Archiv


"Steuersenkungen sind nicht selbstfinanzierend"

Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, Clemens Fuest, sieht keinen Spielraum für eine Senkung der Einkommenssteuern. Zuerst müssten die Ausgaben verringert werden, so Fuest. Denn das durch die Steuerentlastungen zu erwartende Wachstum reiche nicht aus, um die Einnahmenausfälle zu kompensieren.

Clemens Fuest im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Heute legt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seinen jährlichen Bericht zur Wirtschaftsentwicklung vor. Auszüge sind schon bekannt geworden. Die "Süddeutsche Zeitung" zitiert die Kritik der Wirtschaftsweisen so:

    "Auch wenn die neue Bundesregierung es nicht wahr haben will, ohne harte Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben oder ohne Erhöhungen von Steuern oder anderen Abgaben kann eine Konsolidierung der Staatshaushalte nicht gelingen."

    Zugeschaltet ist uns Professor Clemens Fuest, Professor für die wirtschaftlichen Staatswissenschaften an der Universität Oxford und er ist zugleich Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Guten Morgen, Herr Fuest.

    Clemens Fuest: Schönen guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Trifft die Kritik des Sachverständigenrates ins Schwarze?

    Fuest: Ich fürchte ja. In der aktuellen Lage ist es so, dass die Finanzpolitik deshalb nicht ganz einfach ist, weil man ja einerseits die Krise nicht verschärfen will, auf der anderen Seite aber diese enormen Defizite hat. Aber wenn wir an die nächsten drei, vier Jahre denken, dann wird irgendwann diese Krise überwunden sein und spätestens dann werden eben diese Einschnitte kommen müssen, oder die Steuererhöhungen.

    Jetzt direkt Steuern zu erhöhen oder Einschnitte zu machen, ist sicherlich problematisch, weil eben die Konjunktur schlecht läuft, aber in den nächsten Jahren muss das kommen und die Bevölkerung erwartet natürlich von der Bundesregierung, dass das auch offen gesagt wird.

    Engels: Welche Maßnahmen sind dann nötig?

    Fuest: Aus meiner Sicht sind zum einen Ausgabenkürzungen nötig. Da muss man mit Subventionen anfangen. Man wird aber darüber hinausgehen müssen. Vor allem wird es wohl nicht gehen, den Sozialbereich völlig auszusparen. Selbst wenn man das tut, stellt sich aber die Frage, ob das ausreicht. Möglicherweise werden Steuererhöhungen hinzukommen.

    Engels: Welche Steuern sollten dann am besten erhöht werden?

    Fuest: Aus meiner Sicht sollte die Umsatzsteuer zuerst erhöht werden. Die hat zwei Vorteile. Erstens ist sie nicht so wachstumsschädlich wie andere Steuern und zweitens ist die ganze Bevölkerung daran beteiligt, also beispielsweise auch die Rentner, die ja … Wenn die Krise zum Beispiel durch höhere Einkommenssteuern am Ende finanziert würde, dann wären ja die Rentner etwa nicht dabei. Ich denke, die ganze Bevölkerung muss hier einbezogen werden, und auch deshalb ist die Umsatzsteuer das richtige Instrument.

    Engels: Schauen wir noch kurz auf den Zeitplan. Bundesfinanzminister Schäuble hat sich mit den EU-Finanzministern abgestimmt und sagt, ab 2011 soll wieder gespart werden. 2013 schließlich soll die Neuverschuldung wieder unter die drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken, wie es der Maastrichter Vertrag vorschreibt. Kann das klappen?

    Fuest: Das kann klappen, setzt aber aus meiner Sicht voraus, dass man nicht im Jahr 2011 massiv die Einkommenssteuer senkt. So ist ja derzeit noch der Plan. Wenn man die Einkommenssteuersenkung noch mal überdenkt und bei den Ausgaben sich am Riemen reißt, dann könnte das schon klappen.

    Engels: Das heißt, die Pläne der FDP nach Steuersenkungen - aus diesem Lager kommt ja vor allen Dingen diese Forderung - passen überhaupt nicht zu diesem Versprechen, das Schäuble abgegeben hat?

    Fuest: Ich fürchte nein. Keiner zahlt gerne Steuern, aber wenn man Steuern senken will, dann muss man zunächst mal die Ausgaben zurückführen und die Defizite abbauen, und wenn man das geschafft hat, dann kann man mit dem angenehmen Teil kommen, nämlich den Steuersenkungen.

    Engels: Die Koalition, vor allen Dingen die FDP, rechtfertigt die geplanten Steuerentlastungen ja mit dem Argument, Wachstum zu schaffen, und das würde im nächsten Schritt wiederum zu höheren Steuern führen. Ist das Blödsinn?

    Fuest: Nein, Blödsinn ist das nicht. Nur reicht das Wachstum nicht aus, um die Steueraufkommensausfälle dann zu finanzieren. Dabei kommt es dann allerdings auch noch darauf an, welche Steuern man nimmt.

    Wenn man die Einkommenssteuer bereits senkt oder sogar Kindergeld erhöht, dann hat das eher geringe Wachstumseffekte. Bei der Unternehmensbesteuerung haben wir etwas größere Wachstumseffekte. Aber wie immer man das dreht und wendet, am Ende wird es nicht so sein, dass man, wenn man Steuern senkt, man dann am Ende mehr Aufkommen hat. Das allein bringt es nicht, sondern da muss mehr hinzukommen. Leider ist es nicht so, dass Steuersenkungen vollkommen selbstfinanzierend sind.

    Engels: Kann denn die Konjunkturentwicklung hier etwas helfen? Die EU-Kommission und auch andere Gruppen, die sich damit befassen, waren zuletzt etwas optimistischer, dass es einen etwas kräftigeren Aufschwung geben könnte. Auch das wird dann trotzdem nicht reichen, dass sich alleine diese Ausgaben durch zusätzliches Wachstum wieder refinanzieren?

    Fuest: Die bisherige Planung geht eigentlich schon davon aus, dass es ab dem Jahr 2010 wieder zu Wachstum kommt, und selbst wenn das so ist, wird es nicht reichen. Das ist deshalb so, weil wir ja zunächst mal auf einem niedrigeren Niveau sind. Etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also dessen, was in einem Jahr überhaupt produziert wird an Einkommen, das ist ja zunächst mal weg. Und selbst wenn die Wirtschaft jetzt wieder so wächst wie in den Vorjahren, wächst sie ja von dem niedrigeren Niveau.

    Das heißt, wir haben einfach einen Rückgang des Wohlstandsniveaus zu verkraften und daran ändern dann auch höhere Wachstumsraten nichts. Das heißt, auch dieses Wachstum wird nicht ausreichen. Es wird nur bedeuten, dass eine größere Katastrophe verhindert wird, und es ist ja auch noch gar nicht sicher, ob das wirklich anhält. Jetzt sind die höheren Wachstumsraten wahrscheinlich unter anderem ein Effekt der weltweiten Konjunkturprogramme, aber die laufen in den nächsten Monaten aus und dann muss man sehen, wie es weitergeht.

    Engels: Ein Wirtschaftsbeschleunigungsgesetz wird gerade von der Bundesregierung beraten. Es sieht vor, dass das Kindergeld erhöht wird, dass für einige Gruppen die Steuern gesenkt werden, dass Erben bei Erbschaftssteuer entlastet werden. Wie ordnen Sie diesen Entwurf in dem gesamten wirtschaftlichen Kontext ein?

    Fuest: Im Wachstumsbeschleunigungsgesetz gibt es positive und eher fragwürdige Elemente. Die Kindergeldsenkung [gemeint: Kindergelderhöhung; Anmerkung der Redaktion nach Rücksprache] ist sicherlich sehr problematisch. Ich halte das für fiskalisch unverantwortlich. Und Wachstum erreicht man nicht durch Kindergeldsenkung [gemeint: Kindergelderhöhung; Anmerkung der Redaktion nach Rücksprache].

    Es ist schön, wenn man das Kindergeld senken [gemeint: erhöhen; Anmerkung der Redaktion nach Rücksprache] kann, das ist sympathisch, aber zu mehr Wachstum führt das überhaupt nicht und dafür ist ja das meiste Geld ausgegeben worden.

    Positiv ist immerhin, dass in der Unternehmensbesteuerung einige Elemente beseitigt worden sind, die krisenverschärfend sind, zum Beispiel, dass man Verluste nicht mit Gewinnen verrechnen kann oder nur sehr eingeschränkt, oder dass man, wenn man ein hoch verschuldetes Unternehmen hat, eventuell Zinsabzüge … Zinsen sind ja Kosten, die kann man nur eingeschränkt von der Steuer absetzen. Also da hat man in ein paar Punkten sicher das Richtige gemacht, aber der fiskalisch wichtigste Teil, die Kindergelderhöhung, ist aus meiner Sicht verfehlt.

    Engels: Wann, denken Sie, wird die FDP in diese notwendigen Argumente Einsicht finden?

    Fuest: Ich hoffe, dass die FDP sich mit den Koalitionspartnern nüchtern die Lage anschaut. Sie wird am Ende an Steuersenkungen festhalten wollen, weil man das ja in der Wahl versprochen hat, aber ich hoffe, dass man die begrenzt und sich bei Steuersenkungen noch einmal genau überlegt, mit welchen Senkungen kann man wirklich Wachstum erzeugen und welche Steuersenkungen sind letztlich Entlastungen, die zwar den Steuerzahlerinnen und Zahlern willkommen sind, die aber auf Dauer nicht aufrecht zu halten sind. Ich hoffe, dass man darüber noch mal nachdenken wird.

    Engels: Clemens Fuest, er ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Vielen Dank für das Gespräch.

    Fuest: Ich danke Ihnen.