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"Steueroasen sind in den letzten Monaten unter mehr Druck gekommen"

Es sei erfreulich, dass sich alle Länder auf dem G20-Gipfel verpflichtet haben, automatisch Informationen über Steuerflucht auszutauschen, sagt der Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold. Trotzdem sei unklar, ob dadurch das Ende Steueroasen bewirkt werden könne.

Sven Giegold im Gespräch mit Peter Kapern | 07.09.2013
    Peter Kapern: Was da besprochen wurde, das steht alles in einem engen Zusammenhang zur Finanzkrise, die ganze Staaten an den Rand des ökonomischen Zusammenbruchs gebracht hat. Damals haben sich die großen Wirtschaftsnationen vorgenommen, jede Bank, jedes Finanzprodukt und jeden Finanzplatz zu regulieren, damit das Finanzsystem die Welt nicht noch einmal an den Rand einer ökonomischen Katastrophe bringen kann. Was also taugen die Beschlüsse von Sankt Petersburg? Am Telefon ist Sven Giegold, der Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, guten Tag, Herr Giegold!

    Sven Giegold: Ja, guten Tag!

    Kapern: Angela Merkel zeigte sich also gestern zufrieden mit dem Beschluss zum Thema Schattenbanken. Bis 2015 soll ja jetzt festgelegt werden, welchen Regeln diese Hedgefonds und andere Schattenbanken unterworfen werden sollen. Ist das tatsächlich schon ein großer Fortschritt?

    Giegold: Erst mal muss man sagen, dass die Pläne dazu alle natürlich vorher schon fertig waren. Der FSB, das Finanzstabilitätsgremium auf globaler Ebene, hatte vor einigen Wochen einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. Es ist nur bedauerlich, dass bei der Gesetzgebung, die jetzt in Europa dazu gemacht wird, dieser Vorschlag gar nicht umgesetzt wird. Und tja, zum G20 stimmt auch, was in dem Intro gesagt wurde, dass leider die wichtigen Wirtschafts- und Finanzmarktthemen gar nicht richtig besprochen wurden. Also, die entscheidende Runde zwischen den Staatschefs, wo eigentlich über das Thema geredet werden sollte, wurde sogar abgesagt.

    Kapern: Gleichwohl bleibt festzuhalten, Angela Merkel weist darauf hin, es gibt jetzt diese Roadmap. Ende 2015 soll ein Plan stehen, wie die Schattenbanken reguliert werden sollen. Heißt das, dass nun kein Widerstand mehr zu erwarten ist bei der Regulierung dieses Schattenbankensektors?

    Giegold: Nein, natürlich nicht. Man muss eins natürlich ganz klar sagen, dass die G20 da ist und dass sie versucht, global Politik zu koordinieren, ist ein großer Fortschritt. Ohne diese Kooperation wäre es sicherlich zu einem Systemzusammenbruch wie in den 20er-, 30er-Jahren gekommen. Und auch die Koordinierung der Reformmaßnahmen ist vorangekommen. Und deshalb kann man auch erwarten, dass auch solche globalen Absprachen bei den Schattenbanken Fortschritte bringen werden. Aber natürlich kann man bei all den Umsetzungen – jetzt geht es dann immer ums Detail, und das ist absolut entscheidend – sehen, dass die Durchsetzung der Regeln immer imperfekt, immer sehr stark vom Lobbyismus der jeweiligen Finanzindustrie abhängig ist. Und das kann man eben in Europa derzeit sehen. In dieser Vereinbarung zu Schattenbanken stand drin, dass alle Fonds, die feste Rückkaufwerte versprechen, also wo praktisch ein Fonds sagt, ich nehme die Anteile fest zurück, ein Geldmarktfonds, das sollte eigentlich verboten werden, da sind sich alle Experten einig, auch global. Und jetzt der Gesetzentwurf, der in Europa auf dem Tisch liegt, sieht dieses Verbot nicht vor, sondern nur einen lächerlichen Kapitalpuffer. Und da hat die Fondsindustrie wieder ganze Arbeit geleistet!

    Kapern: Ein anderer Beschluss von gestern dreht sich um Steuerfragen, und zwar darum, dass multinationalen Konzernen die Möglichkeit genommen werden soll, ihre Gewinne so lange über Grenzen hin und her zu schieben, bis kaum noch eine Steuerschuld besteht. Auch da hat sich die G20 das Jahr 2015 als Zielmarke gesetzt. Stellt Sie das zumindest zufrieden?

    Giegold: Nein, also, erst mal muss man wieder sagen: Die Vereinbarungen der G20 sind natürlich ein riesiger Fortschritt. Jetzt in Sankt Petersburg wurde wiederholt, was die Finanzminister vor einigen Monaten schon beschlossen haben, da gibt es kaum Veränderung, die Texte sind fast identisch. Das ist natürlich grundsätzlich erfreulich, auch dass global alle Länder sich verpflichten, automatisch Informationen über Steuerflucht auszutauschen, das ist ein großer Fortschritt. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail. Ob das dazu führt, dass tatsächlich das jetzt das Ende der Steueroasen ist, ist unklar. Und bei der Steuerschieberei der Konzerne gibt es eigentlich nur einen Verhandlungsplan. Also, dieses Datum, was Sie genannt haben, heißt nur, dass bis dahin Verhandlungen geführt werden sollen. Was bei diesen Verhandlungen herauskommen wird und ob das wirksam ist, kann man derzeit nicht beurteilen.

    Kapern: Also sowohl bei den Steueroasen als auch bei der Steuervermeidung großer Konzerne noch kein substanzieller Fortschritt?

    Giegold: Man muss einfach sagen, dass natürlich es einen Unterschied macht, dass jetzt Länder wie Großbritannien und die USA, aber auch indirekt China mit Hongkong und direkt daneben Singapur, dass diese Länder jetzt sagen, wir wollen gegen Steuerflucht und Steuerschieberei vorgehen, obwohl sie selber die größten Häfen anzubieten haben, das ist ein Fortschritt, das muss man erst mal zugeben. Aber das Ende der Steueroasen ist wirklich noch nicht da, und das sieht man auch an den entsprechenden Kapitalflüssen. Also, die Steueroasen sind in den letzten Monaten unter mehr Druck gekommen als in den ganzen Jahren davor. Aber was das letztlich bedeutet, das müssen wir abwarten.

    Kapern: Herr Giegold, wir erreichen Sie beim kleinen Parteitag der Grünen in Bamberg. Ihre Partei musste in den letzten Tagen ja drastisch sinkende Umfragewerte vor der Bundestagswahl verzeichnen, wie gehen die Grünen eigentlich mit diesen demoskopischen Veggietagen um?

    Giegold: Also, der Veggietag ist ja nur ein Vorschlag für einen Tag in der Woche, aber gewählt wird an einem anderen. Da ist es so, wir erleben hier gerade einen Kampfgeist und der kommt einfach daher, dass wir jetzt sehen, was eigentlich geplant ist. Die Energiewende soll rückabgewickelt werden, Herr Oettinger und auch die Ankündigungen von FDP und Bundesregierung zeigen ganz klar: Wenn Schwarz-Gelb wieder an die Macht kommt, dann wird es diesen Umbau auf erneuerbare Energien nicht mehr geben. Wir haben einen Plan vorgelegt, wie man das billiger machen kann und gleichzeitig an dem Ziel festhält, und wir werden kämpfen und wir lassen nicht zu, dass Kohle und Atom einfach wieder weiterlaufen.

    Kapern: Haben die Grünen mit ihrem Steuererhöhungsprogramm der eigenen Klientel Angst eingejagt?

    Giegold: Das glaube ich nicht. Weil über Monate sind wir ja in Grund und Boden kritisiert worden für diese Pläne und die meisten Bürger – ich habe sehr viele Gespräche geführt – wissen, dass bis 6000 Euro die Steuern sinken sollen pro Familieneinkommen, und erst darüber, und auch nur, wenn man nicht Kinder hat, kommt es zu Erhöhungen. Und nur bei den ganz hohen Einkommen und Vermögen kommt es zu Mehrbelastungen. Und an den Infoständen in den Gesprächen spielt das eine große Rolle, aber die meisten Bürger stimmen zu, die Schere ist zu groß auseinandergegangen und deshalb ist die Korrektur genau richtig: unten senken und oben erhöhen.

    Kapern: Sven Giegold, der Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Giegold, danke, dass Sie Zeit für uns hatten!

    Giegold: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.