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Stewens für neue Regeln bei Organspende

Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens hat sich für eine verpflichtende Erklärung zur Organspende ausgesprochen. Diese könnte mit der geplanten elektronischen Gesundheitskarte verbunden werden, sagte die CSU-Politikerin. Auf diese Weise könne jeder Bürger entscheiden, ob er einer Organentnahme zustimme, ob er sie ablehne oder keine Entscheidung darüber treffen wolle.

Moderation: Jochen Spengler | 04.06.2007
    Jochen Spengler: Es gab doch keine Niere zu verschenke. Das, was viele letzte Woche so erregt hat, war Gott lob nur ein Spiel. Die Spender-Show im niederländischen Fernsehen war nicht echt, sondern fingiert, inszeniert, ein Bluff. Der Sender wollte einfach aufmerksam machen darauf, dass viele Menschen oft vergeblich jahrelang auf ein Spenderorgan warten. Dabei ist die Bereitschaft zur Organspende in den Niederlanden doppelt so hoch wie bei uns. In Deutschland kommen nur 15 Spender auf 1 Million Einwohner. In Spanien zum Beispiel sind es 34. 12.000 Menschen warten in Deutschland auf eine Niere, eine Leber oder ein Herz. Täglich sterben drei von ihnen, weil es zu wenig Spender gibt.

    Deswegen hat der Ethikrat vorgeschlagen, das geltende Transplantationsgesetz zu ändern weg von der Zustimmungslösung hin zur Widerspruchslösung. Das heißt, künftig sollen einem Hirntoten dann Organe entnommen werden können, wenn der nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Demgegenüber bekräftigte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor wenigen Tagen in dieser Sendung, dass es dabei bleiben soll: Nur dem, der zu Lebzeiten Spendenbereitschaft signalisiert hat, dem kann ein Organ entnommen werden.

    "Ich glaube, dass unser Gesetz und unsere Regelung der erweiterten Zustimmungslösung schon sehr weit gefasst ist und dass sie auch besser bewertet, dass der Mensch selbst entscheiden muss, dass er selber ja sagen muss. Wenn sie nur nein sagen müssen, dann werden viele, die sich nicht mit dem Tabuthema Tod befassen wollen, vielleicht zur Organspende herangezogen, obwohl sie es gar nicht wirklich wollen."

    So weit also Ulla Schmidt, die für die Beibehaltung der Zustimmungslösung plädiert und auf mehr Werbung für die freiwillige Organspende setzt. (Text / MP3-Audio )

    Am Telefon ist nun Christa Stewens (CSU), bayerische Staatsministerin für Arbeit, Soziales, Familien und Frauen. Einen schönen guten Morgen, Frau Stewens!

    Christa Stewens: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Wir vernehmen neue Töne aus Bayern. Wer kein Organ spenden will, der soll ausdrücklich widersprechen, sagen Sie. Warum sind Sie auf die Linie des Ethikrates eingeschwenkt?

    Stewens: Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass die Vorschläge des Ethikrates zu wenig differenziert gesehen werden, denn der nationale Ethikrat sagt ja, in erster Linie ist die Politik verpflichtet zu erreichen, dass sich jeder Bürger damit auseinandersetzen soll, bin ich spendenbereit oder nicht? Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, dass wir bei der elektronischen Gesundheitskarte eine Möglichkeit vorsehen, und zwar im Pflichtteil, nicht, wie es bislang vorgesehen, ist in dem freiwilligen Teil, also im Pflichtteil, dass sich jeder sozusagen dann auch ein Stück weit entscheiden muss, bin ich bereit zu einer Organspende, bin ich nicht bereit zu einer Organspende, oder weiß ich das noch gar nicht? Das heißt, diese drei Möglichkeiten sollten vorgesehen werden bei der elektronischen Gesundheitskarte, im Pflichtteil der elektronischen Gesundheitskarte. Da, denke ich, könnten wir zumindest mal die erste Verpflichtung oder Aufgabe des nationalen Ethikrates an die Politik erfüllen, indem man nämlich als erstes moniert, dass Politik ihrer Aufgabe nicht gerecht wird, dass sich jeder Bürger mit Organspendebereitschaft ja oder nein, oder ich möchte mich gar nicht damit auseinandersetzen, dass Politik dieser Aufgabe eben nicht gerecht wird.

    Spengler: Wann wird es denn diese elektronische Gesundheitskarte geben? Die sollte ja schon längst eingeführt sein.

    Stewens: Das ist richtig, aber ich denke schon, dass wir in zwei bis drei Jahren so weit sind, dass wir die elektronische Gesundheitskarte einführen können.

    Spengler: Betrifft das dann auch Privatpatienten oder nur gesetzlich Krankenversicherte?

    Stewens: Grundsätzlich denke ich schon, dass auch die privaten Krankenversicherungen von der elektronischen Gesundheitskarte Gebrauch machen werden. Ich denke, sie wird ein Renner werden wie die EC-Karte bei den Banken, so dass über kurz oder lang jeder Versicherte eine elektronische Gesundheitskarte haben wird.

    Spengler: Welche Rolle spielen denn die Angehörigen bei Ihrem Vorschlag, wenn man das mal durchdekliniert? Da ist man also im Krankenhaus, liegt da vielleicht als Hirntoter, und dann hat man die Gesundheitskarte dabei.

    Stewens: Wenn zum Beispiel der Betreffende gesagt hat, ich weiß es nicht, möchte mich mit dieser Frage nicht auseinandersetzen, also die dritte Spalte angekreuzt hat, dann kommen die Angehörigen ins Spiel. Dann werden natürlich die Angehörigen gefragt, ob sie damit einverstanden sind oder nicht. Da denke ich schon, dass die Transplantationsbeauftragten, die wir zum Beispiel in Bayern haben an den Kliniken mit Intensivstationen, dass sie hier eine ganz sensible Rolle wahrzunehmen haben.

    Spengler: Der Marburger Bund sagt, mit so einer Lösung schaffen sie eigentlich die Freiwilligkeit, die Selbstbestimmung ab, weil sie die Menschen dazu zwingen, Farbe zu bekennen.

    Stewens: Ich denke nicht, dass wir mit so einer Lösung die Freiwilligkeit abschaffen, sondern wir veranlassen jeden einzelnen Bürger darüber nachzudenken. Wir haben ja in der deutschen Bevölkerung eine hohe Bereitschaft - sie liegt bei zirka 70 Prozent - zu einer Organspende. Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass relativ wenig Bürger, 15 Prozent, einen Organspendeausweis bei sich tragen. Vor diesem Hintergrund denke ich schon, dass es wichtig ist, nachdem ja täglich drei Menschen auf der Warteliste des Todes sterben, dass wir den Menschen sagen, der Bevölkerung in der Bundesrepublik, denkt doch mal darüber nach. Wenn ihr denn bereit seid, ein Organ zu spenden, entscheidet euch, ja, nein, oder, ich denke schon, man sollte die dritte Möglichkeit auch anbieten, ich möchte mich damit nicht auseinandersetzen, also ich weiß es noch nicht.

    Spengler: Aber warum reicht die Werbung bislang nicht? Das wäre doch eigentlich der bessere Weg als Abschaffung der Freiwilligkeit.

    Stewens: Wir haben ja durch die Installierung der Transplantationsbeauftragten in Bayern seit dem Transplantationsgesetz '99 die Spendebereitschaft um zirka 30 Prozent steigern können. Sie merken also schon, Werbung tut das ihre. Auf der anderen Seite sehen wir trotzdem, dass es nicht ausreichend ist, dass die Spendebereitschaft in europäischen Nachbarländern wesentlich größer ist. Wenn Sie jetzt nach Österreich blicken, dann sehen wir natürlich gerade in Bayern, dass sich viele Deutsche in Österreich den zweiten Wohnsitz anmelden, um dort auf eine Warteliste für ein Spenderorgan zu kommen. Ich denke schon, dass Deutschland da selbst auch in der Verantwortung steht für Menschen, die auf ein Organ warten.

    Spengler: Wenn ich in unseren Landen bleiben darf. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es bereits 30 Spender auf 1 Million Menschen. Das ist an der oberen Spitze in Europa. Was machen die besser als der Rest der Republik?

    Stewens: Wahrscheinlich werden sie mehr Werbung machen, und sie haben ebenfalls Transplantationsbeauftragte wie wir auch in Bayern. Vor diesem Hintergrund kann man natürlich damit durchaus die Spendebereitschaft erhöhen.

    Spengler: Jetzt sagt der Unionsfraktionschef Volker Kauder, der Mensch dürfte auch über seinen Tod hinaus nicht zum Objekt gemacht werden. Er widerspricht Ihnen in gewisser Weise. Er ist gegen die Regelung, die Sie vorschlagen.

    Stewens: Vom Grundsatz her sehe ich da keinen Widerspruch, denn ich will ja nur, dass sich die Menschen intensiver damit auseinandersetzen. Wenn sie denn auf der anderen Seite sagen, wir sind ja eigentlich grundsätzlich bereit, aber wie bekomme ich denn einen Organspendeausweis, dieses aktive Handeln bei einer grundsätzlichen Bereitschaft, einer hohen Zustimmung zu einer Organspendebereitschaft denke ich schon, dass man dieses nutzen sollte und die Leute dazu anregen muss, sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Das heißt sie haben ja immer noch die Möglichkeit zu sagen, ich möchte mich gar nicht damit auseinandersetzen, ich fülle die dritte Spalte in der elektronischen Gesundheitskarte aus und sage, ich weiß nicht.

    Spengler: Aber Sie zwingen sie zu einem Bekenntnis, Frau Stewens?

    Stewens: Ich denke nicht, dass ich sie zwinge, weil ich ihnen ja die dritte Möglichkeit noch eröffne, indem ich ihnen gleichzeitig sage, ihr müsst euch damit nicht auseinandersetzen, und die Möglichkeit schaffe.

    Spengler: Was ist denn mit Menschen, die keine Verwandten haben, die aber angekreuzt haben weiß nicht, bin unschlüssig? Ist da nicht die Gefahr groß, dass der Mensch einfach als eine Art Ersatzteillager missbraucht wird?

    Stewens: Nein! In dem Moment, wo der Mensch angekreuzt hat ich weiß nicht, dann steht er für eine Organspende natürlich nicht zur Verfügung.

    Spengler: Danke schön. Das war Bayerns Sozialministerin Christa Stewens. Frau Stewens, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Stewens: Danke schön.