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Steuerhinterziehung
Selbstanzeige soll nicht vor Strafe schützen

Der Fall Hoeneß hat eine Diskussion über nachträgliche Straffreiheit bei Selbstanzeigen ausgelöst. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, lehnte es im Deutschlandfunk ab, dass sich Steuerhinterzieher in größeren Fällen auf diese Weise entlasten können.

Thomas Eigenthaler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 10.03.2014
    Im Bild ist links ein Steuererklärungsformular und darüber liegend rechts ein weißes Blatt mit dem Titel "Selbstanzeige" zu sehen.
    Die Selbstanzeige steht in der Diskussion (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Dirk-Oliver Heckmann: Für den Präsidenten des FC Bayern, für Uli Hoeneß wird es heute ernst. Dass er Steuern hinterzogen hat, das hat er bereits zugegeben, und wenn es sich wirklich um über drei Millionen Euro handeln sollte und seine Selbstanzeige nicht wirksam war, dann ist es gut möglich, dass ihm eine Gefängnisstrafe droht. Heute beginnt der Strafprozess vor dem Landgericht München II; schon am Donnerstag könnte das Urteil fallen. – Am Telefon ist jetzt Thomas Eigenthaler, er ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, und das wiederum ist die Interessenvertretung für die Beamten und Angestellten der deutschen Steuerverwaltung. Schönen guten Morgen!
    Thomas Eigenthaler: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Eigenthaler, denken Sie, dass Uli Hoeneß an einer Gefängnisstrafe noch vorbei kommen kann?
    Eigenthaler: Hoeneß wird am Ende der Woche wegen schwerer Steuerhinterziehung verurteilt werden und ich erwarte eine Gefängnisstrafe, die nach meiner Einschätzung allerdings zur Bewährung ausgesetzt werden wird.
    Heckmann: Wie kommen Sie auf diese Prognose?
    Eigenthaler: Nun, Herr Hoeneß hat den Stein selbst ins Wasser geworfen. Er hat sich selbst angezeigt. Die Selbstanzeige ist zwar nach allem, was man hört, unglücklich verlaufen. Sie ist verunglückt, sie ist fehlgeschlagen. Aber das Gericht wird dieses trotzdem strafmildernd berücksichtigen müssen.
    Heckmann: Weshalb?
    Eigenthaler: Nun, Hoeneß ist ja nicht überführt worden. Er ist auch nicht abgeführt worden wie der frühere Postchef Zumwinkel, sondern er hat sich sozusagen freiwillig gestellt, und das ist eine hohe Form des Geständnisses.
    Heckmann: Er hat sich freiwillig gestellt, sagen Sie. Aber er könnte auch Hinweise darauf gehabt haben, dass Medien demnächst Veröffentlichungen über ihn und seinen Fall herausbringen.
    Eigenthaler: Hoeneß hat sicherlich in Panik gehandelt. Vermutlich dachte er, er würde bald entdeckt werden. Aber das ist für die Selbstanzeige zunächst ohne Bedeutung. Es kommt auf tätige Reue an, nicht was er denkt und fühlt. Deshalb erwarte ich, dass die Selbstanzeige strafmildernd berücksichtigt wird, auch wenn sie nicht alle Voraussetzungen erfüllt.
    Enormes Ausmaß an Steuerhinterziehung in Deutschland
    Heckmann: Wir werden sehen, wie es ausgeht. Das Gericht hat natürlich zu entscheiden, oder die Gerichte dann. Es wird ja möglicherweise dann in weitere Instanzen auch gehen. – Aber kommen wir mal zum Grundsätzlichen. Der Bundesgerichtshof hat ja im Jahr 2008 geurteilt: Ab einer Million Euro hinterzogener Steuern kommt eine Bewährungsstrafe nicht mehr in Frage. Das scheint aber offenbar viele nicht davon abzuhalten, Steuern zu hinterziehen.
    Eigenthaler: Das stimmt. Wir hatten ja allein in den letzten vier Jahren über 60.000 Selbstanzeigen. Ich erwarte in den nächsten Jahren das doppelte bis dreifache. Da sieht man, welches Ausmaß Steuerhinterziehung in Deutschland hat, insbesondere durch diese Schwarzgeld-Depots in der Schweiz und in anderen Staaten, die ein hohes Bankgeheimnis haben.
    Keine Straffreiheit für große Fälle von Steuerhinterziehung
    Heckmann: Diese Steuerhinterzieher, die können sich im Prinzip durch eine Selbstanzeige, wenn sie denn pünktlich erscheint und vollständig ist, freikaufen. Passt das eigentlich noch in die Zeit, dass der Staat auf Strafe verzichtet, wenn er dafür nur an das Geld herankommt?
    Eigenthaler: Die Selbstanzeige gibt es ja schon seit rund 100 Jahren und ich rede einer völligen Abschaffung nicht das Wort. Aber wir haben auch eine veränderte Sachlage. Wir haben heute bessere Methoden, an internationale Steuerhinterzieher heranzukommen, insbesondere durch die CD-Aufkäufe. Daher fordere ich, dieses Institut, das doch Steuerhinterziehung privilegiert, auf den Prüfstand zu stellen. Ich fordere, Steuerhinterziehung in großen Fällen darf künftig nicht mehr nachträglich straffrei werden.
    Heckmann: Die Bedingungen für diese strafbefreienden Selbstanzeigen wurden ja jetzt kürzlich erst verschärft. Weit genug aus Ihrer Sicht, oder nicht weit genug?
    Eigenthaler: Die Bedingung wurde verschärft. Das ist jetzt Hoeneß zum Verhängnis geworden. Inzwischen kann nur noch ein Profi eine solche Selbstanzeige abgeben. Daher ist mein Vorschlag, sie nicht weiter zu verschärfen. Sie muss noch handhabbar bleiben, sonst fühlt sich der Steuerhinterzieher nachher noch hinters Licht geführt, wenn ihm zwar suggeriert wird, er könne sich selbst anzeigen, hinterher scheitert die Sache aber, weil sie zu kompliziert ist.
    Im Fall Hoeneß gab es eine verunglückte Selbstanzeige
    Heckmann: Das heißt, die Gesetzeslage, wie sie jetzt im Moment ist, Herr Eigenthaler, die ist schon so in Ordnung aus Ihrer Sicht?
    Eigenthaler: Sie ist derzeit noch in Ordnung, auch wenn sie kompliziert ist, weil man ja zehn Jahre völlig richtig abgeben muss, um für diesen Zeitraum Straffreiheit zu kriegen. Aber sie sollte nicht noch komplizierter gemacht werden, sonst haben wir weitere Fälle wie Hoeneß, nämlich verunglückte Selbstanzeigen. Das hilft uns dann allen nicht.
    Heckmann: Glauben Sie denn jetzt, dass der Fall Uli Hoeneß und auch der Aufkauf von Steuerhinterzieher-CDs noch einmal mehr Leute motiviert, sich ehrlich zu machen?
    Viele Steuerhinterzieher pokern weiterhin hoch
    Eigenthaler: Ich glaube, ja. Steuerhinterziehern geht es meistens nicht ums Geld, sondern sie wollen heil aus der Sache wieder herauskommen. Insofern war der Fall Alice Schwarzer natürlich etwas kontraproduktiv, weil die Dinge an die Öffentlichkeit kamen. Trotzdem glaube ich, dass die Leute auch bei Hoeneß sehen werden, Steuerhinterziehung lohnt sich nicht, es droht sogar eine Gefängnisstrafe.
    Heckmann: Sie wollen heil aus der Sache herauskommen, sagen Sie. Dennoch gibt es ja offenbar Zehntausende, die nach wie vor Schwarzgeld deponiert haben und sich eben noch nicht ehrlich gemacht haben, obwohl sie ja schon längst die Möglichkeit gehabt hätten.
    Eigenthaler: Natürlich. Es gibt Leute, die pokern seit Jahren, seit Jahrzehnten. Wir hatten etwa vor zehn Jahren eine Möglichkeit zur Amnestie. All die Leute, die sich jetzt selbst anzeigen, haben diese billige, preiswerte Amnestie nicht in Anspruch genommen, und es wird auch weiter Leute geben, die pokern.
    Rund 20 Prozent des Personals fehlen
    Heckmann: Herr Eigenthaler, Sie sind ja Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. Das ist – ich habe es gerade eben erwähnt – die Interessenvertretung derjenigen, die in der deutschen Steuerverwaltung angestellt sind. Immer wieder ist ja die Klage zu hören, dass die Steuerbehörden vor allem personell nicht ausreichend ausgestattet sind. Weshalb stellen die Länder nicht viel mehr Personal ein? Es lohnt sich doch offenbar.
    Eigenthaler: Nun, diese ganzen Selbstanzeigefälle werfen natürlich ein schlechtes Licht auf den Steuervollzug in Deutschland insgesamt. Uns fehlen rund 20 Prozent des Personals und wir fordern von den Politikern gebetsmühlenhaft, die Finanzämter personell und sachlich besser auszustatten. Geschehen tut leider nichts.
    Heckmann: Wie kommen Sie denn auf diese Zahl?
    Eigenthaler: Nun, es gibt eigene Berechnungen der Ministerien, sogenannte Personalbedarfsberechnungen, die sagen das klar, welches Defizit beim Steuervollzug und bei der Ausstattung besteht. Im Übrigen unterstützen uns da auch die Rechnungshöfe im Bund und in den Ländern. Alle wissen, dass wir hier nicht genügend tun, und trotzdem passiert nichts. Im Gegenteil! Ich glaube, es soll sogar noch schlimmer werden.
    Heckmann: Es passiert nichts und es wird sogar schlimmer, sagen Sie. Was ist dafür der Grund? Verschaffen sich die Bundesländer möglicherweise – in einem Kommentar der „Frankfurter Rundschau“ ist das heute nachzulesen – einen Standortvorteil?
    Eigenthaler: Es ist derzeit so, dass wir in den nächsten Jahren rund ein Drittel des Personals, des erfahrenen Personals in den Finanzämtern verlieren werden. Es müsste dringend um Nachwuchs angegangen werden. Aber viele legen die Hände in den Schoß und vertrauen darauf, dass sich in Zukunft der Steuerzahler selbst veranlagen wird.
    Mehr Steuern lohnen sich angesichts des Länderfinanzausgleichs nicht
    Heckmann: Aber was ist denn der Grund dafür, für diese Zurückhaltung, dass sich da nichts bewegt, da es sich ja finanziell offenbar lohnt für den Staat?
    Eigenthaler: Mehr Steuern lohnt sich für den Staat, für den Bund und die Bundesländer derzeit nicht, weil jeder befürchtet, er muss in diesem komplexen und sehr auf Passivität angelegten Länderfinanzausgleich das, was mehr eingehoben wird, wieder an andere abgeben. Es ist eine gewisse Form des Neides.
    Heckmann: Das heißt, es müsste dann über die Verteilung der Gelder, die zusätzlich eingenommen werden, dann auch noch mal gesprochen werden?
    Eigenthaler: Über die Verteilung der Gelder, aber auch über den Umstand, dass Personalkosten für die Einnahmeverwaltung, also für die Steuerverwaltung vorab als Investitionskosten im Ausgleich abgezogen werden können, so wie das jedes Unternehmen macht, das die Löhne von seinem Umsatz abzieht und nur das Netto hinterher wird zur Verteilung gebracht. Das ist ein System, das aktivierend wirken kann.
    Heckmann: Heute beginnt der Steuerstrafprozess gegen Uli Hoeneß vor dem Landgericht München. Wir haben gesprochen mit dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft, mit Thomas Eigenthaler. Herr Eigenthaler, danke Ihnen für das Interview!
    Eigenthaler: Gerne! Auf Wiederhören!
    Heckmann: Schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.