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Stiegler: Clement hat in der Sache recht

Der stellvertretende SPD-Chef im Bundestag, Ludwig Stiegler, hat Vorwürfe seines Parteikollegen Wolfgang Clement als in der Sache richtig bezeichnet. Clement hatte gesagt, es sei nicht gelungen, die SPD vom Reformkurs zu überzeugen. Nach Stieglers Auffassung hat die SPD die Agenda 2010 oder Hartz IV nicht als überzeugendes Programm vertreten, "sondern als erlittenes Programm".

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Die Union ist im Umfragetief, das ist bekannt. So bekannt, dass darüber das Umfragetief in dem die SPD steckt fast übersehen werden könnte. Nicht bei uns und übrigens auch nicht vom Sozialdemokraten Wolfgang Clement. Der frühere Wirtschaftsminister hat jetzt mit seiner Partei abgerechnet. Gerhard Schröder, so Clement im Interview mit der Taz, sei an den Funktionären in der eigenen Partei gescheitert. Es sei nicht gelungen, die SPD vom Reformkurs zu überzeugen. Mit sozialer Kompetenz aber, was immer das sei, seien eben keine Wahlen zu gewinnen. Am Telefon ist Ludwig Stiegler, Stellvertretender SPD-Chef im Bundestag, ein Weggefährte Wolfgang Clements. Guten Morgen.

    Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen.

    Heuer: Herr Stiegler, schmerzen Sie Clements Vorwürfe?

    Stiegler: Nein, ich kenne die ja lange. Wolfgang Clement ist eben so wie er ist. Er sagt ja mit seiner Aussage zweierlei. Er sagt, er hat die Partei nicht mitgenommen. Aber er sagt auch, er hat die Partei nicht mitgenommen. Und es ist eben in dieser ungestümen Art damals die Reformen anzugehen, nicht gelungen die Menschen zu überzeugen dass Handlungsbedarf ist und welcher ist. Das ist ja eines der Grundprobleme. Wir wissen alle, wir leben in einer sich scharf verändernden Gesellschaft, national wie international, und wie wir das angehen, das bedarf eben einer guten politischen Kommunikation und die ist dem Temperamentsbolzen Wolfgang Clement in seinem Bereich nur sehr schwer gelungen. Ich habe ihm oft gesagt, Du bist wie ein Presslufthammer wenn Du an die Sachen herangehst. Man muss die Dinge eben besser kommunizieren. Und deswegen schmerzt mich seine Kritik nicht, sondern das ist auch ein Stück Selbstkritik.

    Heuer: Hat er denn in der Sache recht?

    Stiegler: In der Sache hat er sicher zu einem großen Teil recht. Die SPD hat die etwa Agenda 2010 oder Hartz IV oder wie immer man das nennt, nicht als überzeugendes Programm vertreten sondern als erlittenes Programm vertreten. Wir konnten der Gesellschaft nicht vermitteln, dass wir die Handelnden sind. Wir haben eher den Eindruck erweckt, wir sind die Getriebenen. Und vor dem Hintergrund ist natürlich unverkennbar, dass die Zustimmung im Wahlkampf, die Zustimmung in der Partei hier nicht da war und ich weise ja auch jetzt praktisch ständig durch die Gliederungen in der Partei und diese Veränderungen, die setzen der SPD ihre Mitgliedschaft und den Funktionären vor Ort gewaltig zu. Wir haben eine unendlich schwierige Aufgabe vor uns, hier im Rahmen der Programmdiskussion uns auf eine neue Sicht der Lage der Wirtschaft und der Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten zu verständigen. Ich sehe mit teils Vergnügen, teils mit einer gewissen Sorge, dass es der Union in großen Teilen genauso geht.

    Heuer: Ja, das mag sein. Die SPD mag auch, aus Ihrer Analyse geht das hervor, eine zerrissene Partei sein. Aber das kommt bei den Wählern… Ja? …Okay.

    Stiegler: Nein, zerrissen nicht, sondern belastet. Es ist einfach so, dass viele noch nicht realisiert haben, etwa dass mit dem Eintritt von Indien und China in die Welthandelsordnung, dass hier die Arbeitskräfteangebote in der Welt sich mehr als verdoppelt haben. Sie lernen vielfach, dass selbst Großunternehmen inzwischen glaubhaft mit Verlagerungen drohen. Wir nehmen schmerzhaft zur Kenntnis, dass in den letzten fünf Jahren die privaten Investitionen zurückgegangen sind. Wir müssen lernen, dass nicht mehr gilt was Helmut Schmidt gesagt hat: "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen", sondern dass die Gewinne von heute der Arbeitsplatzabbau von morgen ist und die Investitionen in Asien oder irgendwo auf der Welt von übermorgen, aber nicht mehr hier. Also hier gibt es unglaubliche Brüche in unserer Gesellschaft und in der Wirtschaft. Und wir müssen den Weg finden, wie wir nicht mehr nur Funktion von X sind und quasi Leute die außengesteuert werden, sondern wie wir den Menschen sagen können, wir können die wirtschaftlichen Prozesse wenigstens zu einem gewissen Teile noch mitsteuern. Das ist ein ernstes Demokratieproblem.

    Heuer: Herr Stiegler, jetzt haben wir ein bisschen über die Hintergründe der schwierigen Situation gesprochen. Diese schwierige Situation, die schlägt sich wieder in Umfragezahlen. Da dümpelt die SPD bei inzwischen 29 Prozent. Wie wollen Sie da wieder rauskommen?

    Stiegler: Also wir haben das ja nach der letzten Wahl und überall da. Ich hätte Ihnen die Kurvenverläufe fast aufzeichnen können. Parteien oder eine große Koalition kann nicht in Umfragehoch kommen weil eben es an der Polarisierung und damit an der Begeisterungsfähigkeit fehlt und weil wir zur Zeit schwerste Sanierungsarbeit machen. Wir konnten doch die letzten Jahre den Staat finanziell nicht mehr aussteuern weil die Union im Bundesrat alles geblockt hat und jetzt ist in einem halben Jahr steuerlich und damit von der Einnahmeseite im Staat mehr bewegt worden als all die Jahre der rot-grünen Koalition vorher. Das hat aber auch natürlich Opfer. Das geht ja nicht spurlos an den Menschen vorbei. Und dass die Menschen einerseits sagen, saniert den Staatshaushalt, also wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, dass ist eine Erfahrung die da ist und wo man einfach akzeptieren muss, dass wir vorübergehend im Umfragetief stehen. Wir haben die gewisse Genugtuung dass die Kanzlerin, die an Weihnachten immer aussah, als ob sie auf der Sonnenterasse das Trinkgeld kassiert, jetzt auch mit uns gemeinsam im Zwiebelschneideraum ist. Insofern heißt es so schön […]

    Heuer: Würden Sie das bitte übersetzen für unsere Hörer?

    Stiegler: Es ist für die Armen ein Trost wenn sie Gefährten hat im Elend.

    Heuer: Ein schwacher Trost, Herr Stiegler. Ein schwacher Trost, dass es der CDU nun genauso schlecht geht. Alles was sie sagen klingt sehr nach Stillstand. Die Wirtschaftswelt ist so schwierig, dass die Politik wenig Chancen hat, so in dieser Richtung haben Sie sich gerade geäußert. In der politischen Landschaft sei eine Polarisierung nicht mehr möglich, deshalb seien die Bürger nicht mitzunehmen. Legt die SPD jetzt die Hände in den Schoß?

    Stiegler: Überhaupt nicht, sondern wir haben uns vorgenommen, dieses Jahr ist das Jahr der Konsolidierung und der Sanierung, der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Staates. Dafür werden die notwendigen Reformen gemacht. Und wer hier so ganz schwerwiegende Dinge bewegen muss, wie wir dieses Jahr bewegen müssen, der soll nicht erwarten, dass jetzt alle über ihn jubeln, sondern der Respekt wird nächstes Jahr geerntet werden, aber nicht dieses Jahr. Das muss man einfach sehen. Wenn man lange genug in der Politik ist kann man hier aus eigener Erinnerung solche Kurvenverläufe sehen. Und wenn Sie die politologischen Analysen sich anschauen und die Kurvenverläufe in den öffentlichen Stimmungen der Bundesrepublik aus dem letzten Jahrzehnt verfolgen, dann wird Sie die jetzige demoskopische Lage nicht überraschen und ich gehöre zu denen die sagen, Demoskopische Lagen muss man zur Kenntnis nehmen aber zunächst ist einmal ist die Aufgabe vorrangig, die man erledigen muss.

    Heuer: Und die Bürger verfolgen die Kurvenverläufe mit Ihnen und müssen noch ein bisschen abwarten.

    Stiegler: Und wir werden dieses Jahr die notwendigen Reformen hinkriegen. Übersehen Sie bitte nicht, wir haben dieses Jahr die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden in einer Art und Weise wieder handlungsfähig gemacht wie es noch nie da war. Wir haben die ersten Erfolge aus der Arbeitsmarktreform zu verzeichnen. Wir haben wieder private Investitionen, Rahmenbedingungen dafür sind geschaffen worden. Nehmen Sie nur das Programm "energetische Gebäudesanierung". Ein wichtiger Renner. Also wir haben schon auch gesät und ernten teilweise. Aber in vielen Fällen, nehmen wir Unternehmenssteuerreform, Gesundheitsreform, jetzt kommt der Haushalt 2007, ist eben auch Zwiebelschneidearbeit noch erforderlich bevor ein gutes Gericht serviert werden kann.