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"Steuererhöhungen wären Gift"

Der G20-Gipfel in Pittsburgh ist in vollem Gange. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, kritisiert, dass sich Großbritannien gegen eine Regulierung des Finanzmarkts wehrt. Zudem hält er Steuersenkungen für ein gutes Mittel, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Schon Adam Smith, einer der Väter der Wirtschaftswissenschaften und früher Analytiker der Mechanismen des Marktes, sprach von der Gier mancher Akteure auf dem Markt. Sie ersticke die heroische Gesinnung der Handelsleute, meinte er. Viel Heroismus musste in den letzten Jahren offenbar nicht erstickt werden, die Gier setzte etliche Regeln des Finanzmarktes außer Kraft. Kann man – und das ist die Frage, die in Pittsburgh de facto erörtert wird -, kann man den Markt, auch den Finanzmarkt kontrollierbar regulieren? Würgt man nicht seine Kräfte ab durch zu viel Regulierung? – Die Frage geht an einen Nachfolger von Adam Smith, den Präsidenten des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München, Professor Hans-Werner Sinn. Zunächst mal guten Morgen, Herr Sinn.

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Sinn, in Pittsburgh ringt man um Regeln für den Finanzmarkt. Wie viel Regelwerk ist notwendig? Ab wann geht, um im Bild von Adam Smith zu bleiben, dem Finanzmarkt und damit auch dem Markt überhaupt die Luft aus?

    Sinn: Na ja, davon sind wir weit entfernt. Das Problem auf den Finanzmärkten war in der Tat, dass sehr viele Freiräume bestanden, um Geschäfte zu machen, die keiner kontrolliert hat und die eben aus verschiedenen Gründen extrem gefährlich waren, auch für die Gesellschaft. Das Problem bei den Finanzinstitutionen ist ja häufig, dass die mit ganz, ganz wenig Eigenkapital arbeiten und natürlich als Kapitalgesellschaften mit Haftungsbeschränkung organisiert sind, so dass, wenn da was schief geht, jemand anderes die Zeche zahlt: entweder die Gläubiger, oder der Steuerzahler. Und weil das so ist, weil so wahnsinnig große Externalitäten bestehen, wie wir sagen, muss das auch reguliert werden, stärker als andere Bereiche.

    Liminski: Also mehr Regeln, wie die Europäer fordern, im Gegensatz zu den Amerikanern?

    Sinn: Ja. – Ich weiß gar nicht, wie das bei den Amerikanern ist. Obama hat sich ja jetzt in einer Rede auf der Wall Street ganz deutlich für eine schärfere Regulierung ausgesprochen und ist weit über das Maß hinausgegangen, was man da erhofft hatte und was auch viele erwartet haben. Also ich glaube, die Amerikaner haben auch den Ernst der Stunde verstanden und sind jetzt bereit, eine gemeinsam verabredete Harmonisierung weltweit zu akzeptieren. Das Thema war ja schon mal aufgetaucht in Heiligendamm im Jahre 2007, als Deutschland die großen Länder zusammengerufen hatte, und wir wollten damals eine Bankenregulierung durchsetzen. Das klappte aber nicht, die Angelsachsen waren dagegen. Jetzt ist es anders. Jetzt ist eine Bereitschaft da. Der harte Brocken wird Großbritannien sein. Die wollen da nicht so leicht ran, denn sie leben ja davon. Die City of London verdient ihr Geld nun mal mit Finanzprodukten und die haben das Gefühl, wenn man da jetzt zum Beispiel höhere Eigenkapitalunterlegungen verlangt, dann wird ihnen so ein bisschen das Wasser abgegraben.

    Liminski: Die Problematik gilt ja nicht nur für den Finanzmarkt, sondern für das Marktgeschehen allgemein. Wir haben in Deutschland dafür die soziale Marktwirtschaft erfunden, da sind ja auch Regeln eingebaut. Wäre das denn ein Modell für den globalen Markt?

    Sinn: Ja, natürlich. Die soziale Marktwirtschaft ist ein schöner Kompromiss zwischen einer reinen kapitalistischen Nachtwächtergesellschaft, wo der Staat kaum irgendeine Rolle hat, und einem sozialistischen System, wo alles gleich verteilt wird und keine Anreize mehr da sind. Dieser Kompromiss hat ganz gut funktioniert. Man lässt also doch erhebliche Ungleichheit und Leistungsanreize zu, andererseits verhindert man, dass Leute abstürzen können, und schützt durch verschiedene Sicherungssysteme. Also ich glaube, das deutsche System ist sehr mustergültig. Aber auch das deutsche System der sozialen Marktwirtschaft hat es nicht geschafft, die Banken richtig zu regulieren. Das muss man mal klar sagen. Hier war auch in Europa und in Deutschland insgesamt ein zu lascher Ansatz da und das liegt daran, dass die Banken sehr mobil sind. Wenn sie in einem Land stärker reguliert werden als in einem anderen, dann geht das Geschäft halt in das andere Land, und weil die Regulierungsbehörden das wissen, versuchen sie alle, ein bisschen lascher zu sein als die Nachbarregulierungsbehörden mit der Folge, dass das ganze ein Wettbewerb nach unten wird und zum Schluss gar nicht mehr richtig reguliert wird.

    Liminski: Das ganze wird also sozusagen eingehegt. Aber im Moment ringt der Markt, das Marktgeschehen, die Wirtschaft doch auch ein bisschen um Luft. Ihr Institut hat gestern die Stimmung beschrieben, "es hellt sich deutlich auf". Ist die Stimmung besser als die Lage?

    Sinn: Ja, es hellt sich auf. Man muss natürlich sehen, von welchem Niveau aus. Wir haben ja nun eine wirklich katastrophale Wirtschaftsentwicklung im letzten Jahr gehabt, seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008, und der Winter war ja ganz schrecklich. Solche Einbrüche beim Export, bei der Industrieproduktion haben wir bislang überhaupt noch nicht beobachtet seit der großen Weltwirtschaftskrise von 28 bis 32. So, jetzt liegen wir am Boden und sind geschunden und sammeln unsere Glieder irgendwie ein und versuchen, langsam wieder hochzukrabbeln. Das ist die Situation, in der sich die Wirtschaft heute befindet.Um es noch konkreter zu sagen: Wir fragen ja nach Lage und Erwartungen. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der befragten Unternehmen sagt, dass die Lage schlecht sei. Allerdings ist diese Mehrzahl nicht mehr ganz so groß wie noch im letzten Monat. Das ist die gute Nachricht. Und bezüglich der Entwicklung in den nächsten sechs Monaten teilt sich das ungefähr hälftig in Optimisten und Pessimisten. Da sind wir schon bei den Erwartungen etwas besser. Das stimmt also, was Sie sagen, dass die Stimmung etwas besser ist als die Lage.

    Liminski: Die Produzentenseite – die wird ja durch den Index erforscht – ist eine Sache, die Konsumentenseite eine andere. Die Reallöhne sind leicht gesunken, hat das Statistische Bundesamt diese Woche bekannt gegeben. Die Arbeitnehmer sind sozusagen die traurigen Helden des Marktes. Wo soll der gestiegene Konsum her kommen, oder verlassen wir uns wieder nur und noch mehr auf den Export?

    Sinn: Ja. Wir müssen uns auf den Export verlassen. Die Reallöhne sind jetzt auch ein bisschen gefallen, aber natürlich sind die Gewinne noch viel stärker gefallen. Die sind ja negativ, das ist ja die reinste Katastrophe. Das Sozialprodukt ist halt gefallen vom letzten auf dieses Jahr und das ist die Summe aller Einkommen. Es ist ja erstaunlich, wie stabil die Löhne noch geblieben sind, angesichts dieser allgemeinen Einkommenseinbrüche und überhaupt die Masseneinkommen. Das liegt nun auch daran, dass der Staat das weitgehend stützt. Wir haben ja Kurzarbeitergeld, wir haben Arbeitslosengelder verschiedener Art, wir haben Hartz IV, wir haben ein Rentensystem und all diese staatlichen Systeme stützen ja die Einkommen und auch den Konsum. Der deutsche Konsum ist in dieser schwierigen Phase eine Stabilisierungskraft nicht nur für Deutschland, sondern sogar für die Welt, denn Deutschland hat seinen Leistungsbilanzüberschuss ganz dramatisch verringert in dieser Krise, stärker als jedes andere Land. Also wir sind praktisch der Stoßdämpfer der Welt mit unserem guten Sozialsystem.

    Liminski: Diese Woche war geprägt, Herr Sinn, vom Thema Steuersenkungen. Das soll die Konjunktur auch beleben. Sehen Sie Spielraum für Steuersenkungen?

    Sinn: Die Steuersenkung ist eine Möglichkeit, zusätzliche Kaufkraft zu schaffen. Eine andere ist es, dass der Staat selbst Güter kauft, indem er Autobahnen bauen lässt und Infrastrukturprojekte verschiedener Art. Das alles ist nötig in der Krise, um die Konjunktur zu stabilisieren.
    Wir haben ja eine Krise, die ist wirklich vergleichbar zur großen Weltwirtschaftskrise. Der Anfang war auch schrecklich und war genauso dramatisch wie damals. Aber der weitere Verlauf wird besser sein, und das deswegen, weil wir Konjunkturprogramme haben. Wir haben ja aus der Krise von damals gelernt: Der Staat darf unter keinen Umständen jetzt Parallelpolitik machen, indem er in dem Maße, wie die Steuereinnahmen zurückgehen, auch die Ausgaben kürzt, indem er versucht, die Verschuldung zurückzunehmen. Das ist wirklich falsch, sondern er muss sich in dieser Rezession kräftig verschulden, um netto dadurch der Wirtschaft neue Impulse zu geben. Dazu gehört auch eine Steuersenkung, die im Bereich der persönlichen Einkommenssteuer liegen kann, die liegen kann auch im Bereich der Abschreibungsvergünstigungen für die Unternehmen, um die Investitionen anzuregen. Das ist für das nächste Jahr schon angesagt. Das heißt nicht, dass das eine Dauergeschichte ist. Sobald der Aufschwung kommt, muss man dann wieder umschalten und dann muss der Staat auch anfangen zu sparen und muss aufhören, Schulden zu machen. Das ist leider leichter gesagt als getan. Im vergangenen Aufschwung haben wir die Chancen nicht richtig genutzt, sondern wir haben nicht gespart beim Staat. Der Staat hat es allenfalls jetzt geschafft, im Jahre 2008 seine Neuverschuldung auf fast null zu reduzieren. Es wäre noch besser gewesen, er hätte wirklich mal Budget-Überschüsse gemacht, so dass die Schulden niedriger waren, und dann hätte man jetzt mit leichterer Hand eine Antirezessionspolitik machen können.

    Liminski: Sie sprechen sich hier doch indirekt auch gegen Steuererhöhungen aus?

    Sinn: Ja. Steuererhöhungen wären nun wirklich Gift in der jetzigen Situation. Über Steuererhöhungen kann man erst reden, wenn die Wirtschaft wieder auf Trab ist, aber dann ist eben auch die Frage, ob man nicht dann eher bestimmte Staatsausgaben senken sollte. Der Staat kann ja nun nicht immer nur erhöhen, sondern er muss ja den Privaten auch einen Spielraum lassen. Er kann nicht alle Einkommen, immer mehr Einkommen absorbieren, und das hat er in den letzten Jahren getan, dadurch, dass wir ja ein progressives Einkommenssteuersystem haben. Das heißt, wenn die Einkommen wachsen, auch inflationsbedingt wachsen, dann kriegt der Staat mehr Einnahmen, und zwar prozentual einen stärkeren Zuwachs an Einnahmen als die Privaten überhaupt an Einkommen haben. Diesen Effekt der sogenannten schleichenden Progression muss man regelmäßig korrigieren, und da ist jetzt schon der Zeitpunkt gekommen.

    Liminski: Viele oder gar alle gehen von einem leichten Aufschwung im nächsten Jahr aus. Sehen Sie das auch so? Ist die Krise wirklich schon vorbei, oder kommt das dicke Ende erst noch?

    Sinn: Die Ökonomen und hier insbesondere die Institute, die derzeit die Gemeinschaftsdiagnose machen, diskutieren ja darüber, wie es ablaufen wird. Ich kann das Ergebnis nicht vorweg nehmen. Man redet über die Möglichkeit einer Double Dip Rezession, also einen kurzen Aufschwung und dann geht es noch mal wieder herunter. Man redet über die Möglichkeit, dass jetzt vielleicht doch ein lang anhaltender Aufschwung passiert. Man redet über die Schwierigkeiten, die die Amerikaner haben, von ihrem Leistungsbilanzdefizit herunterzukommen. Also es wird keine leichte Zeit. Dass der Abschwung zu Ende ist und jetzt erst mal ein kleiner Aufschwung angesagt ist, das ist ja unstrittig. Die Frage ist, wie weit das dann alles trägt.

    Liminski: Es könnte besser werden, es gibt Silberstreifen am Konjunkturhimmel. Das war hier im Deutschlandfunk Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sinn.

    Sinn: Gerne.