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Stewens: In Familien und Kinder investieren

Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) hat sich für einen Umbau der sozialen Sicherungssysteme, Senkung der Steuersätze und Erhöhung der Freibeträge zur Entlastung der Familien ausgesprochen. Hinsichtlich jeglicher Gesetzgebungen solle es einen "Familien-Tüv" geben, der Erlasse auf Familientauglichkeit prüfe. Es sei keine Option, das demografische Problem in Deutschland über Zuwanderung zu lösen.

Von Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Der fünfte und vorläufig letzte Familienbericht macht ebenso wie ein halbes Dutzend Urteile des Bundesverfassungsgerichts seit den 90er Jahren darauf aufmerksam, dass den Familien Unrecht geschieht, denn ihre Leistungen werden nicht anerkannt. Auf eine kurze Formel gebracht heißt das, die Ergebnisse der Erziehungen von Kindern werden von der Gesellschaft wie selbstverständlich entgegengenommen, sie werden vergesellschaftet, indem die Gesellschaften das von den Eltern in den Kindern gebildete Humanvermögen braucht und verbraucht. Die Kosten der Erziehung aber bleiben privat. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von einem generativen Beitrag. Mit der Erziehung leisteten die Eltern diesen Beitrag zur Bestandserhaltung der Sozialsysteme und das müsse ausgeglichen werden durch geringere finanzielle Beiträge bei Renten und Pflege. Das geschieht nicht und das ist einer der Gründe weshalb junge Paare keine oder weniger Kinder bekommen. Nun erleben die Familien eine Mehrwertssteuerdiskussion und eine Debatte über die Eigenheimförderung, die offenbar zu Ungunsten der Familien verläuft. Spielt die Familie bei der Union keine Rolle mehr? Zu dieser Frage begrüße ich die bayerische Sozial- und Familienministerin Christa Stewens. Guten Morgen.

    Christa Stewens: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Frau Stewens, es ist auffallend, dass die CDU in den letzten Jahren ihre familienpolitischen Forderungen fast auf Null heruntergefahren hat, weil man angeblich nichts finanzieren könne. Nun sind Kinder nicht nur Quelle des Glücks sondern auch Quelle von künftigen Beiträgen für die Sozialsysteme. Lässt man hier nicht die Kuh verdursten, die man doch ständig melken möchte? Wie sieht das bei der CSU aus?

    Stewens: Die CSU beschäftigt sich natürlich intensiv mit den Problemen unserer Gesellschaft und wir sind der Überzeugung, dass ein Land ohne Kinder ein Land ist, in dem die Menschen auch nicht mehr an ihre eigene Zukunft glauben. Und dass die Kinderlosigkeit, und das ist meine feste Überzeugung, genauso katastrophal ist wie die hohe Arbeitslosigkeit, die wir in Deutschland haben.

    Vor diesem Hintergrund haben wir uns gerade mit dem Umbau der sozialen Sicherungssysteme intensiv beschäftigt, insbesondere natürlich der Renten- und Pflegeversicherung, um hier auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das sie gerade zitiert haben, von 2001 umzusetzen. Denn hier sagt ja das Bundesverfassungsgericht, dass die Eltern auf der Beitragsseite, und zwar pro Kind, entlastet werden müssen, denn sie investieren ja in ihre Kinder und bringen daher diesen generativen Beitrag für die sozialen Sicherungssysteme. Die gibt dem Gesetzgeber ja gleichzeitig noch auf, nicht nur dieses bei der Pflegeversicherung zu beachten, sondern alle sozialen Sicherungssysteme daraufhin abzuklopfen. Deswegen sind wir der festen Überzeugung, dass wir hier unsere Sozialversicherungen, also insbesondere die Pflege und Rente auf drei Generationen ausrichten müssen und einen Kinderbonus einführen müssen.

    Ich bin übrigens überhaupt der Überzeugung, dass wir bei all den Gesetzgebungen, die wir vorhaben sozusagen einen Familien-TÜV einführen müssen: Abklopfen daraufhin, ist es familienverträglich, ist es kinderverträglich? Kommt es hier unseren Familien zugute oder schadet es den Familien? Das wäre auch ein Vorschlag von mir. Also sozusagen einen Familien-TÜV einzuführen.

    Liminski: Dieser Familien-TÜV könnte ja jetzt schon sozusagen in Aktion treten, denn es wird heftig diskutiert über die Erhöhung der Mehrwertssteuer. Eine solche Erhöhung würde ja die Familie als konsumstarke Einheit besonders belasten. Würgt das nicht den Binnenkonsum noch mehr ab, abgesehen davon, dass es das Unrecht an den Familien noch weiter verschärft?

    Stewens: Man muss natürlich hier insgesamt sagen, als Erstes muss eine Steuerreform in Angriff genommen werden, um die Steuersätze abzusenken auf 12, 24 und 39 Prozent und es müssen natürlich dann auch wesentlich höhere Steuerfreibeträge eingeführt werden, nämlich pro Kopf 8.000 Euro, sodass dann eine Familie bei einem Jahreseinkommen von 32.000 Euro mit zwei Kindern keine Steuern mehr zahlt. Wichtig für mich ist, dass man den Familien nicht immer erst das Geld wegnimmt und ihnen dann sozusagen als Familienleistungsausgleich wiedergibt, sondern dass man das Geld gleichzeitig bei den Familien belässt.

    Liminski: Gelten denn, Frau Stewens, diese Zahlen, die sie gerade genannt haben, schon als gesetzt? Dieser Freibetrag zum Beispiel.

    Stewens: Dieser Steuerfreibetrag von 8.000 Euro ist in dem Konzept 21 von Merz/Faltlhauser. Auf diesen Steuerfreibetrag hatten sich schon mal CDU und CSU auf einer Präsidiumssitzung geeinigt.

    Liminski: Wie steht es denn mit der Eigenheimzulage? Schon jetzt krebst die Bauwirtschaft mühsam dahin trotz der niedrigen Zinsen. Ohne die Eigenheimzulage, die für viele Familien die einzige Möglichkeit einer privaten Altersvorsorge ist, droht der Bau ganz zum Erliegen zu kommen.

    Stewens: Wir haben vor allen Dingen bei der Eigenheimzulage ein ganz wichtiges Ergebnis. Wir haben nämlich damit auch Familien mit Kindern sehr stark Eigenheime gefördert. Also, in Bayern habe ich mir die Zahlen mal angeschaut. Wir haben in Bayern eine Eigenheimquote von mittlerweile 72 Prozent. Als ich in der Diskussion mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über die Eigenheimszulage stand, da habe ich auf diese Zahl aufmerksam gemacht. Mich verwundert die übrigens auch nicht, denn ich habe gerade bei Familien mit Kindern in Mietwohnungen doch ein ziemliches Mobbing. Familien mit Kindern werden nicht wohl gelitten, man stört sich über Lärm, über Geräusche, die die Kinder machen und vor diesem Hintergrund ist dann oft die Belastung für die Familien so groß, dass sie ausweichen und sagen, wir müssen schlicht und einfach uns selbst eine Wohnung kaufen oder selbst ein kleines Häuschen im Grünen finanzieren. Deswegen meine ich, brauchen wir, wenn man über die Abschaffung der Eigenheimzulage diskutiert mit Sicherheit hier noch einmal eine Kinderkomponente oder eine Familienkomponente. Das würde ich für gerechter halten.

    Liminski: Also, eher eine Modifizierung der Eigenheimzulage als eine Abschaffung?

    Stewens: Eher eine Modifizierung in Richtung Familie. Wie gesagt, da bin ich wieder beim Familien-TÜV. Man muss sich insgesamt bei allen Maßnahmen sehr genau anschauen, wie wirkt das auf die Familien, wie kommt das, wie beeinflusst diese Maßnahme denn tatsächlich die Entscheidung von jungen Menschen für ein Kind, ja oder nein, oder für weitere Kinder, mehrere Kinder. Wir haben ja ein Problem in Deutschland, wir haben gerade bei den Einkinderfamilien eine sehr starke Abnahme und bei den Mehrkinderfamilien. Also es hat heutzutage kaum mehr jemand drei oder mehr Kinder. Hier haben wir ebenfalls eine sehr starke Abnahme. Deswegen müssen wir schauen, dass wir mit der Politik und mit den politischen Maßnahmen gerade die Entscheidungen zu einem Kind, das Ja zum Kind, aber auch die Entscheidungen zu mehreren Kindern wesentlich stärker beeinflussen können.

    Liminski: Zur Demografie gleich eine Frage. Aber vorab noch: Bundesbildungsministerin Bulmahn hat am Wochenende angekündigt, dass Kindergärten demnächst die Kinder nichts mehr kosten sollen. Auch die FDP sieht den kostenlosen Kindergartenbesuch in ihrem Programm vor. Halten Sie da mit?

    Stewens: Da möchte ich eines dazu sagen: Vorsicht, das ist Ländersache und kommunale Sache. Das heißt, finanzieren tun zurzeit die Kommunen und die Länder den Ausbau der Kindergärten, der Kinderbetreuung auch gerade bei den unter Dreijährigen. Da brauchen wir in Deutschland einen größeren Ausbau, mehr Betreuungsplätze. Wenn ich jetzt so in Bayern anschaue, wir haben eine Bedarfdeckung im Bereich der Drei- bis Sechsjährigen von 99,4 Prozent durch alle drei Jahrgänge hindurch. Wir haben in Bayern relativ niedrige Elternbeiträge, also die niedrigsten in ganz Deutschland im Schnitt mit 70 Euro im Monat. Da meine ich sollten wir etwas vorsichtiger sein, denn es geht dann natürlich auch zu Lasten der Kommunen. Aber wir sollten natürlich mit der staatlichen, mit der Förderung der Länder durchaus die Förderung so hoch setzen, dass Eltern nicht zu stark belastet werden, zumal die Kommunen, das möchte ich auch dazu sagen, wenn man sich dann vor Ort anschaut, wie schauen denn die Elternbeiträge aus, wir haben auf der einen Seite natürlich auch die wirtschaftliche Jugendhilfe, hier werden die Elternbeiträge oft von den Landkreisen und kreisfreien Städten gezahlt. Wir haben auf der anderen Seite dann auch sehr oft die soziale Komponente, also wenn mehrere Kinder in den Kindergarten gehen, dass dann die Beiträge ermäßigt, beziehungsweise erlassen werden.

    Liminski: Ihr Kabinettskollege Beckstein will die demografischen Probleme nicht durch Zuwanderung lösen, das ist ja, glaube ich, auch nicht möglich, aber welche Lösung sieht man in München?

    Stewens: In München, da bin ich mit dem Kollegen Beckstein völlig einer Meinung, denn ich bin auch der festen Überzeugung, wir würden die Integrationsfähigkeit unseres Volkes überstrapazieren, wenn wir die Lösung unserer Demografie über Einwanderungsprobleme suchen würden. Nein, wir sollten stärker in Familien und Kinder investieren und wir sollten uns dessen bewusst sein, dass die jungen Menschen mehr Kinder wollen als sie dann tatsächlich im Laufe ihres Lebens realisieren. Das heißt: Ganz wichtig, dass wir in der Politik schauen, dass Kinder in Deutschland nicht länger eine Option bleiben sondern Wirklichkeit werden.

    Liminski: Bert Rürup, der Hauptberater der Regierung, behauptet, konservative Familienpolitik bestehe in der Steigerung der Geburtenrate und ziele auf die Senkung der Erwerbstätigkeit der Frau ab. Eine andere Formel also für das Totschlagargument von der Rückkehr an den Herd. Worin besteht für Sie konservative Familienpolitik?

    Stewens: Konservative Familienpolitik besteht für mich darin, dass wir jungen Menschen die Wahlfreiheit geben, sich frei zu entscheiden, wenn ich Kinder bekomme, ob ich dann in die Erwerbstätigkeit, also Familie und Erwerbstätigkeit ermögliche oder aber auch ausschließlich Familie. Das heißt, wir sollten den jungen Menschen keine Lebensentwürfe mehr vormachen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir überhaupt nicht mehr das Recht haben, von der Politik zu sagen, ihr müsst drei Jahre lang zuhause bei euren Kindern bleiben, sondern wir müssen wirklich den Menschen ermöglichen, dass sie sich frei entscheiden und dazu brauche ich natürlich den Ausbau der Kinderbetreuung, den wir ja in Bayern zur Zeit gewaltig voran bringen, gerade bei den unter Dreijährigen, aber dann auch bei der Kinderbetreuung an den Schulen, Ganztagsbetreuung an den Schulen. Das heißt, diese Wahlfreiheit hat bei uns in der Christlich Sozialen Union einen ganz, ganz hohen Stellenwert.

    Liminski: Aber die Freiheit ist ja nur dann real, wenn man aufgrund dieser Freiheit nicht verarmt?

    Stewens: Da gebe ich Ihnen völlig Recht und deswegen brauchen wir auch ein stückweit eine Verbesserung der finanziellen Leistungen. Auf der anderen Seite möchte ich aber schon sagen, wir brauchen natürlich, wenn wir die Bundestagswahl gewinnen, als Erstes mal den Kassensturz, um zu sehen, wie viel Geld ist denn in der Kasse. Wir wissen ja, das schaut also ziemlich schlecht aus. Da gibt es ein Defizitloch von 60 Milliarden Euro. Wobei ich hier aber der festen Überzeugung bin, wenn wir dann aufteilen für was wie viel Geld ausgegeben werden soll, muss die Familie ganz vorne mit dabei sein.