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Stichprobe in Berlin
Wie religiös sind muslimische Kitas?

Laut einer Untersuchung der Universität Wien wird an fast allen muslimischen Kitas in Österreich neben dem offiziellen Lehrplan auch ein Programm angeboten, das von religiöser Erziehung in Koranschulen kaum zu unterscheiden ist. Es stellt sich die Frage, ob Ähnliches auch für Einrichtungen in Deutschland gilt.

Von Thomas Klatt | 08.03.2016
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund (Imago)
    Morgenkreis in einer Kindertagesstätte in Berlin-Charlottenburg. Vor gut 10 Jahren ist die Regenbogen-Kidz-Kita in einer leerstehenden Ladenwohnung gegründet worden, sagt die muslimische Leiterin Iman Andrea Reimann.
    "Ein paar Mütter haben sich zusammengesetzt und sich gefragt, wo wollen wir denn unsere Kinder betreuen lassen? Und das leidige Thema vor zehn bis 15 15 Jahren war auch immer noch: Wie werden die Kinder verköstigt? Das war der Hauptgrund, wir wollen uns diesen Stress nicht antun und gründen eine Elterninitiative. Auch unter Muslimen kann es ja manchmal sein: Wo kaufst du dein Fleisch ein? Wie machst du das? Und wir haben uns auf vegetarisches Essen geeinigt."
    Sie haben sich für einen Caterer entschieden, der grundsätzlich kein Fleisch in seiner Küche verarbeitet. Somit ist vegetarisch gleichzeitig auch halal. Doch wer einen Kindergarten eröffnet, muss nicht nur auf einen gemeinsamen Speiseplan einigen. Es braucht ein pädagogisches Konzept, das von der Kita-Aufsicht geprüft wird, also von der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Wissenschaft. Danach aber...
    "Dann steht man eigentlich nur mehr im Email-Austausch – oder wenn man mal eine Frage hat. Da hat man dann mehr mit anderen Ämtern zu tun. Jugendamt, Gesundheitsamt, Lebensmittelhygiene – die kommen dann öfters mal vorbei. Das bleibt in den Ämtern."
    Möglichst strenggläubige kleine Muslime produzieren?
    Ist die Betriebserlaubnis einmal erteilt, werden die Kindertagesstätten nicht mehr pädagogisch kontrolliert – zumindest nicht regelmäßig und systematisch. Sind sich Betreiber und Eltern einig, gibt es also keine Beschwerden, bleibt das auch so. Zwar müsse sich jede Kita alle fünf Jahre auf eigene Kosten extern evaluieren lassen, doch die Ergebnisse bleiben in der Kita. Die Behörde bleibt außen vor. Wie viel muslimisch ausgerichtete Kindergärten es in Berlin gibt, müsste Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba wissen.
    "Nein, das kann ich Ihnen auf Anhieb auch nicht sagen. Wir haben insgesamt im Land Berlin eine weit gefasste Vielfalt. Der Senat führt keine Einzelauswertung über die Anzahl der muslimisch geprägten Träger von Kindertageseinrichtungen, da dies eine weltanschauliche Einrichtung unter vielen ist."
    Jugendstaatssekretärin Klebba ist sich aber sicher: Zumindest in Berlin könne es etwa im Umfeld islamistisch-salafistisch ausgerichteter Moscheen keine religiös-radikalen Kitas geben. Denn die staatliche Kita-Aufsicht sei sehr streng.
    "Also, wenn solche Erkenntnisse im Vorfeld und im Prozess der Erteilung einer Betriebserlaubnis deutlich würden, würde es niemals dazu führen. Und in der Tat ist das Betriebserlaubnisverfahren ein höchst komplexer Prozess, in dem die Verantwortlichen zu den Fragen Stellung nehmen müssen, wo ist unsere weltanschaulich-ethische Weltanschauung, wie wollen wir konzeptionell ein demokratisches Verständnis leben, nicht nur etwas, was irgendwie auf dem Papier geschrieben sein muss, sondern was sich deutlich auch durch Hinterfragen, durch Beispiele durchdringen, was das im pädagogischen Alltag bedeutet, dargelegt und nachgewiesen werden muss. Und insofern werden ja auch unsere Betriebserlaubnisverfahren nicht als einfach erlebt."
    Ist der Islam eine Religion unter mehreren?
    Daher gebe es offiziell auch kaum rein muslimisch ausgerichtete Kindertagesstätten in Berlin, verrät Kita-Leiterin Iman Andrea Reimann, die auch Vorsitzende des "Deutschsprachigen Muslimkreises Berlin" ist. Die meisten hätten sich von Anfang an eine interreligiöse Pädagogik ins Konzept geschrieben, um so schneller und einfacher eine Betriebserlaubnis zu erhalten. Sie schätzt die Zahl der muslimisch-interreligiös ausgerichteten Kitas in Berlin auf 15. Von strenggläubig-radikalen Ausrichtungen weiß sie nichts. Drei der vier Erzieherinnen in ihrer Kita, sie selbst eingeschlossen, tragen ein Kopftuch. Daniela Schulz ist hier die einzige Nicht-Muslimin:
    "Es ist halt sehr religiös geprägt, nur eben mit Schwerpunkt auf Islam. Wir finden es sehr wichtig, dass die Kinder von klein auf mit ihrer Religion in Kontakt kommen und sie verstehen, denn nur so kann man auch andere Religionen verstehen und tolerieren."
    Die Kinder sollen verstehen, dass der Islam nur eine Religion unter mehreren ist, sagt die evangelische Erzieherin in der muslimischen Kita:
    "Eigentlich werden die christlichen Feste auch thematisiert. Teilweise auch jüdische. Ich bin hier so die Quote. Also hier nebenan in unserer Kirche sind wir öfters. Wir sind sowieso in Berlin viel unterwegs, besuchen Synagogen, auch Kirchen, Friedhöfe, im Dom, überall."
    Möglichst viele strenggläubige kleine Muslime schon in der Vorschulzeit zu produzieren – das sei nicht ihr Ziel, sagt Leiterin Iman Andrea Reimann.
    "Wir haben während der Gründung für uns festgestellt, dass wir gesagt haben, die religiöse Erziehung erfolgt zuerst im Elternhaus. Wir sind eine Ergänzung. Und wenn man möchte, dass das eigene Kind mehr Koran auswendig lernt, dann muss es in die Moschee gehen. Bei uns wird auch Musik gemacht. Wir haben eine musikalische Früherziehung hier. Einige Muslime haben damit Schwierigkeiten."
    Eine moralisch sittenstrenge Erziehung lehnen Reimann und ihre Kolleginnen ab. Jeder Zwang in Sachen Religion sei tabu.
    "Wir haben übern Tag zwei Gebete, das Mittags- und das Nachmittagsgebet. Wir beten nicht mit den Kindern zusammen. Also es gibt keinen offiziellen Aufruf, los, jetzt gehen wir zum Gemeinschaftsgebet. Wir machen das in der Garderobe, aber es kommt mal vor, wenn Kinder das sehen, dass sie sich daneben stellen."
    Allerdings stecke die muslimische Vorschulpädagogik in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Modelle aus der Türkei oder Großbritannien seien nicht ohne weiteres übertragbar. Es fehle in Deutschland so etwas wie ein Lehrstuhl für muslimische Kindergartenpädagogik. Und im Berliner Bildungsplan spiele das Thema Religion in der Vorschule eine eher untergeordnete Rolle.
    (*Anmerkung der Redaktion: In der gesendeten Fassung ist missverständlich davon die Rede, dass eine "aufgeklärte religiöse Kita-Erziehung" einer "späteren Radikalisierung Vorschub leisten solle". Genau das Gegenteil ist natürlich gemeint. Wir haben den Satz im Text gestrichen.)