesen auf solche, die schlicht etwas verpfeifen oder verpetzen oder eben entsprechend bekannt geben. Das kennt man aus anderen Verfahren, und trotzdem, ich glaube, man darf auch nicht übersehen: Zwei Jahre Gefängnis - wenn auch auf Bewährung - sind nun nicht etwas, was man in die Tasche steckt und fröhlich pfeifend den Saal verlässt. Die Abschreckungswirkung, glaube ich, ist auch wegen des langen Prozesses und der deutlichen Inanspruchnahme des Angeklagten deutlich geworden.

    Schütte: Der Vorsitzende Richter hat gestern davon gesprochen, die Verantwortung innerhalb des Konzerns sei gewissermaßen so lange herumgereicht worden, dass am Ende niemand mehr verantwortlich war. Wie ist das zu verstehen? Was heißt das für die juristische Aufarbeitung?

    Theisen: Ich glaube, das ist ein sehr guter Hinweis dafür, dass man jetzt vielleicht besser nachvollziehen kann, dass immer gesagt worden ist: Niemand hat es gewusst. Denn das ist offensichtlich organisiert worden, dass eben diese Informationen so gestreut worden sind und so verteilt und auf so viele Köpfe letztlich verteilt worden sind, dass keiner wirklich das Gefühl hatte, er ist letztlich der, der alles zu verantworten hat. Und zudem hat das natürlich auch die Informationen nach oben offensichtlich gefiltert. Das heißt, dieser Hinweis, den verstehe ich dahingehend: Dem Gericht ist klargeworden, natürlich muss Verantwortung übernommen werden, nur es wird etwas schwieriger werden, wirklich sozusagen die einzelnen Köpfe herauszuarbeiten, weil man eben sehr gut vorgesorgt hat, dass das im Fall der Aufdeckung schwierig werden soll.

    Schütte: Herr Theisen, wie lautet denn Ihre Einschätzung? Haben die Vorstände des Siemens-Konzerns diese Praxis schwarzer Kassen geduldet und gefördert?

    Theisen: Ich bleibe dabei und habe das schon immer gesagt: Für mich ist das vollkommen unnachvollziehbar, dass sie das nicht gewusst haben, schon wegen des Geldes, also wegen der Höhe, vor allen Dingen aber auch wegen der Problematik, dass so eine Vorgehensweise, ein systemhaftes Vorgehen, wie auch der Richter gesagt hat, können Sie nicht bei mittleren Angestellten sozusagen parken und die oberen, sei es der Bereichsvorstand, der Zentralvorstand, sozusagen im Ungewissen oder Unklaren halten. Dass die das nicht wissen wollten, ist ein völlig anderes Thema, aber das sie es hätten wissen müssen - und ich glaube, dass sie es gewusst haben -, daran habe ich, wie gesagt, keinen Zweifel.

    Schütte: Welche Chancen sehen Sie dann für eine Schadenersatzklage, wie Sie der Aufsichtsratsvorsitzende Grömmer anstrebt?

    Theisen: Nun, Sie erwähnten im Vorbericht, dass die Arbeitnehmer insbesondere auf diese Klage drohen. Ich glaube, der Aufsichtsrat hat überhaupt keine Wahl heute, entsprechend zu entscheiden, nämlich, Klage zu erheben. Das ist die eindeutige Rechtslage, der Bundesgerichtshof hat gesagt, ein Aufsichtsrat muss Klage erheben, wenn eine Chance besteht, hier einen Teil zumindest des Vermögens wieder für die Gesellschaft zurückzubekommen. Er würde sich ansonsten selbst schadenersatzpflichtig machen. Ich glaube, man braucht nicht groß spekulieren, der Aufsichtsrat muss heute Klage erheben beziehungsweise zumindest den Beschluss dazu ergehen lassen. Er wird sicher nicht einzelne Namen nennen, er wird keine Summen nennen, aber er wird das Verfahren einleiten und ich glaube auch mit einigem Erfolg. Die Hinweise des Richters waren so eindeutig, dass hier, wie die Juristen sagen, der Aufsichtsrat kein freies Ermessen mehr hat, wie er entscheidet.

    Schütte: Ein Anwalt der gegnerischen Seite wird zitiert, die Schmiergelder hätten dem Konzern eher genutzt als geschadet. Fragwürdige Haltung, oder bietet die Gesetzeslage tatsächlich Raum für solche Argumente?

    Theisen: Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn Karnevalszeit wäre, dann hätte ich diesen Satz verstanden, ansonsten fehlt mir jedes Verständnis. Ein Aufrechnen in einer solchen Affäre, Korruptionsnutzen gegen Korruptionsschaden und strafrechtliches Vergehen, das ist also nur noch kurios zu nennen. Es geht doch wohl nur darum, dass hier eine Korruption offensichtlich nach dieser Aussage des Anwaltes bekannt gewesen sein muss, sonst hätte man ja den Nutzen nicht abwägen können. Die Argumentation ist also schon eine letzte Position eines Strafverteidigers. Mich überrascht das, denn ein Verfahren, das noch gar nicht eröffnet ist, bereits in einem Verfahren so zu argumentieren, bedeutet keine starke Stellung.

    Schütte: Noch kurz zum Schluss: Mit welchen Strafen müssten zum Beispiel Heinrich von Pierer oder Klaus Kleinfeld rechnen, falls die Klage Erfolg hat?

    Theisen: Nun, Schadenersatzklagen sind grundsätzlich darauf gerichtet, wie ich erwähnte, Schaden gutzumachen, also nicht etwa, jemanden ins Gefängnis zu bringen. Das heißt, ich gehe davon aus, dass in den einzelnen Fällen eben Schadensersatz geltend gemacht wird und dass das dann durchaus in Millionenhöhe sein kann, das ist möglich. Aber, wie gesagt, es geht hier nicht um Rache, sondern es geht um Schadenwiedergutmachung.

    Schütte: Manuel René Theisen, Professor für Steuerlehre und Steuerrecht von der Ludwigs-Maximilians-Universität in München. Ich danke Ihnen für das Gespräch!