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Steuerpläne der Union
"Mittelschicht wird überproportional belastet"

Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, hat seine Steuer-Pläne gegen Kritik verteidigt. Dass es Steuergeschenke für obere Einkommensklassen geben werde, sei schlichtweg falsch, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Die größte Entlastung sei bei Alleinerziehenden sowie Familien mit zwei Kindern und nur einem Einkommen zu erwarten.

Carsten Linnemann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.08.2016
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) Carsten Linnemann spricht am 13.11.2015 auf der MIT-Tagung in Dresden (Sachsen).
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann. (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    Linnemann nannte die Vorwürfe der Opposition "ärgerlich" und mahnte eine sachliche Debatte an. Die Oppositions-Politiker sollten eigene Konzepte vorlegen und dann in der Sache "ringen", sagte der CDU-Politiker im DLF. Die Mitte der Gesellschaft habe das Gefühl, sie sei vernachlässigt worden. "Dies ist auch nachweisbar", so Linnemann. Seit Jahren steige der Grundfreibetrag, der Spitzensteuersatz greife bei der selben Summe. "Das führt dazu, dass die Mittelschicht überproportional belastet wird."
    Linnemann wies den Vorwurf zurück, ein Jahr vor der Bundestagswahl Steuergeschenke zu versprechen. "Man hätte sicherlich früher ambitioniert sein können", kommentierte der CDU-Politiker den Hinweis, dass seine Partei seit Jahren in der Regierungsverantwortung stehe. Linnemann verwies aber auf die Probleme der Banken- und Griechenlandkrise sowie auf das Ziel, einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Und am Telefon ist Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU/CSU. Schönen guten Morgen, Herr Linnemann!
    Carsten Linnemann: Guten Morgen, Herr Armbruster!
    Armbrüster: Herr Linnemann, warum diese Steuergeschenke jetzt vor allem für die oberen Einkommensklassen?
    Linnemann: Die Aussage ist schlicht falsch, und das muss man auch Herrn Schick sagen. Wir haben Beispielrechnungen: Der Steuerzahlerbund hat gestern noch mal gerechnet, und die größte Entlastung findet statt bei Alleinerziehenden, bei Alleinverdienern mit zwei Kindern, also das Akademikerpaar wird nicht am meisten profitieren. Die Aussage ist schlicht falsch, ärgert mich auch. Ich würde mich eher freuen, wenn wir eine Debatte in der Sache bekommen, dass auch die Kolleginnen und Kollegen Steuerkonzepte vorlegen, und dann können wir ringen, aber nicht so.
    Armbrüster: Warum kommt denn diese Kritik – haben die das nicht verstanden?
    "Die Mitte der Gesellschaft hat das Gefühl, sie wurden vernachlässigt"
    Linnemann: Also, wenn ich ehrlich bin, wundere ich mich über die Art und Weise der Kritik, weil jeder mit dem alten Argument der letzten Jahrzehnte kommt und sagt, es profitieren nur die oben. Genau das war ja Ausgangspunkt, dass dieses nicht passiert, weil wenn Sie durch das Land fahren, wenn Sie mit den Leuten reden, die Stimmung ist doch so im Lande, dass die Menschen sehr wohl ein gutes Gefühl dafür haben und sagen, denen da ganz oben geht es gut, diejenigen, die staatliche Leistungen beziehen, denen geht es auch gut, aber die Mitte der Gesellschaft schrumpft, und das ist ja auch nachzuweisen, weil…
    Armbrüster: Moment, Moment, Herr Linnemann. Sie sagen, Hartz-IV-Empfängern geht es gut?
    Linnemann: Nein, ich sage insgesamt, diejenigen, die von staatlichen Leistungen profit… Das ist die Stimmung im Land. Das ist die Stimmung im Land, dass diejenigen, die von staatlichen Leistungen profitieren, dass die nicht in den letzten Jahren vernachlässigt wurden – so muss man es formulieren –, die wurden nicht vernachlässigt, aber die Mitte der Gesellschaft hat das Gefühl, sie wurden vernachlässigt, und es ist auch nachweisbar, weil seit Jahren der Grundfreibetrag zu Recht steigt, das ist auch verfassungsrechtlich geboten. Der Spitzensteuersatz greift weiterhin immer bei derselben Summe, und das führt dazu, dass die Mittelschicht überproportional belastet wird, und seit Jahren haben wir daran nichts geändert, und das müssen wir tun.
    Armbrüster: Also ich schätze mal – um das nur kurz festzuhalten –, dass viele Hartz-IV-Empfänger sagen würden, dass man sich überhaupt nicht um sie gekümmert hat in den vergangenen Jahren, aber das steht möglicherweise auf einem anderen Blatt. Wir halten fest: Die Union sitzt seit über zehn Jahren in der Regierung. Warum kommt so ein Vorschlag erst jetzt, ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, warum ist das nicht längst umgesetzt?
    "Man hätte natürlich ambitionierter sein können"
    Linnemann: Also man muss natürlich zurückschauen, wo wir herkommen. Bei der letzten Bundestagswahl im Jahre 2013, da kamen wir aus der Bankenkrise, 2008, dann 2010, 11, 12 war die Griechenlandkrise, die Eurokrise. Die Staaten haben sich alle verschuldet, und da sind wir in den Bundestagswahlkampf gegangen und haben gesagt, wir möchten keine neuen Schulden aufnehmen, die wir jahrelang aufgenommen haben.
    Armbrüster: Aber die Steuereinnahmen sind auch da schon gesprudelt.
    Linnemann: Ja, aber nicht in dieser Form, und wir sind auch nicht damals im Jahre 2012, 2013, als wir das Wahlprogramm gemacht haben, hatten wir nicht diese Überschüsse wie im Moment. Natürlich haben Sie recht, man hätte natürlich ambitionierter sein können, aber man muss wissen, dass die Union nicht nur im letzten Wahlkampf es. also sie hat es gar nicht versprochen, sie hat das Thema so gar nicht angesprochen, auch nicht im Wahlkampf davor. Das letzte Mal war es im Jahre 2005, damals, als Paul Kirchhoff dann im Wahlkampf unterwegs war und mit der Flat-Tax hantiert hat, was freilich meiner Meinung nach ein Fehler war, weil die Menschen den Eindruck wirklich damals hatten, dass die Krankenschwester genauso besteuert wird wie der Chefarzt. Das wollte er so nicht, aber es kam so rüber, und seitdem war das verbrannte Erde das Thema Steuern, und seitdem haben wir zu wenig gemacht, und deswegen machen wir jetzt einen neuen Anlauf. Er ist seriös finanziert, er ist durchgerechnet monatelang. Mit Instituten haben wir zusammengearbeitet. Das ist kein Schnellschuss, sondern da steckt was hinter, und wir freuen uns auf die Debatte, aber bitte nicht sagen, dass nur die oberen profitieren. Dann soll man sich bitte die Beispielrechnungen anschauen. Der Steuerzahlerbund macht die, die haben diese Systeme, und dann können wir weiterreden.
    Armbrüster: Herr Linnemann, wenn ich Sie da richtig verstehe, sagen Sie, die CDU/CSU, die haben bei den letzten Bundestagswahlen dieses Thema ganz einfach verschlafen.
    "Und dann ging die Glaubwürdigkeit vor die Hunde"
    Linnemann: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, bei der letzten Bundestagswahl hatten wir eine andere Ausgangssituation. Da hat die CDU/CSU gesagt, sie möchte gerne keine neuen Schulden aufnehmen und keine Steuern erhöhen. Das mag heute im Nachhinein vielleicht nicht ambitioniert genug gewesen zu sein, aber man muss sagen, beide Punkte sind gehalten worden. Seit 60, 70 Jahren zum ersten Mal keine Steuern erhöht, und ich glaube, das ist auch ein Wert an sich, und jetzt schauen wir nach vorne, und ich bin guter Dinge, weil zum ersten Mal seit Jahren der Finanzminister selbst sagt, hier gibt es Handlungsbedarf, die Mitte wird überproportional belastet. Deshalb bin ich guter Dinge, dass wir nächstes Jahr einen Wahlkampf erleben werden, wobei es auch um Steuern gehen wird, und danach wird es auch an das Thema Steuern dann in der nächsten Legislaturperiode gehen.
    Armbrüster: Es ist gut, dass Sie das ansprechen, Herr Linnemann, es ist tatsächlich der Eindruck da, das ist ein Thema, das die CDU jetzt wieder rausholt – ein Jahr vor dem Bundestagswahlkampf.
    Linnemann: Noch mal: Beim letzten Mal – Sie erinnern sich, 2003, das war Friedrich Merz mit dem Bierdeckel, dann kam Paul Kirchhof, und danach war Ruhe. Dann hat man es versucht mit der FDP, und dann kam die Hotelsteuer – Sie erinnern sich – und dann ging die Glaubwürdigkeit vor die Hunde, um mal Klartext zu sprechen, aber einen so großen Wurf wie wir ihn gestern vorgestellt haben, gab es zuletzt 2005 im Wahlkampf mit Paul Kirchhof und den Steuerstufen von Friedrich Merz, und seitdem gab es keinen großen Wurf mehr, und das ist jetzt mal wieder ein Vorschlag, und wir freuen uns auf die Debatte.
    Armbrüster: Könnte es denn sein, dass Sie ein bisschen glaubwürdiger wären, wenn das Ganze vor zwölf Monaten gekommen wäre, dann hätte es eine Möglichkeit gegeben, das hier vielleicht noch in dieser Legislaturperiode durchzubringen?
    Teilerfolg bei der kalten Progression
    Linnemann: Die Mittelstandsvereinigung hat seit Jahren ein Steuerkonzept. Wir wollen und fordern seit Jahren den großen Wurf. Das ist jetzt aktuell angepasst. Wir haben uns damals übrigens vor einem Jahr, wenn Sie es ansprechen, eingesetzt für die Beseitigung der kalten Progression – ich habe auch mehrere Interviews hier im Deutschlandfunk gegeben –, wenn ich das bescheiden sagen darf, erfolgreich. Ja, die Inflation ist nicht hoch, aber die kalte Progression wurde beseitigt für die Jahre 2014, 2015, und jetzt im nächsten Jahr gibt es den klaren Auftrag, auch die kalte Progression für die beiden folgenden Jahre zu beseitigen. Also auch hier gab es einen Erfolg, wenn auch einen Teilerfolg.
    Armbrüster: Herr Linnemann, wir sind gespannt, was daraus wird und blicken sicher auch nach der Bundestagswahl noch einmal auf diese Pläne. Carsten Linnemann war das, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU und CSU. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
    Linnemann: Danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.