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Stiegler bietet ein 'Musterbeispiel politischer Brunnenvergiftung'

    Lange: Am Telefon ist Jürgen Rüttgers, der stellvertretende CDU-Vorsitzende und Landeschef der Union in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen. Herr Rüttgers.

    Rüttgers: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Herr Rüttgers, war das wirklich nötig, jetzt noch in den letzten Tagen das Thema Zuwanderung in den Wahlkampf zu bringen?

    Rüttgers: Ich will zuerst mal sagen, Herr Lange, das, was wir da gerade gehört haben, war ein Musterbeispiel politischer Brunnenvergiftung. Das bestand nur aus Vorwürfen und Diffamierung, da lohnt sich nichts zu sagen. Es ist immer notwendig, dass demokratische politische Parteien alle Themen im Wahlkampf behandeln, die die Menschen diskutieren, und dass die Frage der Integration, der hier rechtmäßig und dauerhaft lebenden Ausländer in unserer Gesellschaft ein solches Thema ist, kann nun wirklich keiner bestreiten, dass wir da eine große Aufgabe vor uns haben, ist glaube ich sogar parteiübergreifend klar.

    Lange: Aber wir dürfen doch sicher davon ausgehen, würden Edmund Stoiber und die Union jetzt mit drei bis vier Punkten vor der SPD liegen, dann hätte man das gelassen...

    Rüttgers: Ich habe das im ganzen Wahlkampf getan, das ganze Thema ist in unserem Wahlprogramm immer drin gewesen. Dass jetzt so getan wird, also ob das nun völlig neu wäre, wundert mich.

    Lange: Die Wirtschaftsverbände, Herr Rüttgers, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Organisationen der hier lebenden Ausländer, die sehen alle nicht die dramatischen Folgen, die Herr Beckstein gestern an die Wand gemalt hat. Wer ist denn jetzt hier der Geisterfahrer?

    Rüttgers: Ich habe die Pressekonferenz von Beckstein und Peter Müller gehört. Ich habe nicht gehört, dass da irgendwie der Versuch der Überdramatisierung gemacht worden ist. Er hat auf Fakten hingewiesen. Das erste Faktum ist, dass in diesem Gesetz unzureichend die Frage der Integration behandelt wird. Das zweite ist, dass die Regierung Schröder-Fischer kaum Geld zur Verfügung gestellt hat, um die Integrationskosten, die ja bei den Kommunen und bei den Ländern anfallen, zu begleichen. Das dritte ist, dass so wie dieses Gesetz konstruiert ist, der generelle Anwerbestop aufgehoben wird. Wir halten es angesichts von 4,1 Millionen Arbeitslosen für falsch, den Anwerbestop aufzuholen. Das fünfte Faktum ist, dass die Anzahl derjenigen, die zu uns kommen nach Berechnung aller Fachleute um 100.000 pro Jahr steigen wird. Das sind die Fakten, darüber zu diskutieren, dass das so nicht bleiben kann, finde ich eine ganz normale Sache.

    Lange: Herr Rüttgers, Rita Süssmuth, Hans-Olaf Henkel, Vural Öger - die sind doch nun der linken Häresie nun wirklich unverdächtig. Wenn die jetzt sagen, es ist nicht so, wie Beckstein und Müller es behaupten, gibt Ihnen das nicht zu denken?

    Rüttgers: Das zeigt ja eben, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt und dass es die auch in der Wirtschaft gibt, wundert mich überhaupt nicht. Es gibt viele in der Wirtschaft, die wollen Leute reinholen für den Arbeitsmarkt. Wir sind da anderer Auffassung, auch angesichts der Tatsache, dass wir in wenigen Monaten eine Erweiterung der Europäischen Union haben werden. Das heißt, Menschen aus Polen, aus Tschechien, aus dem Baltikum, aus der Slowakei, können dann bei uns arbeiten. Warum in dieser Situation noch Menschen von außerhalb des europäischen Kulturkreises reingeholt werden sollen ist genau der strittige Punkt und der muss dann auch diskutiert werden.

    Lange: Es ist eine Konstellation vorstellbar, bei der nach dem 22. September nur mit einer großen Koalition weitergeht, trotz aller Abscheubekundungen. Wird da nicht jetzt schon ein bisschen arg viel Porzellan zerteppert?

    Rüttgers: Es ist eine Frage, wie man diskutiert. Wenn man so diskutiert wie Herr Stiegler, dann wird Porzellan zerteppert, wenn man darüber diskutiert, was notwendig ist, dann garantiere ich Ihnen - und da brauche ich nur die Erklärungen von Herrn Schily im Wahlkampf zu nehmen - dass es möglich ist, sich auf ein besseres Gesetz zu verständigen.

    Lange: Könnte es sein, dass Sie jetzt sozusagen eine Art Rückspiel machen, weil die SPD in der Irakfrage einen Kurs gemacht hat, der Ihnen etwas schwer fällt?

    Rüttgers: Nein, das hat nichts miteinander zu tun. Die Irakfrage ist ein ganz schwerwiegendes Thema, weil es da um Krieg und Frieden geht. Auch da ist wichtig und richtig, dass das diskutiert wird. Ich glaube, man wäre auch als Union falsch beraten, wenn man auf das Thema nicht eingeht. Für mich muss klar sein, auch für die Union, wir sind gegen Krieg, aber wer gegen Krieg ist, darf Deutschland nicht isolieren. Das, was Schröder da macht, führt in den Krieg. Dessen Aufgabe als Kanzler wäre, mit unseren Freunden in Paris, London, auch in Washington zu reden, statt jetzt die ganze Sache nach dem Motto 'mit uns nicht, ohne uns' zu behandeln.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Jürgen Rüttgers, der stellvertretende CDU-Vorsitzende und Landeschef in Nordrhein-Westfalen. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio