Philipp Krohn: Seit Jahren wächst die Zahl der Kinder in Deutschland, die in Armut aufwachsen. Wurde das Problem von der Politik zunächst ignoriert, haben es inzwischen alle Parteien registriert und auch Pläne entwickelt, wie es zu beheben ist. Bei der Kabinettsklausur in der kommenden Woche soll ein ganzes Maßnahmenpaket beraten werden. Es sieht unter anderem eine Reform des Kinderzuschlags vor und niedrigere Mehrwertsteuersätze für Kinderprodukte.
Darüber wollen wir jetzt mit Christa Stewens sprechen, der bayrischen Familien- und Sozialministerin von der CSU. Guten Morgen, Frau Stewens!
Christa Stewens: Guten Morgen, Herr Krohn.
Krohn: Müssen mehr Familien Zugang zum Kinderzuschlag bekommen?
Stewens: Also grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass man den Kinderzuschlag umgestalten muss, dass man das schon längst hätte tun müssen - das steht nämlich im Koalitionsvertrag, dass er überarbeitet werden muss -, und dass wir sehen müssen, dass gerade Familien mit mehreren Kindern, also über zwei Kinder, und Alleinerziehende wesentlich stärker noch in Hartz IV abrutschen, als das jetzt der normale Arbeitslose, derjenige, der Hartz IV empfängt, tut. Das heißt, diese Menschen haben größere Schwierigkeiten, wieder in Arbeit zu kommen, und diese Menschen haben insgesamt wesentlich weniger Geld zur Verfügung.
Krohn: Warum profitieren bislang so wenige Familien vom Kinderzuschlag?
Stewens: Ich denke wohl, dass auch da eine gewisse verschämte Armut da ist, dass man sich scheut, zum Sozialamt zu gehen oder zu den Agenturen, Arbeitsgemeinschaften zu gehen, den Kinderzuschlag zu beantragen. Sie müssen ja den Kinderzuschlag selbst beantragen, und vor diesem Hintergrund ist das ja ein Zuschlag für Geringverdiener, um nicht in Hartz IV zu fallen dadurch, dass sie Kinder haben, dass sich also die Köpfe der Bedarfsgemeinschaft durch die Kinder erweitert. Das ist eigentlich das Problem. Im Endeffekt ist ja bei dem Kinderzuschlag auch so ein Stück weit so ein Rechentrick dabei. Man wollte, dass diejenigen Familien, die dadurch, dass sie Kinder haben und ein niedriges Einkommen haben, sozusagen dann Hartz-IV-Empfänger werden, dass man durch diesen Kinderzuschlag sie aus dem Hartz-IV-Empfang herausnimmt. Das heißt, viele Familien bekommen über den Kinderzuschlag gar nicht wesentlich mehr Geld, das muss man auch sehen.
Krohn: Zudem ist die Beantragung des Zuschlages nicht besonders einfach. Wie soll das vereinfacht werden?
Stewens: Also da ist wie immer eine hohe Bürokratie dabei, im Endeffekt müsste es eigentlich langen, dass man zu den Arbeitsgemeinschaften, Agenturen geht und den Zuschlag beantragt und einen Gehaltszettel vorlegt. Und das, denke ich, kann man wesentlich vereinfachen. Was für mich hier beim Kinderzuschlag noch ganz wichtig ist, dass hier auch ein Stück weit im Bereich der Erwerbstätigkeit die Wirtschaft mit in der Pflicht ist. Die Wirtschaft muss, gerade vor dem Hintergrund Fachkräftemangel, Frauen wesentlich stärker, wenn sie Kinder bekommen, in der Elternzeit weiterbilden, fortbilden, an den Betrieb binden, und die Wirtschaft muss diesen Frauen dann auch die Chance geben zu einem möglichst raschen Einstieg. Es ist aber auch eine weitere Verpflichtung für die Gesellschaft, für den Staat vorhanden, indem wir verstärkt Krippenplätze ausbauen, dass natürlich dann auch junge Mütter, junge Väter, möglichst rasch nach der Geburt eines Kindes auch wieder in die Erwerbstätigkeit einsteigen können. Bildung, Bildung, Bildung. Bildung ist eigentlich der beste Weg aus der Armut.
Krohn: Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Das belegen etwa Statistiken des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sind Maßnahmen wie ein verminderter Mehrwertsteuersatz auch angesichts dessen, was Sie über Bildung gesagt haben, für Kinderprodukte, Mehrwertsteuersatz für Kinderprodukte, da kein Tropfen auf den heißen Stein?
Stewens: Das ist ein Stück weit ein Tropfen auf den heißen Stein, da würde ich Ihnen durchaus Recht geben. Aber es zumindest mal ein Anfang. In Großbritannien haben alle Kinderprodukte, auch übrigens die Kinderkleidung, den geringeren Mehrwertsteuersatz. Und deswegen bin ich auch hier der Ansicht, wenn Familie Vorfahrt haben soll und Kinder Vorfahrt in unserem Land wieder haben sollen, bräuchten wir auch einen geringeren Mehrwertsteuersatz auf alle Kinderprodukte. Es ist nicht einzusehen, dass ich bei Hundenahrung den verringerten Mehrwertsteuersatz habe und bei Kinderprodukten den höheren Mehrwertsteuersatz. Wobei ich jetzt nichts gegen Hunde und Hundebesitzer sagen möchte.
Krohn: Auf der untersten Stufe der Einkommensskala stehen die Hartz-IV-Empfänger. Sie profitieren, Sie haben es schon angesprochen, nicht vom Kinderzuschlag. Reicht das Sozialgeld, das sie erhalten, aus?
Stewens: Da sprechen Sie ein ganz schwieriges Problem an. Wir haben nämlich in den unteren Einkommensgruppen, auch übrigens im öffentlichen Dienst, haben die Menschen, wenn sie zum Beispiel zwei, drei Kinder haben, weniger Geld zur Verfügung als Hartz-IV-Empfänger, und sie bekommen natürlich auch keine Ermäßigung. Hartz-IV-Empfänger muss kein Elternbeitrag im Kindergarten, Kinderhort, Kinderkrippe zahlen usw., bekommt durchaus Ermäßigungen, wir kennen das, Studiengebühren oder auch in Bayern beim Büchergeld. Vor diesem Hintergrund müssen wir natürlich sehr genau aufpassen, dass insgesamt Familien mit Kindern vom Staat wieder durchaus etwas stärker bevorzugt werden, bezuschusst werden. Ich denke da auch durchaus an eine Erhöhung des Kindergeldes, was meiner Ansicht nach schon längst überfällig wäre.
Krohn: Frau Stewens, die skandinavischen Länder bekämpfen die Armut erfolgreich mit weniger Sozialtransfers und höheren Bildungsinvestitionen. Wird Deutschland mit der derzeitigen Sozialpolitik etwa zu Finnland und Schweden aufschließen können?
Stewens: Nach meiner Überzeugung im Moment nicht. Wir brauchen hier einen Wechsel. Wir müssen verstärkt, wobei das Deutschland ja durchaus auf den Weg bringt, verstärkt in die Kinderbetreuung investieren, die Qualitäten der Kinderbetreuung durchaus verbessern. Da ist meiner Ansicht nach auch noch einiges zu machen. Wir brauchen Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung. Also in all diesen Bereichen, in den bildungsfernen Schichten, da müssen wir schauen, dass wir den Kindern verstärkt den Zugang in die Bildung - ob das in der Kinderbetreuung, in einer Ganztagsschule ist - gewährleisten. Nur dann können wir diese Armutsspirale, die sich zurzeit in den bildungsfernen Schichten dreht, für die Kinder letztendlich wirksam bekämpfen. Dazu gehört Staat, dazu gehört übrigens auch die Gesellschaft, und dazu muss natürlich auch die Wirtschaft ihren Teil dazu beitragen.
Krohn: Frau Stewens, können Sie ein Gesamtkonzept der Bundesregierung erkennen?
Stewens: Also im Moment leider Gottes nicht. Ich denke, Frau von der Leyen hat durchaus sehr gute Ansätze, indem sie auf der einen Seite zum Beispiel durchaus konzeptionell daran arbeitet, dass mehr Eltern den Kinderzuschlag bekommen, um Familien mit Kindern und Alleinerziehende aus Hartz IV herauszuholen. Sie hat das Konzept, Kinderbetreuung gerade bei den unter Dreijährigen verstärkt auszubauen und jetzt auch noch die Mehrwertsteuer für Kinderprodukte zu ermäßigen. Ich denke, das ist schon ein Konzept, da steckt ein Konzept dahinter. Aber Konzepte nützen uns nichts. Es muss möglichst rasch umgesetzt werden, und man sollte nicht so lange streiten.
Krohn: Christa Stewens war das von der CSU. Sie ist die bayrische Familien- und Sozialministerin. Vielen Dank für das Gespräch.
Stewens: Danke schön.
Darüber wollen wir jetzt mit Christa Stewens sprechen, der bayrischen Familien- und Sozialministerin von der CSU. Guten Morgen, Frau Stewens!
Christa Stewens: Guten Morgen, Herr Krohn.
Krohn: Müssen mehr Familien Zugang zum Kinderzuschlag bekommen?
Stewens: Also grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass man den Kinderzuschlag umgestalten muss, dass man das schon längst hätte tun müssen - das steht nämlich im Koalitionsvertrag, dass er überarbeitet werden muss -, und dass wir sehen müssen, dass gerade Familien mit mehreren Kindern, also über zwei Kinder, und Alleinerziehende wesentlich stärker noch in Hartz IV abrutschen, als das jetzt der normale Arbeitslose, derjenige, der Hartz IV empfängt, tut. Das heißt, diese Menschen haben größere Schwierigkeiten, wieder in Arbeit zu kommen, und diese Menschen haben insgesamt wesentlich weniger Geld zur Verfügung.
Krohn: Warum profitieren bislang so wenige Familien vom Kinderzuschlag?
Stewens: Ich denke wohl, dass auch da eine gewisse verschämte Armut da ist, dass man sich scheut, zum Sozialamt zu gehen oder zu den Agenturen, Arbeitsgemeinschaften zu gehen, den Kinderzuschlag zu beantragen. Sie müssen ja den Kinderzuschlag selbst beantragen, und vor diesem Hintergrund ist das ja ein Zuschlag für Geringverdiener, um nicht in Hartz IV zu fallen dadurch, dass sie Kinder haben, dass sich also die Köpfe der Bedarfsgemeinschaft durch die Kinder erweitert. Das ist eigentlich das Problem. Im Endeffekt ist ja bei dem Kinderzuschlag auch so ein Stück weit so ein Rechentrick dabei. Man wollte, dass diejenigen Familien, die dadurch, dass sie Kinder haben und ein niedriges Einkommen haben, sozusagen dann Hartz-IV-Empfänger werden, dass man durch diesen Kinderzuschlag sie aus dem Hartz-IV-Empfang herausnimmt. Das heißt, viele Familien bekommen über den Kinderzuschlag gar nicht wesentlich mehr Geld, das muss man auch sehen.
Krohn: Zudem ist die Beantragung des Zuschlages nicht besonders einfach. Wie soll das vereinfacht werden?
Stewens: Also da ist wie immer eine hohe Bürokratie dabei, im Endeffekt müsste es eigentlich langen, dass man zu den Arbeitsgemeinschaften, Agenturen geht und den Zuschlag beantragt und einen Gehaltszettel vorlegt. Und das, denke ich, kann man wesentlich vereinfachen. Was für mich hier beim Kinderzuschlag noch ganz wichtig ist, dass hier auch ein Stück weit im Bereich der Erwerbstätigkeit die Wirtschaft mit in der Pflicht ist. Die Wirtschaft muss, gerade vor dem Hintergrund Fachkräftemangel, Frauen wesentlich stärker, wenn sie Kinder bekommen, in der Elternzeit weiterbilden, fortbilden, an den Betrieb binden, und die Wirtschaft muss diesen Frauen dann auch die Chance geben zu einem möglichst raschen Einstieg. Es ist aber auch eine weitere Verpflichtung für die Gesellschaft, für den Staat vorhanden, indem wir verstärkt Krippenplätze ausbauen, dass natürlich dann auch junge Mütter, junge Väter, möglichst rasch nach der Geburt eines Kindes auch wieder in die Erwerbstätigkeit einsteigen können. Bildung, Bildung, Bildung. Bildung ist eigentlich der beste Weg aus der Armut.
Krohn: Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Das belegen etwa Statistiken des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sind Maßnahmen wie ein verminderter Mehrwertsteuersatz auch angesichts dessen, was Sie über Bildung gesagt haben, für Kinderprodukte, Mehrwertsteuersatz für Kinderprodukte, da kein Tropfen auf den heißen Stein?
Stewens: Das ist ein Stück weit ein Tropfen auf den heißen Stein, da würde ich Ihnen durchaus Recht geben. Aber es zumindest mal ein Anfang. In Großbritannien haben alle Kinderprodukte, auch übrigens die Kinderkleidung, den geringeren Mehrwertsteuersatz. Und deswegen bin ich auch hier der Ansicht, wenn Familie Vorfahrt haben soll und Kinder Vorfahrt in unserem Land wieder haben sollen, bräuchten wir auch einen geringeren Mehrwertsteuersatz auf alle Kinderprodukte. Es ist nicht einzusehen, dass ich bei Hundenahrung den verringerten Mehrwertsteuersatz habe und bei Kinderprodukten den höheren Mehrwertsteuersatz. Wobei ich jetzt nichts gegen Hunde und Hundebesitzer sagen möchte.
Krohn: Auf der untersten Stufe der Einkommensskala stehen die Hartz-IV-Empfänger. Sie profitieren, Sie haben es schon angesprochen, nicht vom Kinderzuschlag. Reicht das Sozialgeld, das sie erhalten, aus?
Stewens: Da sprechen Sie ein ganz schwieriges Problem an. Wir haben nämlich in den unteren Einkommensgruppen, auch übrigens im öffentlichen Dienst, haben die Menschen, wenn sie zum Beispiel zwei, drei Kinder haben, weniger Geld zur Verfügung als Hartz-IV-Empfänger, und sie bekommen natürlich auch keine Ermäßigung. Hartz-IV-Empfänger muss kein Elternbeitrag im Kindergarten, Kinderhort, Kinderkrippe zahlen usw., bekommt durchaus Ermäßigungen, wir kennen das, Studiengebühren oder auch in Bayern beim Büchergeld. Vor diesem Hintergrund müssen wir natürlich sehr genau aufpassen, dass insgesamt Familien mit Kindern vom Staat wieder durchaus etwas stärker bevorzugt werden, bezuschusst werden. Ich denke da auch durchaus an eine Erhöhung des Kindergeldes, was meiner Ansicht nach schon längst überfällig wäre.
Krohn: Frau Stewens, die skandinavischen Länder bekämpfen die Armut erfolgreich mit weniger Sozialtransfers und höheren Bildungsinvestitionen. Wird Deutschland mit der derzeitigen Sozialpolitik etwa zu Finnland und Schweden aufschließen können?
Stewens: Nach meiner Überzeugung im Moment nicht. Wir brauchen hier einen Wechsel. Wir müssen verstärkt, wobei das Deutschland ja durchaus auf den Weg bringt, verstärkt in die Kinderbetreuung investieren, die Qualitäten der Kinderbetreuung durchaus verbessern. Da ist meiner Ansicht nach auch noch einiges zu machen. Wir brauchen Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung. Also in all diesen Bereichen, in den bildungsfernen Schichten, da müssen wir schauen, dass wir den Kindern verstärkt den Zugang in die Bildung - ob das in der Kinderbetreuung, in einer Ganztagsschule ist - gewährleisten. Nur dann können wir diese Armutsspirale, die sich zurzeit in den bildungsfernen Schichten dreht, für die Kinder letztendlich wirksam bekämpfen. Dazu gehört Staat, dazu gehört übrigens auch die Gesellschaft, und dazu muss natürlich auch die Wirtschaft ihren Teil dazu beitragen.
Krohn: Frau Stewens, können Sie ein Gesamtkonzept der Bundesregierung erkennen?
Stewens: Also im Moment leider Gottes nicht. Ich denke, Frau von der Leyen hat durchaus sehr gute Ansätze, indem sie auf der einen Seite zum Beispiel durchaus konzeptionell daran arbeitet, dass mehr Eltern den Kinderzuschlag bekommen, um Familien mit Kindern und Alleinerziehende aus Hartz IV herauszuholen. Sie hat das Konzept, Kinderbetreuung gerade bei den unter Dreijährigen verstärkt auszubauen und jetzt auch noch die Mehrwertsteuer für Kinderprodukte zu ermäßigen. Ich denke, das ist schon ein Konzept, da steckt ein Konzept dahinter. Aber Konzepte nützen uns nichts. Es muss möglichst rasch umgesetzt werden, und man sollte nicht so lange streiten.
Krohn: Christa Stewens war das von der CSU. Sie ist die bayrische Familien- und Sozialministerin. Vielen Dank für das Gespräch.
Stewens: Danke schön.