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Stiegler fordert differenzierte Aufklärungsarbeit zu Hartz IV

Doris Simon: Eine Million kostet die Informationskampagne zur Arbeitsmarktreform Hartz IV die Bundesregierung. Geld, das im Zweifelsfall möglicherweise gut investiert ist, denn die Verunsicherung und das Nichtwissen darüber, was die Reform für den Einzelnen bedeutet, die sind groß. In allen ostdeutschen Regionalzeitungen und auch Zeitschriften wie der Super Illu erscheinen heute ganzseitige Anzeigen zu Hartz IV - unter anderem mit Rechenbeispielen für das neue Arbeitslosengeld II und Erklärungen, was Bezieher behalten dürfen an Vermögenswerten. Am Telefon begrüße ich Ludwig Stiegler, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Stiegler, Sie haben in den letzten Wochen ausgiebig die Informationspolitik der Bundesregierung, des Bundespresseamtes zu Hartz IV kritisiert. Ist denn diese Anzeigenkampagne und das, was Sie eben gehört haben, das, was Ihnen gefehlt hat?

Moderation: Doris Simon |
    Ludwig Stiegler: Jedenfalls ist es der Beginn von dem, was mir gefehlt hat. Ich glaube nicht, dass man mit einer Anzeige oder zweien oder auch noch dreien hier das Defizit wieder ausgleichen kann. Sondern man muss sich jetzt wirklich geduldig bemühen, auf möglichst allen Ebenen die Menschen zu informieren, und wie es die eine Dame gesagt hat, zu schauen, wie wird das konkret. Das ist ja das Entscheidende. Die Leute fragen ja nicht nur allgemein, sondern sie möchten wissen, wie, was bedeutet das für mich in Halle oder in Leipzig oder in Düsseldorf oder in Hinterhugelhapfing, und das muss den Menschen nahe gebracht werden und das verlangt eine sehr differenzierte Aufklärungsarbeit.

    Simon: Das heißt aber doch, dass diese Kampagne, die begrenzt ist auf eine Million und die noch ein bisschen Internetaufklärung und dazu eine Broschüre später beinhaltet, dass die eigentlich nicht reichen kann?

    Stiegler: Ich glaube nicht, dass so etwas reicht, das ist für mich ein Start, und wir werden ja darüber weiter reden. Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass die Hartz-Reform, die Millionen eben aus der Armut führen wird, dass die nicht hier verkommt als eine Reform in der Wahrnehmung, die Millionen in die Armut führt. Das ist also die Wahrnehmung genau das Gegenteil von dem, was intendiert ist, und da muss man sich gewaltig anstrengen, dass man wieder in die positiven Wahrnehmungen rückt.

    Simon: Herr Stiegler, wenn wir bei der Information bleiben, was ist denn für Sie ein Gratmesser für Erfolg, wenn man zum Beispiel heute sieht, dass sich wieder Zehntausende zu den Demos angemeldet haben?

    Stiegler: Die Demos sind ja teilweise auch Ausdruck ganz anderer Sorgen und Vorstellungen, und da ist Hartz IV ja häufig nur, wenn man so will, der zündende Funke oder das Symbol, gegen das man los geht. Da geht es ja gegen Reformpolitik generell und auch - was die neuen Länder anbetrifft - um Sorgen um den Aufbau Ost. Ich denke, der Maßstab für den Erfolg ist, wenn die Unruhe der Menschen und wenn unbegründete Sorgen weichen. Viele machen sich ja wirklich völlig unbegründete Sorgen. Und man erlebt es ja in Versammlungen, wenn man sagt, es ist in Wahrheit so, dass die Leute dann sagen, na ja, dann muss ich mich ja gar nicht aufregen. Das ist es, was mich als Politiker ärgert, dass die Menschen sich unnötig Sorgen machen, indem sie sich falsche Vorstellungen machen von den Wirkungen. Die Sorgen oder die Schwierigkeit bei der Akzeptanz des Unabwendbaren, das ist eigentlich eine einfachen Sache, während also die flächendeckende Verunsicherung durch Desinformation oder Nichtinformation, das ist das entscheidende Problem.

    Simon: Die Nichtinformation oder die unzureichende Information, die Sie kritisiert haben beim Bundespresseamt, ist das eine, aber müssen Sie jetzt nicht auch stärker drauf drängen, dass in der SPD von oben bis unten energischer von den einzelnen vermittelt wird dieses Thema, da hat es ja in der Vergangenheit, vielleicht auch weil viele in der Partei Bauchschmerzen hatten, doch auch sehr gehapert.

    Stiegler: Also, es haben sich viele lange für das Detail überhaupt nicht interessiert. Das fängt jetzt erst an. Ich habe nun mit dem Kollegen Klaus Brandner zusammen und dem Bundeswirtschaftsminister die Hauptlast der Erläuterung gehabt, was die politisch-parlamentarische Ebene anbetrifft. Es ist sicher richtig, dass wir in der SPD insgesamt die Reformpolitik engagierter vertreten müssen und das hängt aber im Wesentlichen von der Führung ab. Ich behaupte jetzt mal, dass der große Teil der Parteiführung oder der Fraktion, die Reform aktiv unterstützt, aber es bleibt eine Minderheit, die das für den falschen Weg hält und deshalb auch immer wieder Kritik äußert und manchmal wird diese Kritik auch erheblich überzeichnet.

    Simon: Herr Stiegler, der Bundeskanzler hat am Wochenende von der Volksfront der Gegner gesprochen und dabei die PDS und die CDU ins Auge genommen. Das lässt ja einige Nervosität spüren, ist die Nervosität so groß in der SPD, dass diese Reform vielleicht nicht richtig ankommt.

    Stiegler: Ich spüre da keine Nervosität, sondern Zorn. Mir geht es doch genauso. Ich war doch in den Verhandlungen als Verhandlungsführer in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses, und wenn ich daran denke, was manche Unionsvertreter gefordert haben und was wir zurückweisen mussten, und wenn ich jetzt sehe, dass die feige auf der Flucht sind und alle möglichen Spirenzchen machen, um nicht in der Verantwortung zu stehen. Da kommt einem doch glatt der Kümmel. Und bei der PDS ist es ja auch so, die ist ja auch über manche Koalitionen an der Verantwortung beteiligt, der tut aber so, als ob alles locker ginge. Wenn Sie sich mal anschauen, gerade Berlin ist mit der Hauptnutznießer der Hartz-Reform, weil da Hunderttausende arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger entsprechend bessere Förderung erhalten können, vor allem auch die Jungendarbeitslosigkeit in diesem Großraum angegangen wird. Und dann diese Pirouetten in den öffentlichen Kommunikationen. Also, das ist nicht Nervosität, sondern der blanke Zorn. Und ich habe am Wochenende auch dem Horst Seehofer von der CSU vorgehalten, dass die CSU halt mit den Jägern jagen will und mit den Hasen flüchten. Das ist wirklich eine verlogene Veranstaltung, was die da betreiben, und dass einem da mal der Kümmel kommt und dass man deutlich wird, also was soll es, das erwarte ich und ich sowieso, weil ich ja da eher noch ein größerer Temperamentsbolzen bin.

    Simon: Das war Ludwig Stiegler, der stellvertretende Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zur Hartz-Inofanzeige der Bundesregierung, vielen Dank für das Gespräch.