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Steuerexperte gegen Steuergrenzen zwischen den Ländern

Meurer: Viele halten sie für das wichtigste Reformprojekt überhaupt. Bis Freitag oder Samstag soll die Föderalismus-Kommission ihre Arbeit erledigt haben. Auftragsgemäß soll die Kommission Vorschläge erarbeiten, wie die bundesstaatliche Ordnung modernisiert werden könnte. Zu oft behindern sich Bund und Länder gegenseitig. Das gilt als einer der entscheidenden Gründe für den Reformstau, und deswegen kursiert angeblich in Frankreich der Spruch, der Föderalismus sei die Staatsform der Barbaren. Beratend an den Sitzungen der Kommission nimmt teil Ferdinand Kirchhof. Er ist Professor für Steuer- und Finanzrecht an der Universität Tübingen und nun am Telefon. Herr Kirchhof, auf wie gutem Wege sehen Sie denn wenige Tage vor dem Schluss die Föderalismus-Kommission?

Moderation: Friedbert Meurer |
    Kirchhof: Also die Föderalismus-Kommission, glaube ich, wird zu Ergebnissen kommen, wird auch einiges bewegen. Der jetzige Stand der Beratungen in der Hektik der Schlussberatungen ist allerdings etwas gering ausgefallen. Also ich erhoffe mir, dass wir in der abschließenden Arbeitssitzung Ende der Woche noch einen kräftigen und mutigen Sprung nach vorne machen in Richtung Entflechtung und Dezentralisierung.

    Meurer: Wie groß ist denn die Hoffnung? Wird es zum Beispiel gelingen, dass tatsächlich die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze halbiert wird?

    Kirchhof: Also das glaube ich schon. Da liegt ein Vorschlag jetzt auch in internen Papieren für diese letzte Sitzung vor, der zu einer deutlichen Reduktion dieser Zustimmungspflicht führen würde und damit natürlich eines der Hauptprobleme, nämlich der Blockade im Bundesrat, lösen würde.

    Meurer: Werden das auch Gesetze von Relevanz und Bedeutung sein?

    Kirchhof: Ja, ganz sicher. Der Vorschlag ist so abstrakt formuliert, dass künftig etliche wichtige Gesetze ausschließlich in Bundespolitik entschieden werden können und nicht in dieser merkwürdigen Verschränkung von Bundespolitik und im Bundesrat organisierter Länderopposition.

    Meurer: Zum Beispiel welche Gesetze?

    Kirchhof: Das wird man sehen müssen, was an Gesetzen zukünftig zu regeln sein wird. Die künftige Zustimmungsregelung wird sich mehr mit der finanziellen Belastung der Länder befassen. In einigen gravierenden Fällen einer wesentlichen finanziellen Belastung bleibt die Zustimmungspflicht, während man bisher ja Zustimmungspflicht hatte bei Einrichtung der Behörden und beim Verwaltungsverfahren.

    Meurer: Nun sind Sie ja sozusagen Experte für Finanzen, Steuern, Finanzrecht. Was hätten Sie sich alles gewünscht?

    Kirchhof: Ja, ich habe einen großen Wunschkatalog gehabt. Ich hätte mir eine völlige Auflösung der Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 91a und b Grundgesetz gewünscht, wo Bund und Länder zusammen wirken und auch zusammen finanzieren, also wo eine Mischfinanzierung entsteht, und ich hätte mir auch gewünscht, dass ein Subventionsrecht, ein Finanzhilferecht des Bundes für Aufgaben der Länder, das momentan in Artikel 104a Grundgesetz steht, dass das deutlich zurückgeschnitten wird. Da ist der Wille, hier etwas zu ändern, nicht zu sehr groß.

    Meurer: Was sind denn zum Beispiel Gemeinschaftsaufgaben, die hätten getrennt werden sollen?

    Kirchhof: Gemeinschaftsaufgaben sind einmal der Hochschulbau, weil das vor allen in den siebziger Jahren und dann nach der deutschen Einigung eine sehr kostenträchtige Aufgabe war, die regionale Wirtschaftsstruktur, die Agrarstruktur, Küstenschutz, Bildungsplanung und ähnliches. Nach den bisherigen Planungen möchte man davon lediglich den Hochschulbau auf die Länder wieder zurückfallen lassen, also dass ohne Mitwirkung des Bundes getätigt werden kann, während die anderen Bereiche weitgehend gleich bleiben, teilweise der Bund sogar stärker beteiligt wird.

    Meurer: Wie sehr wünschen Sie sich, dass Bund und Länder getrennte Steuereinnahmen haben und es nicht so oft sozusagen Steuerquellen gibt, die geteilt werden nach einem bestimmten Schlüssel?

    Kirchhof: Da müssen wir zwei Dinge unterscheiden. Wir haben, was die Steuerertragshoheit angeht, also wer bekommt das Aufkommen aus bestimmten Steuern, teilweise ein Trennsystem, und wir haben drei große Gemeinschaftssteuern, Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer, die teilweise nach einem feststehenden, teilweise nach einem beweglichen Schlüssel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verteilt werden. Das System ist sicher gar nicht schlecht. Da würde ich auch nicht sehr viel dran rütteln - es gibt da diese Überlegung des Steuertausches. Bei der Gesetzgebung über Steuern wollen die Länder über die Steuern, die ihnen sowieso zufließen, auch die Legislativhoheit, also dass sie die Regeln selber machen können. Da, würde ich sagen, sollte man sehr vorsichtig sein, weil Steuern immer ein ökonomisches Datum setzen, und wir leben in einem europäischen Binnenmarkt ohne Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten.

    Meurer: Wieso sollten die Länder da nicht mehr Freiheit und Beweglichkeit bekommen?

    Kirchhof: Weil sie dann für ihren Bereich unterschiedliche Steuerbelastungen setzen, und das ist in diesem europäischen Markt ohne Grenzen nicht ohne Probleme, denn wenn wir zwischen Mitgliedstaaten keine Steuergrenzen haben und wir in der Bundesrepublik zwischen den Ländern Steuergrenzen aufrichten, wäre das, glaube ich, das Signal in die falsche Richtung.

    Meurer: Also Sie wollen zum Beispiel, dass es weiterhin dabei bleibt - Stichwort Einkommensteuer -, dass Bund und Länder, Bundestag und Bundesrat über die Eigenheimpauschale zum Beispiel entscheiden?

    Kirchhof: Ja. Also wenn Sie es in diesem speziellen Fall der Eigenheimpauschale ansprechen, hat dieses Problem so seinen eigenen Charme und vielleicht eine eigene Lösung. Aber grundsätzlich meine ich, die drei großen Steuern, Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer sind ein wesentliches Datum für den Markt, für die Unternehmen. Sie betreffen sowohl den Ertrag als auch in ihrer wirtschaftssteuernden Funktion den gesamten Wirtschaftsraum der Bundesrepublik. Da sehe ich wenig Sinn darin, wenn Bayern andere Steuersätze hat als Mecklenburg-Vorpommern. Sie handeln sich auch sehr große Schwierigkeiten ein beim Übertritt über diese Grenzen dann. Sie müssen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Ländern schließen, Verrechnungspreise machen usw. Ich glaube, das wäre nicht die richtige Lösung. Es gibt allerdings auch andere Meinungen in der Kommission.

    Meurer: Wenn Sie insgesamt zurückschauen auf die Sitzungen, an denen Sie teilgenommen haben - nächsten Freitag werden Sie bei der Abschlusssitzung wieder mit dabei sein -, was war denn Ihr Eindruck von der Arbeitsatmosphäre?

    Kirchhof: Die Arbeitsatmosphäre war sehr aufgeschlossen. Man ist sehr schnell in das Detail gegangen, hat Modelle entwickelt. Das lag vielleicht auch an dem vorsichtigen Vorgehen der beiden Vorsitzenden der Kommission Herr Müntefering und Herr Stoiber, die nicht gleich am Anfang irgendwelche Abstimmungen vorgeschlagen haben, sondern erst mal das gesamte Terrain gesichtet haben. Also man hat viel gearbeitet. Die Bundesregierung hat sich bis zuletzt, bis zu den letzten Sitzungen fast verschwiegen. Das war etwas ärgerlich, aber insgesamt war es eine sehr angenehme Arbeitsatmosphäre. Jetzt wünsche ich mir nur für die letzte Sitzung eine angenehme und entschlossene Beschlussatmosphäre.

    Meurer: In welcher Hinsicht war die Bundesregierung zu verschwiegen?

    Kirchhof: Zu den ganzen Modellen, zu den ganzen Überlegungen, die getätigt worden sind, ist von der Seite der Bundesregierung aus sehr wenig gesagt worden, zustimmend oder ablehnend, und erst ganz zum Schluss, fast zum Ende der Sitzungen, hat die Bundesregierung ihre Vorstellung konkretisiert, obwohl man sie mehrfach dazu aufgefordert hatte. Es war ja im Grunde genommen ein Spiel mit drei Beteiligten, auf der einen Seite die Länder, auf der anderen Seite der Bund in Form des Bundestags, der Bundestagsabgeordneten, und drittens die Bundesregierung, und sie hat einen sehr passiven Part gespielt und nur zum Schluss einen defensiven Part. Das ist in einer Kommissionssitzung nicht förderlich. So kann man die Reformüberlegungen nicht lösen.

    Meurer: Herzlichen Dank für das Gespräch.